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       # taz.de -- E-Scooter in Städten: Ökologisch desaströs
       
       > Anders als behauptet stehen die neuen E-Scooter in den Großstädten nicht
       > für Nachhaltigkeit und CO2-Vermeidung. Deshalb sollten sie wieder weg.
       
   IMG Bild: Spaß, Spiel und Action – eine Zukunftslösung für die Mobilität sind E-Roller aber nicht
       
       Ein neues Verkehrsphänomen überrollt die deutschen Metropolen –
       insbesondere Berlin. Durch die Zulassung diverser Anbieter wie Lime, Circ,
       Tier wurden [1][in den vergangenen Monaten die Bürgersteige und Freiflächen
       der Innenstädte mit einer Schicht E-Scooter gesäumt], welche angeblich zu
       einer ökologischen Mobilitätswende beitragen.
       
       Nach den Argumenten ihrer Anbieter_Innen und Verfechter_Innen soll so CO2
       eingespart werden, weil Autofahrer_Innen zum Umsteigen auf die kleineren
       Gefährte bewegt werden.
       
       Dies ist allerdings schlicht falsch. Erste statistische Erhebungen dieses
       noch jungen Phänomens – wie etwa unter Lime-Usern in Frankreich – deuten
       darauf hin, dass E-Scooter zu einer weiteren Maschinisierung und
       Individualisierung des Großstadtverkehrs führen.
       
       Auf die Frage, welches Verkehrsmittel die Benutzer_Innen verwendet hätten,
       hätten keine E-Scooter zur Verfügung gestanden, antworteten von 4.382
       Befragten 47 Prozent mit „zu Fuß“, 29 Prozent hätten anstelle der Scooter
       den ÖPNV genutzt und nur 8 Prozent wären ansonsten mit einem Auto gefahren,
       wobei dies bereits Taxidienste, Uber und Carsharing neben dem eigenen
       inkludiert – und 3 Prozent hätten sich gar nicht erst bewegt.
       
       ## E-Mobilität alles andere als CO2-neutral
       
       E-Scooter führen also nicht zu einer Reduzierung des CO2-intensiven
       Automobilverkehrs in Großstädten. Ganz im Gegenteil: Vielmehr laden sie zu
       einer Abkehr von CO2-freundlichen kommunalen und körperlichen
       Bewegungsformen ein.
       
       Da die Hälfte aller User sich sonst auf den eigenen zwei Beinen fortbewegt
       hätte, muss konstatiert werden, dass E-Scooter konträr zu den Behauptungen
       ihrer Verfechter_Innen dazu beitragen, noch mehr urbane Bewegung in
       umweltschädliche und CO2-intensive Formen zu transformieren.
       
       Denn es ist ein Mythos, dass E-Mobilität CO2-neutral und umweltfreundlich
       ist. Die Produktion der technologisch aufwendigen Geräte sowie insbesondere
       ihrer komplexen Batterien verschlingt viel CO2-aufwendige Energie. Da die
       meisten Bestandteile der Scooter in ärmeren Ländern hergestellt werden,
       führt E-Mobilität tendenziell zu einer Verlagerung der von
       Industrienationen hervorgerufenen Umweltschäden in sogenannte
       Entwicklungsländer.
       
       Die seltenen Erden und Bauxitvorkommen, die für die Batterien und
       leichteren Gehäuse der Gefährte benötigt werden, können nur unter massiven
       ökologischen Beeinträchtigungen in Ländern wie Mauretanien, China oder
       Indien abgebaut werden. Nur dort ist Arbeit billig genug, diesen
       gesundheitsschädlichen Raubbau sowie die daraufhin folgende
       Dumpinglohnproduktion rentabel zu halten.
       
       ## Kurze Lebensdauer und Energiehunger
       
       Hinzu kommt, dass sich die E-Scooter in Großstädten nur sehr kurz halten.
       [2][Da die Gefährte rücksichtslos verstreut die Bürgersteige blockieren],
       werden sie häufig umgestoßen und beschädigt. Da den Usern ein Bezug zu den
       Geräten fehlt, werden sie rücksichtslos über jeden Bordstein gerumpelt und
       so manch eine_r soll schon Spaß daran gefunden haben, die Scooter gleich in
       die Kanäle und Häfen zu werfen oder anders mutwillig zu zerstören.
       
       Die durchschnittliche Lebenszeit der letzten Scooter-Generation des
       Anbieters Tier hat zum Beispiel nur sechs bis sieben Monate betragen. In
       Louiseville (USA) betrug sie gar nur einen Monat.
       
       Obendrein muss noch der große Energiehunger der Geräte mitbedacht werden.
       Sieben Stunden muss ein Scooter der Firma Lime am Netz hängen, um wieder
       voll geladen und für den nächsten Tag einsatztüchtig zu sein.
       
       [3][Besorgt wird diese Arbeit von einem eigens geschaffenen Prekariat:
       sogenannte Juicer] müssen des Nachts, zu widrigen Uhrzeiten und
       Arbeitsbedingungen, verselbstständigt und ohne irgendeine gewerkschaftliche
       Organisation oder Versicherung die Scooter (zumeist mit ölbetriebenen
       Autos) einsammeln, ans eigene Stromnetz hängen und frühmorgens pünktlich –
       sonst droht Lohnabzug! – an vorgesehenen Punkten wieder abliefern.
       
       Lime zahlt für diesen Dienst pro Scooter 4 Euro, wobei Strom-,
       Versicherungs-, Benzin- und Autokosten gänzlich von der ausgebeuteten
       Arbeitskraft aufgewandt werden müssen.
       
       ## E-Scooter-Start-ups als gehypte Blase?
       
       Der E-Scooter-Markt deutet exemplarisch auf einen „Ökokapitalismus“ hin, an
       dem nichts öko ist außer seine rattenfängerischen Verkaufsstrategien: Mit
       grünem Anstrich werden so Bereiche von einem zerstörerischen Marktprinzip
       erschlossen, die bisher noch nicht Teil kapitalistischer Wertproduktion
       waren. Zusätzlich werden neue Ausbeutungsstrukturen prekarisierter
       Arbeitskraft kreiert. Nichts ist an dieser Scheinlösung nachhaltig: weder
       im globalen noch im lokalen Maßstab.
       
       Um es noch schlimmer zu machen, könnten sich E-Scooter-Start-ups schon bald
       als gehypte Blase herausstellen, die genauso schnell zerplatzt, wie sie
       entstanden ist. Mit nichts lässt sich heute leichter Investitionskapital
       beschaffen als mit grün angestrichenen Technologie-„Innovationen“.
       
       Dieses Kapital setzen Start-ups gerade in die Besetzung unserer Straßen um.
       Ob sich die E-Scooter längerfristig ökonomisch halten, ist jedoch bei den
       vergleichsweise hohen Preisen (1 € Grundgebühr + 15–22 Cent/Minute) nicht
       abgemacht.
       
       Es könnte sein, dass es Lime, Circ und Co bald so ergeht wie den
       Leihradanbieter Ofo oder Obike, die, kurz nachdem sie die Städte mit
       schlechten Rädern „versorgt“ haben, Konkurs anmeldeten. Die Kommunen und
       Gemeinden mussten dann für die Räumung dieses realisierten
       Innovationskapitals aka Müllbergs aufkommen, da das insolvente Unternehmen
       nicht mehr haftpflichtig war.
       
       Neben den großen Sicherheitsproblemen und den ausbeuterischen
       Arbeitsbedingungen spricht also auch ökologisch nichts für die Einführung
       der E-Scooter. Um die ökologisch katastrophale Müllschicht des sogenannten
       Anthropozäns möglichst dünn zu halten, sollten die Bundesländer und
       Kommunen den E-Scooter-Anbietern die Zulassung so schnell wie möglich
       wieder entziehen.
       
       2 Aug 2019
       
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