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       # taz.de -- Naturschutzpläne der Regierung: Klotzen statt Kleckern?
       
       > Alle reden vom Wald. Wie gut er für Klima und Gemüt ist. Gerettet werden
       > muss er – und zwar überall. Jetzt auch in Deutschland.
       
   IMG Bild: Zwischen Kettensäge und Natur-Romantik: Die Deutschen haben ein ambivalentes Verhältnis zum Wald
       
       Berlin taz | Um die Waldverluste zu kompensieren, pflanzt Island schon seit
       Langem jährlich 1 Million Bäume, China pflanzte kürzlich 6 Milliarden
       Bäume, in Indien wurden in 12 Stunden 66 Millionen Bäume gepflanzt,
       Australien will 1 Milliarde pflanzen, Äthiopien 4 Milliarden (mit 354
       Millionen Setzlingen in 12 Stunden hat das Land schon mal laut Spiegel
       einen „Weltrekord im Bäumepflanzen“ aufgestellt), und auf den Philippinen
       muss jeder Student in Zukunft vor seiner Immatrikulation 10 Bäume pflanzen.
       
       Schön und gut, aber mit dem Einpflanzen ist es nicht getan, die Bäumchen
       müssen auch gegossen, vor Schädlingen und Pflanzenfressern bewahrt und dann
       vor Holzdieben geschützt werden.
       
       Zu den vom Staat beziehungsweise vom Kapital initiierten
       Pflanzaktionsspektakeln kommen noch viele kleine Waldrettungs-NGOs, quasi
       von unten – wie zum Beispiel „Plant for the Planet (Wie pflanzen Bäume für
       eine bessere Welt)“. Auf utopia.de werden 12 weitere „Organisationen, die
       Bäume pflanzen fürs Klima“, empfohlen.
       
       Und dann gibt es natürlich linke Waldbesetzungen, wie im Hambacher Forst,
       die Bäume vor dem Gefälltwerden durch Braunkohlekonzerne oder
       Windenergiepark-Betreiber retten wollen. Eine Mädchengruppe verbrachte ihr
       ökologisches Jahr in Nordindien, wo sie sich zusammen mit indigenen
       Waldbewohnern an deren Bäume kettete, um sie vor der „Nutzholzmafia“ zu
       schützen.
       
       All dem steht die anhaltende Waldvernichtung durch Abholzung entgegen, vor
       allem in Südostasien und Lateinamerika. In [1][Brasilien] erreichte dieser
       „Raubau an der Natur“ (Spiegel) 2018 den höchsten Stand: 7.900
       Quadratkilometer Wald mussten dort der Landwirtschaft weichen. Der
       Umweltminister sprach von „illegaler Abholzung“ und machte „gestiegene
       organisierte Kriminalität“ dafür verantwortlich.
       
       ## Bäume haben eine super CO2-Bilanz
       
       Die Klimaerwärmung lässt sich nur durch Aufforstung mindern, meinen viele
       Wissenschaftler. Wie das? Die Bäume versorgen sich mit Kohlendioxid, indem
       sie Luft durch winzige Spalten in ihren Blättern eintreten lassen. Durch
       die Atemporen „schwitzen“ sie gleichzeitig Wasser aus, das verdunstet, nach
       oben steigt, Wolken bildet, die dann abregnen. Dies geschieht aber nur bei
       größeren Waldflächen. Das Gegenteil passiert bei unseren, riesigen kahlen
       Gebirgen ähnelnden Städten und sonst wo versiegelten Flächen: Sie speichern
       die Sonnenwärme und strahlen sie ab. So kommt es nachts nur zu einer
       geringen Abkühlung. Hinzu kommen die Auto-, Heizungs- und Industrieabgase
       
       In Mitteleuropa war deswegen ab 1980 vom „[2][Waldsterben]“ die Rede, das
       besonders bei den waldliebenden Deutschen leicht hysterisch klang. Aber die
       Hysterie ist der Anfang jeder Wissenschaft, und schon bald bewirkten
       Entschwefelungsanlagen, Gesetze und forstwissenschaftliche Anstrengungen
       eine Entwarnung. „Gesund“ war der Nutzwald aber noch nicht, wie der
       Eifel-Förster Peter Wohlleben mit seinen Bestsellern über Bäume unermüdlich
       kritisiert.
       
       Inzwischen bewirken Hitze, Dürre, Insekten und Schadstoffe eine
       „Waldkrise“, wie der BUND und die Industriegewerkschaft Bauen, Umwelt,
       Agrar (IG BAU) das nennen. Rund 300 Millionen Bäume müssen bereits
       nachgepflanzt werden. Zwar hat der „Waldumbau“ – weg von den
       „Nadelholz-Monokulturen“ und zurück zu den Mischwäldern – schon vor einigen
       Jahrzehnten begonnen, aber nach Meinung der Experten nicht umfassend genug.
       
       ## Die Ministerin will klotzen statt kleckern
       
       Das liegt auch an den wirtschaftlichen Interessen. In Deutschland haben
       Nadelbäume (außer in den Alpen) nichts zu suchen, dies ist ein Buchenland,
       aber Buchen darf man eigentlich erst nach 250 Jahren fällen (sie können 500
       Jahre alt werden), Fichten und Kiefern liefern dagegen schon nach 60 bis 80
       Jahren Papier, Bretter und Spanplatten.
       
       CDU-Agrarministerin Julia Klöckner hat sich jetzt anrühren lassen, ihren
       ministeriellen Mitarbeitern einen Ruck gegeben und einen Vierpunkteplan zur
       Rettung des Deutschen Waldes vorgestellt: 1. ihn „aufräumen“, 2. ihm
       „pragmatisch helfen“, 3. ihn „mit passenden Bäumen aufforsten“, 4. „nicht
       kleckern, sondern klotzen“. 500 Millionen Euro will sie dafür lockermachen
       und den Forstbetrieben mit der Einkommensteuer entgegenkommen. Treiben
       lassen hat sich die nicht gerade für ihr ökologisches Denken berühmte
       Klöckner vielleicht von Peter Wohlleben, dem BUND und der IG BAU oder doch
       eher von den Klagen der meist adligen Waldbesitzer.
       
       1 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
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