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       # taz.de -- Interview mit Katrin Göring-Eckardt: „Die Zukunft ist feministisch“
       
       > Katrin Göring-Eckardt steht der Bundestagsfraktion der Grünen vor. Ein
       > Gespräch über Macht, weiße Privilegien und das Recht auf Abtreibung.
       
   IMG Bild: Hat Macht: Katrin Göring-Eckardt in ihrem Büro im Berliner Jakob-Kaiser-Haus
       
       taz am wochenende: Frau Göring-Eckardt, kürzlich erschien ein Foto von
       Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen auf
       vielen Titelseiten. Ist das Patriarchat am Ende? 
       
       Katrin Göring-Eckardt: Nein. Das Foto wird sicher eine Ikone. Drei
       mächtige, konservative Frauen sitzen lächelnd beieinander, und alle müssen
       es drucken. Das war schon eine kleine Sensation. Aber wir sind als
       Gesellschaft noch lange nicht da, wo wir sein sollten.
       
       Warum nicht? 
       
       Am nächsten Tag wurde ein Foto der G7-Finanzminister gedruckt. Nur Männer,
       nur dunkle Anzüge und Krawatten. Das dokumentiert eher die Verhältnisse.
       Auch die frauenpolitische Bilanz der Union ist ja überschaubar. Keine Quote
       im eigenen Laden, null Unterstützung für ein Paritätsgesetz, durch das mehr
       Frauen in die Parlamente kämen. Darauf sollte frau sich nicht verlassen.
       
       Ist Gleichstellungspolitik für Sie schon Feminismus? 
       
       Feminismus ist eine Haltung, die allen Menschen gleiche Rechte zugesteht.
       
       Wie wurden Sie zur Feministin? 
       
       Meine Politisierung verlief in Wellenbewegungen. Aufgewachsen in der DDR,
       dachte ich als Jugendliche, Gleichberechtigung haben wir schon. Mit Anfang
       20 habe ich mich intensiver damit beschäftigt und feministische Theologie
       studiert. Da wurde mir klar, dass das eine Fehleinschätzung war. Die
       Care-Arbeit blieb auch in der DDR an Frauen hängen, in der Regierung gab es
       nur eine, nämlich Margot Honecker.
       
       Liegt es auch an den Grünen, dass immer noch die Männer dominieren? 
       
       Auch als Politikerin durchlebe ich Aufs und Abs. Wir haben als Grüne viel
       erreicht. Dass Frauen in der Politik heute Raum einnehmen, liegt auch an
       unseren Doppelspitzen. Auch dass es eine Quote in Aufsichtsräten gibt, geht
       auf grüne Initiativen zurück. Aber gleichzeitig gibt es an anderen Stellen
       Rollbacks. Ich hätte mir vor ein paar Jahren nicht träumen lassen, welcher
       Hass Frauen in sozialen Netzwerken entgegenschlägt.
       
       Unser Eindruck ist: Grüner Feminismus wird von weißen, akademisch
       gebildeten Frauen gemacht. Welche Rolle spielen marginalisierte Frauen oder
       Minderheiten? 
       
       Ja, unsere Feministinnen sind meistens weiß. Wir sehen manche Probleme
       nicht, weil wir die Welt aus einer privilegierten Position heraus
       betrachten. Aber das ändert sich. Mit Aminata Touré beispielsweise erleben
       wir noch mal eine ganz andere Debatte. Als schwarze Frau, die in einer
       Flüchtlingsunterkunft aufwuchs, ist sie heute Landtagsvizepräsidentin in
       Schleswig-Holstein. Aminata macht uns Feuer.
       
       Inwiefern? 
       
       Sie erzählt, wie hart Frauen mit anderer Hautfarbe diskriminiert werden,
       wie wichtig Herkunft in unserer Gesellschaft ist. Rassismus und
       Frauenfeindlichkeit gehen oft miteinander einher. Wir haben das
       zusammenzudenken.
       
       Wie beeinflusst es grüne Frauenpolitik, dass sie fast nur von weißen
       Akademikerinnen gemacht wird? 
       
       Unsere Politik hat alle Frauen im Blick. Nehmen Sie nur die
       Alleinerziehenden. Das können Akademikerinnen wie Nichtakademikerinnen
       sein. Sie sind nach wie vor sehr stark benachteiligt. Denen wollen wir etwa
       durch ein Konzept für eine Kindergrundsicherung helfen. Die soziale Frage
       ist für uns – neben der ökologischen – zentral. Dennoch: Auch wir hatten
       manche Mechanismen der Unterdrückung oder Benachteiligung nicht auf dem
       Schirm.
       
       Es geht auch um Klassenfragen. Sie haben unter Rot-Grün Hartz IV eingeführt
       und Millionen Frauen in Armut gestürzt. 
       
       Damals ging es auch darum, dass wir die alte Arbeitslosen- und Sozialhilfe
       abschaffen, damit die Menschen darin nicht mehr ungleich behandelt werden.
       Die Lage vieler Frauen hat sich dadurch zwar etwas verbessert, im Endeffekt
       führte das aber nicht dazu, dass es weniger Frauen in Armut gab.
       
       War Hartz IV ein Fehler? 
       
       Ganz klar: Mit Blick auf die Auswirkungen gab es Fehleinschätzungen, auch
       von mir. Unterm Strich hat sich die Lage für Frauen durch Hartz IV nicht
       verbessert. Ich habe das früh thematisiert und tue das heute noch.
       
       Was wäre in einer schwarz-grünen Koalition frauenpolitisch nicht
       verhandelbar? 
       
       Verhandlungen führe ich nicht per Zeitungsinterview. Aber in jeder
       Koalition braucht es eine klare 50-Prozent-Frauenquote für die
       Führungsebene börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen. Der Gender Pay
       Gap soll Geschichte werden. Im Kabinett brauchen wir die Parität, genau wie
       im Parlament. Um nur mal ein paar Basics zu nennen.
       
       Klingt wenig ambitioniert. Selbst die Union will doch heute viele Frauen im
       Kabinett. 
       
       Dazu käme zum Beispiel eine feministische Außenpolitik. Wir haben das im
       Bundestag diskutiert, und das Gelächter bei den Jungs der Konservativen ist
       aufschlussreich: Das ist auf keinem guten Weg. Aber für mich ist völlig
       klar: Bei allem, was außen- und entwicklungspolitisch entschieden wird,
       muss darauf geachtet werden, wie es sich auf Frauen auswirkt.
       
       Eine feministische Außenpolitik werden Sie mit der Union nie vereinbaren.
       Es ginge doch schon mit Rüstungsexporten los, die sie nicht stoppen will. 
       
       Stimmt, ein Rüstungsexportkontrollgesetz war schon bei den
       Jamaika-Verhandlungen schwierig. Aber einiges kann man sehr wohl
       durchsetzen, mehr Botschafterinnen zum Beispiel. Oder dass bei
       Friedensverhandlungen immer Frauen dabei sein müssen, weil die
       Verhandlungen dadurch nachhaltiger wirken. Das ist empirisch gut belegt.
       
       Auch Außenminister Heiko Maas hat sich feministische Außenpolitik auf die
       Fahne geschrieben. Neulich hat er eine [1][UN-Resolution zum Schutz von
       Frauen] unterschrieben, aus der die USA in letzter Minute herausverhandelt
       haben, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, ein Recht auf
       Schwangerschaftsabbruch haben. Hätten Sie darauf bestanden? 
       
       Bei internationalen Verträgen ist immer die Frage, was dafür in die
       Waagschale geworfen wird. Ich kann nicht beurteilen, wie stark sich Heiko
       Maas für dieses Recht gemacht hat. Eine Frau hätte sicher anders und
       nachdrücklicher verhandeln können.
       
       Sie haben mal gesagt, für Sie als Christin wäre ein Schwangerschaftsabbruch
       nicht in Frage gekommen. Wie sollten Abbrüche in Deutschland geregelt
       werden? 
       
       Ich hätte niemals ein Kind abtreiben können. Ich finde trotzdem, dass die
       Wahlfreiheit, Kinder zu bekommen oder nicht, ein zentrales Grundrecht ist.
       
       Wollen Sie den Paragrafen 218 abschaffen? 
       
       Die Abschaffung des Paragrafen 218 ist eine Forderung der Grünen. Ich
       vertrete diese Forderung auch. Allerdings würde ich im Moment nicht dazu
       raten, diese Debatte zu öffnen. In der derzeitigen Konstellation mit einer
       starken AfD muss man sich fragen, ob die Situation für Frauen hinterher
       besser oder schlechter wäre. Unsere Position ist klar, aber wir müssen die
       Folgen im Blick haben.
       
       Sie würden weder die Debatte führen noch Gesetzesinitiativen einbringen?
       Was bringt dann eine Forderung? 
       
       Keine Sorge. Wir werden als Grüne auch Gesetzesinitiativen zum Paragrafen
       218 einbringen. Wir müssen nur sehen, wie und wann wir das machen.
       
       Vize-Parteichefin Gesine Agena hält den Paragrafen für „frauenfeindlich“.
       Gibt es bei dieser Frage einen innergrünen Dissens? 
       
       Es gibt keinen Dissens, ich bin da völlig bei Gesine. Eine Abschaffung des
       Paragrafen 218 wäre ein frauenpolitischer Meilenstein, den wir niemals aus
       den Augen verlieren dürfen. Der Kompromiss zum Paragrafen, der auf der
       Fristenregelung basiert, war in den 90ern allerdings ein mühsamer. Er wurde
       bewusst fraktionsübergreifend organisiert, damit es einen breiten Konsens
       gab, der so schnell nicht wieder angefasst werden würde. Ich rate zu
       Vorsicht. Wir haben schon beim Streit über den Paragrafen 219a gemerkt, wie
       krass die ideologische Auseinandersetzung beispielsweise von Jens Spahn
       geführt wird.
       
       Von konservativer Seite werden die Rechte von Embryonen gegenüber denen der
       Frau ins Feld geführt. Was entgegnen Sie? 
       
       Hier geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Juristisch ist das
       klar: Man kann den Schutz des Embryos nicht über die Grundrechte der Frau
       stellen. Ich würde aber immer sagen, das ungeborene Kind zu schützen, ist
       ein elementarer Aspekt. Für mich ist das einer der Gründe, warum ich keinen
       Abbruch gewollt hätte. Aber das kann ich anderen nicht auferlegen. Wir sind
       in Deutschland zudem noch lange nicht in der Situation, dass eine Frau, die
       sich in einer schwierigen Situation befindet, mit genügend Unterstützung
       beruhigt ihr Kind zur Welt bringen kann. Die Tatsache, dass beispielsweise
       kaum noch Kinder mit Downsyndrom geboren werden, erschüttert mich, sie hat
       mit gesellschaftlicher Akzeptanz zu tun. Und das liegt nicht am 218, das
       liegt an einer absurden Erwartung von Perfektion und Unversehrtheit, die
       ausgerechnet wieder Frauen auferlegt wird.
       
       In Deutschland gibt es Gegenden, in denen Frauen im Umkreis von hundert
       Kilometern keinen Zugang mehr zu ÄrztInnen haben, die
       Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Müsste die Debatte nicht allein deshalb
       doch geführt werden? 
       
       Dass es mehr Versorgungssicherheit für Frauen geben muss, ist unstrittig.
       Wir können keiner Frau in einer eh schon schwierigen Lebenslage zumuten,
       weite Reisen auf sich zu nehmen.
       
       Es gibt sie aber nicht. 
       
       Es gibt sie vor allem in ländlichen Regionen nicht, das hat auch die
       [2][gerade veröffentlichte Liste der Bundesärztekammer] gezeigt. Das ist
       eine unhaltbare Situation, für die jetzt sehr schnell und sehr konkret die
       Gesundheitsministerien in Bund und Ländern Abhilfe schaffen müssen. Aber
       mit einer abstrakten Grundsatzdiskussion im Bundestag wäre zur Zeit keiner
       Frau geholfen. Nachher könnte es schwieriger sein als vorher.
       
       Bedeutet das, dass Sie warten wollen, bis Ihre Gegner netter sind? 
       
       Nein, wir wollen die gesellschaftliche Mehrheit hinter uns bringen. Die
       Zukunft ist feministisch.
       
       4 Aug 2019
       
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