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       # taz.de -- Naturschutz versus Energiewende: Ökos bremsen Ökostrom
       
       > Der Naturschutzbund Nabu ist für die Energiewende, will aber fast 100
       > Windanlagen verhindern. Die Industrie spricht von einer „Klagewelle“.
       
   IMG Bild: Sorgt immer wieder für Klagen: Windanlagen töten Vögel
       
       Eine außergewöhnliche Protestveranstaltung fand Ende Juni in Berlin statt.
       Anstatt Subjekt war der Naturschutzbund (Nabu) diesmal Objekt des Unmuts.
       Anlässlich des 120-jährigen Jubiläums der Organisation stand eine bunte
       Gruppe mit Transparenten und Plakaten vor seiner Tür. Sie warf den
       Naturschützern vor, den Ausbau der Windenergie zu verhindern – und damit
       den Schutz des Klimas zu hintertreiben.
       
       Die Aktion sagt viel über den Stand der Energiewende in Deutschland.
       Während die Bundesregierung bis 2030 deutlich mehr Windstrom produzieren
       lassen will, werden zurzeit kaum noch Windräder gebaut. Im ersten Halbjahr
       dieses Jahres gingen bundesweit 86 neue Rotoren in Betrieb. Eigentlich
       müssten für die Klimaziele jedes Jahr 1.000 bis 1.500 errichtet werden.
       
       Ein wesentlicher Grund des augenblicklichen Stillstands seien zahlreiche
       Klagen gegen Windanlagen vor Gericht, sagen deren Betreiber. „Die
       Klagewelle hat inzwischen eine verheerende Wirkung“, schrieb Johannes
       Lackmann, Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Unternehmens
       Westfalenwind, an das Bundesumweltministerium. Naturschützer kämpften
       juristisch um jeden einzelnen Vogel, der im Umkreis von geplanten
       Kraftwerken lebe. Artenschutz werde „instrumentalisiert“, um Windanlagen
       (WEA) grundsätzlich zu verhindern und das „historische
       Landschaftsbildklischee“ des unverstellten Blicks über bewaldete
       Hügelketten zu verteidigen. Dirk Ihmels von der WEA-Firma Innovent sagte:
       „Ich habe den Eindruck, dass der Nabu in Niedersachsen strategisch gegen
       Windanlagen klagt.“
       
       Die Fachagentur Windenergie, getragen von Staat, Verbänden und Firmen, hat
       in einer aktuellen Umfrage 325 Windanlagen bundesweit erfasst, deren
       Betreiber juristische Probleme haben. Im Vergleich zu den insgesamt rund
       30.000 Rotoren an Land klingt das nicht viel – im Verhältnis zum
       augenblicklich langsamen Zubau ist es eine Menge. Von den 325 werden 198
       derzeit durch Umwelt- und Artenschützer beklagt. In 93 Fällen – knapp einem
       Drittel – seien die Verfahren „einem einzelnen, bundesweit tätigen Verband“
       zuzurechnen, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – dem Nabu.
       
       ## Schutz von Rotmilan, Wiesenweihe und Wachtel
       
       Inga Römer vom Nabu-Bundesverband bestätigt die Zahl im Prinzip.
       Gegenwärtig betreibe man 24 Klagen. Pro Verfahren seien im Durchschnitt
       vier bis fünf Rotoren betroffen. Einen Gutteil davon listet der Nabu
       Nordrhein-Westfalen auf seiner Internetseite auf. Als Grund für das
       Verfahren gegen den Windpark Rotes Land in Marsberg, Hochsauerlandkreis,
       heißt es beispielsweise: „Schutz der Brutvorkommen geschützter Arten wie
       Rotmilan, Wiesenweihe und Wachtel, Schutz von Rastgebieten unter anderem
       des Mornellregenpfeifers“.
       
       Dass der Naturschutzbund allerdings „strategisch“ Kraftwerke zu verhindern
       versuche, weist Römer zurück. Aktiv werde man nur, wenn der Artenschutz im
       konkreten Fall juristisch verletzt werde und es „qualitative Mängel“ in der
       Planung gebe. Grundsätzlich und offiziell sieht der Nabu keinen Widerspruch
       zwischen der Energiewende und dem Naturschutz. Der Verband unterstütze das
       Ziel der Bundesregierung, den Anteil von Ökostrom am Elektrizitätsverbrauch
       bis 2030 auf 65 Prozent anzuheben.
       
       Laut Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) müssten dafür von nun an
       größenordnungsmäßig 1.500 Windräder pro Jahr bundesweit gebaut werden. Auch
       diese Zahl zieht Nabu-Frau Römer nicht in Zweifel, sagt allerdings, sie
       könne durch Energieeinsparung und mehr Sonnenzellen auf Hausdächern auch
       sinken. Und sie mahnt eine bundesweite Flächenplanung für den Ausbau der
       Ökokraftwerke an.
       
       Theoretisch mögen sich Energiewende, Arten- und Landschaftsschutz
       miteinander verbinden lassen. Konkret ist das jedoch oft schwierig, wie die
       zahlreichen Klagen von Nabu-Landesverbänden und anderen Umweltschützern
       zeigen. Um das Problem anzugehen, startet jetzt Niedersachsen einen runden
       Tisch. Seit April dieses Jahres treffen sich dazu unter anderem die Wind-
       und Naturschutzverbände, die Landesregierung und die Kommunen.
       
       Zunächst gehe es erst mal darum, wieder eine Gesprächsebene ohne
       juristischen Streit zu finden, sagte Silke Weyberg vom Landesverband
       Erneuerbare Energien. Und dann sind Kompromisse im Einzelfall nötig. Nicht
       jeder Rotmilan wird überleben und nicht jedes Windrad so gebaut werden wie
       geplant.
       
       5 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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