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       # taz.de -- William Saroyans Buch „Tja, Papa“: Der Geschmack eines Hotdogs
       
       > Ein kalifornisch-leichtes Freundlichkeitsexerzitium, das eigentlich
       > Großes verhandelt. Und eine phänomenale Wiederentdeckung: William
       > Saroyan.
       
   IMG Bild: Ein relevantes Thema: die Geldsorgen des Vaters und Peters Schulhass – William Saroyan, ca. 1960
       
       Einer der bekanntesten US-Literaten Mitte des 20 Jahrhunderts wird gerade
       wieder entdeckt. William Saroyan, Kind armenischer Einwanderer, hat in
       Romanen, Stücken und vor allem in seinen Short Stories den
       entbehrungsreichen, aber auch von großer Solidarität und Empathie geprägten
       Alltag der Migranten porträtiert.
       
       Saroyan ist ein Hagiograph des Gewöhnlichen, seine Prosa zelebriert das
       Profane und leitet aus der dort entdeckten Schönheit und Humanität die
       Hoffnung ab, dass sich das Leben trotz existenzieller Notlagen, viele
       seiner Geschichten spielen in der Zeit der „Great Depression“, doch
       irgendwie lohnt. Die in seinen Texten stets zum Ausdruck kommende
       optimistische Lebensbejahung hat die Wirklichkeitsekstatiker der Beat
       Generation, allen voran Jack Kerouac, aber auch J. D. Salinger beeinflusst.
       
       Jetzt hat der Deutsche Taschenbuch Verlag, dem wir schon die im vorletzten
       Jahr erschienene vorzügliche Story-Sammlung „Wo ich herkomme, sind die
       Leute freundlich“ verdanken, Saroyans autobiografischen Roman „Tja, Papa“
       („Papa You’re Crazy“, 1957) herausgebracht, in der gewohnt eleganten
       Übersetzung von Nikolaus Stingl. Ein vermeintliches Nebenwerk, das aber
       aufs Ganze geht.
       
       Peters Eltern leben getrennt. Sein Vater kann seine Alimente nicht zahlen,
       also nimmt er den Sohn zu sich. Während der Schriftsteller sich
       ausgerechnet an einem Kochbuch versucht – „Essen ist das Grundlegendste im
       Leben eines Menschen“, wer das geordnet bekommt, bekommt vielleicht auch
       alles andere „neu geordnet“ –, wünscht er sich von seinem Sohn einen Roman.
       Das ist natürlich nur ein Vorwand, um Peter zu sensibilisieren für das
       Leben, für die kleinen Dinge am Wegrand, die seine volle Aufmerksamkeit
       verdienen. „So lernst du schreiben – indem du dir alles genau anschaust“,
       weiß der Schriftsteller.
       
       Die Kunst genau hinzusehen 
       
       Peter fragt seinem Vater jetzt also Löcher in den Bauch, um mit dem Roman
       voranzukommen, und der gibt altersgemäße Antworten, verhandelt also im
       Modus des Naiven die großen Themen – das Menschsein im Allgemeinen, den
       Beruf des Schriftstellers und das Schreiben im Besonderen. Nach einem
       Museumsbesuch etwa schlägt der Ältere vor, es sollte in jedem Haus „einen
       Kunsttisch geben, auf den Dinge gelegt werden, eines nach dem anderen,
       sodass sich jeder in diesem Haus die Dinge ganz genau anschauen und sie
       sehen kann“. Dinge wie ein Knopf, eine Mütze, ein Apfel, ein Blatt etc.
       
       Peters Empörung folgt auf den Fuß. „Solche Dinge hat doch jeder schon mal
       gesehen.“ „Natürlich“, antwortet der Vater beziehungsweise Zen-Meister.
       „Aber niemand schaut sie an, und genau das ist Kunst. Vertraute Dinge so
       anzuschauen, als hätte man sie noch nie gesehen … es gibt nichts Natur-
       oder Menschengemachtes, das es nicht verdient, auf besondere Weise
       angeschaut zu werden.“
       
       So erklärt sich auch die Erzählerfiktion. Ein Zehnjähriger sieht vieles
       eben tatsächlich zum ersten Mal. Zumindest sind seine Wahrnehmungsroutinen
       noch nicht so etabliert, dass ihm die Welt zu bekannt vorkommt. Er ist
       damit ein ziemlich guter Sparringspartner für einen Wahrnehmungsemphatiker.
       Saroyans säkular-spirituelle Unterweisungen, das Leben in vollen Zügen
       auszukosten, sich auch dem vermeintlich Unbedeutenden mit wachen Sinnen zu
       begegnen, sind ein bisschen zu didaktisch.
       
       Kein eskapistisches Märchen 
       
       Man bemerkt deutlich die Absicht, und das nimmt seinen profanen Epiphanien
       etwas von ihrer Wirkung. Und es sind auch nicht alle Beobachtungen so
       unprätentiös haikuhaft, wie sie zu sein vorgeben. Nicht jede Illumination
       leuchtet ein. „Das Beste am Geschmack eines Hotdogs ist die Welt“, predigt
       der Meister seinem Schüler, „und deshalb ist der richtige Ort, um einen zu
       essen, auf der Straße.“
       
       Dennoch folgt man diesen beiden kalifornischen Flaneuren ganz gern durch
       Malibu und San Francisco. Sieht ihnen über die Schulter, wie sie sich
       gegenseitig die Welt erklären oder sie erst einmal richtig bemerken. So
       besichtigen sie im Museum nicht nur Bilder und „echte Teller, Messer und
       Gabeln aus alten Zeiten“, sondern auch „zusammengefaltete
       Feuerwehrschläuche in den Fluren“.
       
       Die Protagonisten, denen sie begegnen, der Tankwart, der ihnen nicht nur
       Benzin gibt, sondern gleich auch den Wagen auf Vordermann bringt, oder das
       Bäcker-Paar, das sie aus reiner Nächstenliebe mit frischen Brötchen und
       Käse versorgt, sind ein bisschen zu sehr im Reinen mit sich. Sie scheinen
       nirgends lieber sein zu wollen als da, wo das Schicksal sie hingestellt
       hat.
       
       Doch trotz dieser idealistischen Schlagseite, ist der Roman kein
       eskapistisches Märchen. Die monetären Sorgen des Vaters bleiben ebenso
       relevant wie Peters Hass auf die Schule. „Und da war alles wieder wie eh
       und je“, stöhnt er am ersten Schultag nach den Ferien, „die Jungs, die
       Mädchen, die Lunchpakete, die Fahrräder, die Bücher, die Lehrer, der
       Vormittag, ein weiterer Schulvormittag, und jedes Gesicht bekümmert.“ Der
       kleine Ballast, den beide mit sich herumschleppen, erdet dieses
       kalifornisch-leichte Freundlichkeitsexerzitium.
       
       12 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Schäfer
       
       ## TAGS
       
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