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       # taz.de -- IS-Prozess in Hamburg: Grenzen der Gutgläubigkeit
       
       > In Hamburg steht eine mutmaßliche IS-Unterstützerin vor Gericht. Die Frau
       > will jedoch nur Zuflucht vor Islamhetze gesucht haben.
       
   IMG Bild: Verliest eine Erklärung, will sich ansonsten nicht äußern: die Angeklagte Songül G..
       
       Hamburg taz | Die Angeklagte hält die Mappe noch vor ihr Gesicht, als die
       Fotografen den Saal des Hamburger Landgerichts längst verlassen haben, sie
       hält sie sogar noch vor sich, als die drei Richterinnen die Verhandlung
       eröffnen. Es ist der Auftakt im Prozess gegen die 41-jährige Songül G.. Die
       Bundesanwaltschaft wirft G., die aus Bremen stammt und deutsche
       Staatsbürgerin ist, vor, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS)
       bei der Planung eines Anschlags unterstützt zu haben.
       
       Sie soll sich, so die Anklage, 2016 gegenüber der IS-Unterstützerin Marcia
       M. dazu bereit erklärt haben, einen nach Deutschland einreisenden IS-Mann
       und potenziellen Attentäter bei sich aufzunehmen und zu heiraten. Außerdem
       soll sie sich eine unter falschem Namen registrierte Mobilnummer verschafft
       und damit für M. Accounts bei Telegram, Whatsapp und Facebook angelegt
       haben. Marcia M., gegen die getrennt ermittelt wird, soll mit ihrem Mann
       vom syrischen Rakka aus einen Anschlag auf eine Großveranstaltung in
       Deutschland geplant haben.
       
       Songül G., so erklärt es ihr Anwalt Martin Heising, wird vor Gericht keine
       Angaben machen – zumindest vorerst nicht. Aber sie verliest eine Erklärung.
       G. trägt einen Hidschab und ein langes mit Blumen bedrucktes Gewand. Sie
       wirkt mädchenhaft, aber nicht unsicher, als sie vorträgt, welchen der
       Vorwürfe sie einräumt – und welche nicht.
       
       G. sagt, dass sie die Telefondienste Marcia M. tatsächlich zur Verfügung
       gestellt habe – aber nur, um ihre eigene Ausreise nach Syrien zu
       organisieren. Wegen zunehmender „Islamhetze“ habe sie sich in Deutschland
       nicht mehr wohlgefühlt. In Marcia M., die sie über ein Internetforum
       kennengelernt hat, habe sie lediglich eine Haus- und Ehefrau eines
       IS-Mannes gesehen, nicht aber eine eigenständige IS-Unterstützerin.
       
       ## Funktionskleidung für Syrien
       
       Und die Mobilnummer habe sie, so sagt G., nur deshalb unter falscher
       Identität angelegt, weil sie Angst vor Beobachtung durch die Behörden und
       einer Ausreisesperre gehabt habe. Dass sie nur habe ausreisen wollen, ließe
       sich auch daran erkennen, dass sich ihr Einkaufs- und Verkaufsverhalten
       nach dem mutmaßlichen Eheangebot nicht geändert habe: Sie habe weiterhin
       ihre alten Anziehsachen verkauft und Funktionskleidung für Syrien gekauft.
       
       Ein Besuch der Polizei bei ihr in Bremen 2017 habe zu einem grundsätzlichen
       Wandel geführt: Seitdem habe sie seltener „einschlägige“ Foren besucht und
       eine Ausbildung als Fahrlehrerin in Hamburg begonnen. Rückblickend habe sie
       erkannt, dass sie „manipuliert“ worden sei von der Propaganda des IS. „Ich
       schäme mich dafür“, sagt Songül G.
       
       „Ich ging davon aus, dass der IS eine gerechte Gesellschaft errichten
       wollte“; seine Gräueltaten seien nur Reaktionen auf die der Assad-Truppen
       gewesen. Der IS habe, so wisse sie nun, nichts mit dem Islam zu tun und sie
       sei froh, dass die Ausreise nach Syrien gescheitert sei und sie ihr Leben
       in Deutschland fortsetzen könne.
       
       Verteidigt wird G. von Martin Heising, einem konvertierten Muslim, der
       mehrere Frauen vertritt, denen Unterstützung des IS vorgeworfen wird.
       Heising ist auch für die Organisation [1][„Muslime an deutschen Schulen“]
       tätig, die Eltern berät. Auf deren Internetseite heißt es, dass es bei dem
       Versuch, Kinder vom Schwimmunterricht befreien zu lassen, wichtig sei,
       „dass die betreffenden Schüler oder Schülerinnen den Islam konsequent
       umsetzen.
       
       ## War sie es oder nicht?
       
       Ein Mädchen, welches mit enger Jeans und Kopftuch in die Schule kommt, wird
       sich nur schwerer auf Gründe der Schamhaftigkeit berufen können, als ein
       Mädchen, welches mit weiter Kleidung in die Schule geht.“
       
       Nach dem Ende des Prozesstages erklärt Heising den JournalistInnen auf dem
       Gerichtsflur, dass die Anklage nicht stichhaltig sei. Er wolle auf
       Freispruch plädieren. Es sei nicht nachzuweisen, dass es sich bei der
       zweiten potenziellen Ehefrau des IS-Kämpfers, von der Marcia M. gegenüber
       einer verdeckten BND-Mitarbeiterin gesprochen habe, um G. gehandelt habe.
       
       Dem widerspricht der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Stefan Biehl:
       Aufgrund der ausgewerteten Kommunikationsmittel gehe man „klar davon aus“,
       dass dies Songül G. gewesen sei.
       
       5 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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