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       # taz.de -- Zinkhütten in Niedersachsen: Gift im Blut?
       
       > Weil Anwohner am Harzrand über gesundheitliche Beschwerden klagen, will
       > das Landesgesundheitsamt Blutproben auf Schwermetalle untersuchen.
       
   IMG Bild: Auf der Suche nach Schwermetallen im Blut: Landesgesundheitsamt
       
       Göttingen taz | Vielen Menschen im nördlichen Harz und im Harzvorland
       stinkt es gewaltig. Seit Jahren beschweren sich Anwohner und Umweltschützer
       über Geruchsbelästigungen und gesundheitliche Beschwerden. Die Gerüche
       seien bei bestimmten Windlagen „kaum noch zu ertragen“, klagte etwa die
       „Aktivgruppe Gesunde Luft“, eine Initiative mehrerer Umweltverbände.
       
       Und nicht nur das. Oft komme es zu „Kratzen und Brennen im Hals,
       Hustenreiz, trockenen Schleimhäuten, brennenden Augen.“ Als Verursacher
       gelten metallverarbeitende Betriebe in der Region, die über ihre
       Schornsteine Schadstoffe an die Luft abgeben.
       
       Nun sollen sich die Einwohner von drei Ortschaften systematisch auf
       Schwermetalle im Körper untersuchen lassen. Dazu hat das niedersächsische
       Landesgesundheitsamt geraten. Die Empfehlung betrifft die Bürger des
       Goslarer Ortsteils Oker sowie der Bad Harzburger Ortsteile Göttingerode und
       Harlingerode. Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die „Aktivgruppe
       Gesunde Luft“ reagierten erfreut auf die Ankündigung.
       
       In der Zinkhütte Harlingerode wurde bis zum Jahr 2000 Zink aus Erz und
       Recyclingrohstoffen produziert. Die Zinkoxydhütte Oker stellte aus
       Schlacken und Rückständen anderer Metallbetriebe Zinkoxid her, einen
       Ausgangsstoff für Farben und andere chemische Produkte. Von 1527 bis 1970
       war außerdem die Bleihütte Oker in Betrieb.
       
       ## Grenzwerte weit überschritten
       
       Rechtsnachfolger dieser Hütten und Betreiber der Anlagen ist nun die
       Harz-Metall GmbH, eines der führenden europäischen Recyclingunternehmen für
       blei- und zinkhaltige Abfälle. In der Region residieren zudem weitere
       Fabriken und Müllverbrennungsanlagen, die mit gesundheitsschädlichen
       Substanzen hantieren.
       
       Bereits in diesem Frühjahr schlug der Bund für Umwelt und Naturschutz
       (BUND) Alarm. In Unterlagen des Gewerbeaufsichtsamtes Braunschweig fand die
       Umweltschutzorganisation nach eigenen Angaben teilweise alarmierende
       Messergebnisse: Grenzwerte für das hochgiftige Dioxin in der Abluft seien
       teilweise um das 18-fache überschritten worden.
       
       Das Gesundheitsamt selbst sah offenbar keine Gefahren für Menschen und
       Umwelt, denn die Bürger wurden nicht informiert. „Über zehn Jahre lang
       duldeten die Behörden die hohe Dioxinbelastung am Nordharz“, kritisierte
       der BUND.
       
       Harz-Metall hat ein einmaliges Überschreiten von Dioxin-Werten im Sommer
       2017 eingeräumt und sich auch dafür entschuldigt. Das sei jedoch eine
       Ausnahme gewesen. Als Grund nannte ein Sprecher einen „schlechten“
       schwefelhaltigen Petrol-Koks, der die Filterrohre verklebt habe. Das
       Unternehmen kündigte zudem Maßnahmen an, die das Einhalten von Messwerten
       garantieren sollen. Monatliche Messungen sollen für mehr Transparenz
       sorgen.
       
       ## Vorhandene Daten reichen nicht aus
       
       Der Boden im Bereich Oker und Harlingerode weist nach Angaben des
       Landkreises Goslar keine erhöhte Dioxinbelastung auf. Das hätten Proben aus
       dem Frühjahr dieses Jahres ergeben. Allerdings wurden erhöhte
       Konzentrationen von Blei, Zink, Cadmium, Kupfer und Arsen gemessen.
       
       Gleichzeitig beschloss der Goslarer Kreistag eine umweltmedizinische
       Untersuchung der Anwohner aus den drei genannten Ortschaften. Landrat
       Thomas Brych (SPD) rief eine Projektgruppe ins Leben, die das Vorgehen
       koordinieren sollte. Deren Vorschläge sind Grundlage für die nun erfolgte
       Empfehlung des Landesgesundheitsamtes.
       
       Demnach reichen bereits vorhandene Daten wie etwa ärztliche Unterlagen
       nicht aus, um das Ausmaß einer möglichen Belastung durch die Metallbetriebe
       festzustellen. Stattdessen schlagen die Gutachter ein sogenanntes
       Human-Biomonitoring vor: Dabei wird überprüft, inwieweit sich Gifte aus
       Wasser, Boden und Luft in den Körpern der Bewohner angereichert haben.
       Neben Körperflüssigkeiten können dazu auch Gewebeproben untersucht werden.
       
       Die Untersuchungen sind nach Angaben des Landkreises Goslar freiwillig und
       sollen im kommenden Jahr stattfinden. Die Bürger können dann Blut- und
       Urinproben abgeben, die im Labor auf Blei und Cadmium untersucht werden.
       Darüber hinaus sollen Fragebögen verteilt werden, um Informationen zum
       Gesundheitszustand zu sammeln.
       
       Friedhart Knolle vom BUND-Westharz und der „Aktivgruppe Gesunde Luft“
       begrüßt das geplante Vorgehen. Die Untersuchung sei ein „großer Schritt in
       die richtige Richtung“, sagte er gestern der taz. „Das ist ein Ergebnis
       unseres jahrelangen Drängens.“
       
       6 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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