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       # taz.de -- Jahrestag des Massakers in Srebrenica: Nicht in Trauer vereint
       
       > 24 Jahre nach den Gräueltaten gedenken Bosnien und Herzegowina still der
       > 8.000 Toten. Eine Ausnahme macht die serbische Teilrepublik Srpska.
       
   IMG Bild: Trauerzug für die Überreste von 33 Opfern am Dienstag in Sarajevo
       
       Split taz | Zum 24. Mal jährt sich heute (11. Juli) der Beginn des Genozids
       von Srebrenica. Wie jedes Jahr werden die noch zu beerdigenden Opfer durch
       Sarajevo geführt. Tausende Menschen standen am Mittwoch entlang der Route
       der 33 Särge. Wenn die Toten heute in Potočari bei Srebrenica beerdigt
       werden, ist die Gesamtzahl der Gräber bei 6.610 angelangt. Noch immer
       werden Tausende vermisst, noch immer finden Ermittler Leichen in
       Massengräbern.
       
       Die Gesamtzahl der damals von serbischen Truppen ermordeten muslimischen
       Männer und Jungen wird auf über 8.000 geschätzt. Der jüngste jetzt
       Beigesetzte heißt Osman Cvrk und war damals 16 Jahre alt.
       
       „Das ist eine Tragödie, die im kollektiven Gedächtnis verankert ist und
       nichts damit zu tun hat, ob es sich um bosnische Muslime, orthodoxe Serben,
       katholische Kroaten oder Atheisten handelt“, erklärte das kroatische
       Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Željko Komšić.
       „Dies ist ein kollektives Trauma in unseren Gedanken und in der Seele eines
       jeden normalen Menschen.“
       
       Das Defilee in Sarajevo vor angereisten Staats- und Regierungschefs – unter
       ihnen auch der türkische Präsident Erdoğan – war dem Ereignis angemessen.
       Es war ein stilles Gedenken. Zugleich haben sich über 5.000 Menschen aus
       der Stadt Tuzla auf den Weg gemacht, um den 100 Kilometer langen Fluchtweg
       der Männer von Srebrenica damals in umgekehrter Richtung zu begehen. Sie
       wollen bei der Beerdigung in Potočari dabei sein. Auch sie verzichteten auf
       politische Statements.
       
       ## Angemessene Erinnerungskultur
       
       So können beide Ereignisse durchaus als Beispiele für angemessene
       Erinnerungskultur gelten. Es werden nicht Revanche oder Hass gesät, sondern
       spirituelle Nähe zu den Opfern gesucht und gefunden.
       
       Leider gebe es Leute, die die Opfer ein zweites Mal verhöhnen, erklärte
       Komšić aber auch. „Es ist mental krank, die Fakten und die Wahrheit über
       die Verbrechen, die begangen worden sind, zu negieren.“
       
       Damit spielte der Politiker auf dem Umstand an, dass in der serbischen
       Teilrepublik Srpska die Ereignisse von Srebrenica nicht nur
       heruntergespielt, sondern sogar geleugnet werden. Milorad Dodik, serbischer
       Repräsentant im dreiköpfigen Staatspräsidium Bosnien und Herzegowinas und
       damit Amtskollege von Komšić, hat eine Kommission eingerichtet, die die
       Ereignisse um Srebrenica neu untersuchen soll.
       
       2004 hatte es schon eine serbische Kommission gegeben, die damals die
       Opferzahl auf 7.800 beziffert hatte. Milorad Dodik bezeichnete diesen
       Bericht von 2004 jetzt als „nicht relevant“. Auf die Kommission sei damals
       Druck seitens der internationalen Staatengemeinschaft und des damaligen
       Hohen Bosnien-Beauftragten Paddy Ashdown ausgeübt worden, sagte er. Die
       neue Kommission unter Leitung des israelischen Holocaust-Experten Gideon
       Greif soll das Massaker in Srebrenica erneut untersuchen und die serbischen
       Opfer herausstellen.
       
       ## Aus der Luft gegriffen
       
       Unbestritten hat es auch serbische Opfer gegeben, doch die bisher von
       serbischen Nationalisten genannten Zahlen von bis zu 3.500 scheint aus der
       Luft gegriffen zu sein. Sie diene nur dazu, den Genozid an den Muslimen zu
       rechtfertigen, erklären bosnische Opferverbände. Bosniaken aus den USA,
       Kanada und Österreich versuchen andererseits, die Ereignisse in Srebrenica
       für ihre politische Lobbyarbeit zu instrumentalisieren.
       
       Die Trauer, so Željko Komšić, sollte keine Frage der Ethnizität sein,
       sondern es sei eine Frage von „Zivilisation und Antizivilisation, von
       Verbrechen und Gerechtigkeit“. Was auch 24 Jahre nach dem Massaker offenbar
       in der Region nicht selbstverständlich ist.
       
       11 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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