# taz.de -- berliner verkäuferinnen – und wie sie den laden hier am laufen halten: Heute: Sibylle von der Neustadt
IMG Bild: Sibylle von der Neustadt
Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht“, meint die erfahrene Floristin,
wenn sie „Blumen Dilek“mit den deutschen Geschäften vergleicht, in denen
sie vorher gearbeitet hat. „Die hatten gerade mal 20 Rosen pro Vase, wir
haben hier 100 – und dazu viel mehr Sorten.“
Seit zwölf Jahren gehört Sibylle von der Neustadt zum Team des einzigen
Blumenladens Berlins, der 24 Stunden geöffnet hat und der entsprechend
bekannt ist beim rbb, bei Taxifahrern und in Hotels, die öfter mal zu
ungewöhnlichen Uhrzeiten opulente Sträuße brauchen. Zuerst sei es für sie
eine krasse Umstellung gewesen in einem türkischen Laden zu arbeiten, viele
Stammkunden hätten sie anfangs ignoriert. Erst nachdem die männlichen
Kollegen ihren Landsleuten versicherten, die Deutsche verstehe vom Fach
ebenso viel wie sie, „waren die Barrieren gebrochen. Inzwischen kenne ich
den Geschmack, heute ist es für mich selbstverständlich, dass wir – ich
nenn sie mal ‚Türkensträuße‘ – stets fertig zum Mitnehmen im Sortiment
haben. Gestaffelt gebunden, kontrastreich, gern zum Beispiel rote Rosen und
weiße Lilien, Manschette – und vor allem: in Folie verpackt mit Schleifen!“
Die aus Norddeutschland stammende Sibylle von der Neustadt favorisiert
Ton-in-Ton-Kompositionen, drängt ihren Geschmack aber niemandem auf. Einer
Braut, die ihre Hochzeitsdeko in Auftrag gibt, empfiehlt sie eine Symphonie
in hellem und dunklem Rosa, dazu Schleierkraut. Das würde gut zu ihr
passen, „Sie sind ja selber so zart.“ Wie das Tattoo, das unter dem Shirt
der jungen Türkin hervorblitzt. Im Beratungsgespräch wird dezent von Frau
zu Frau geflüstert, Hochzeitsflorisitik ist die Königsdisziplin. Der
Bräutigam wartet geduldig draußen, an der belebten Ecke
Adalbert-/Oranienstraße.
Die Kundschaft bei Blumen Dilek ist aber nicht nur türkisch, sondern
international – und sozial extrem durchmischt. Eine Herausforderung für
FloristInnen, denn die Sprache der Blumen funktioniert mit kulturell sehr
unterschiedlichen Codes. Angstfrei und vorbehaltlos muss man bei Blumen
Dilek sein, das äußere Erscheinungsbild der Kunden lässt in diesem Laden
keine vorschnellen Schlüsse auf ihr Kaufverhalten zu. Die Intellektuelle im
Designerfummel verlangt eine einzelne Orchidee, während ein polnischer
Bauarbeiter in Montur, ohne auf den Preis zu achten, das prächtigste
Gebinde wählt. „Und dann gibt es bei uns die Kunden, die nach 1 Uhr nachts
kommen. Während ich den Strauß binde, ruft der seine Frau an und
verspricht, ‚Schätzchen, ich komm gleich‘, aber man weiß schon: Das dauert
noch, und der braucht was in der Hand, damit zu Hause nicht rumgezickt
wird.“
Sibylle von der Neustadt war früher Kürschnerin. Als der Beruf „wegen
Tierschutz usw.“ ausstarb, suchte sie nach einer Alternative. Sie wollte
weiterhin kreativ tätig sein und machte die zusätzliche Ausbildung als
Floristin. „Auch wenn mich ab und zu Kunden mit ’ner Psychiaterin
verwechseln, ich bleibe freundlich und habe hier jeden Tag meinen Spaß. In
einem Büro würde ich eingehen wie ’ne Primel.“ Dorothee Wenner
12 Jul 2019
## AUTOREN
DIR Dorothee Wenner
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