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       # taz.de -- Sexualstrafrecht in Schweden: Passiv sein heißt nicht: ja, ich will
       
       > Das oberste Gericht fällt ein wegweisendes Urteil zum neuen
       > „Einwilligungsgesetz“. Ein Angeklagter wird zu einer mehrjährigen
       > Haftstrafe verurteilt.
       
   IMG Bild: Schweden, die Einverständnis zum Sex einfach vorauszusetzen, können im Knast enden
       
       Stockholm taz | Nur ein Ja ist ein Ja. Dieser Grundsatz gilt im
       schwedischen Sexualstrafrecht nach einer Reform von 2018, dem
       „Einwilligungsgesetz“ (samtyckeslag). Am Donnerstag fällte das oberste
       Gericht das erste und als wegweisend anzusehende Urteil zur Auslegung
       dieses Gesetzes. Ein 27-jähriger Mann wurde wegen eines Tatbestands, den
       die schwedische Juristensprache als „unachtsame Vergewaltigung“ bezeichnet,
       zu einer Haftstrafe verurteilt.
       
       Der Mann hatte bei der Frau, mit der er längere Zeit einen Kontakt über
       soziale Medien hatte, übernachtet und versucht mit ihr zu schlafen. Die
       Passivität der Frau, die er als stillschweigendes Einverständnis bewertet
       hatte, konnte nach deren Aussage aber nur als Signal verstanden werden, mit
       seinen sexuellen Handlungen aufzuhören.
       
       Sie sei so erschrocken gewesen, dass sie ihren Wunsch nicht verbal oder mit
       Abwehrhandlungen habe zum Ausdruck bringen können. Bevor sie das Bett
       teilten, habe sie ihm aber unmissverständlich klargemacht, dass sie keinen
       Sex wolle. Der Mann habe „in Ordnung“ geantwortet.
       
       Nach der vor dem 1. Juli 2018 geltenden Fassung des
       Vergewaltigungsparagrafen wäre der Mann vermutlich nicht wegen
       Vergewaltigung verurteilt worden. Bis dahin galt das Prinzip „Nein heißt
       Nein“. Der Vergewaltigungstatbestand war bei dieser Rechtslage nicht nur
       bei Gewalt oder Drohung erfüllt, sondern auch, wenn Alkohol, Drogen,
       Krankheit oder ein anderer hilfloser Zustand ausgenutzt wurde, bei dem das
       Opfer ein „Nein“ gar nicht erst zum Ausdruck bringen konnte.
       
       ## Neuformulierung der Vorschrift
       
       Diese Bedingungen hatten im jetzigen Fall aber vermutlich nicht vorgelegen.
       Gerade die Frage, wie Passivität aus anderen als den bis dahin beispielhaft
       angeführten Gründen zu beurteilen sei, hatte zur Neuformulierung des
       fraglichen Paragrafen geführt.
       
       Die Vorinstanzen hatten den Angeklagten wegen vorsätzlicher Vergewaltigung
       verurteilt. Eine Einschätzung, die das oberste Gericht jetzt nicht teilt.
       Einerseits habe der Mann allein aus der Tatsache, dass die Frau das Bett
       mit ihm teilte und nur mit Unterwäsche bekleidet gewesen sei, keine
       Zustimmung zu sexuellen Handlungen herleiten können.
       
       Andererseits hätte ihm aber nicht nachgewiesen werden können, dass er mit
       Vorsatz gehandelt habe, weshalb er wegen „grober Fahrlässigkeit“ und damit
       „unachtsamer Vergewaltigung“ zu verurteilen sei. Das Urteil lautet auf eine
       Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, weil der Mann wegen
       mehrerer Sexualdelikte angeklagt war. Den Strafwert der „unachtsamen
       Vergewaltigung“ für sich allein legte das Gericht auf acht Monate fest.
       
       Der Verteidiger des 27-Jährigen hatte zwar auf Freispruch plädiert, weil es
       für seinen Klienten nicht zu verstehen gewesen sei, was die Frau wollte,
       zeigte sich aber mit dem Urteil letztendlich zufrieden.
       
       ## Mehr Verurteilungen?
       
       Wird das „Einwilligungsgesetz“ zu mehr Verurteilungen führen? Dies zu
       beurteilen, sei es noch zu früh, meint My Hedström von der obersten
       schwedischen Anklagebehörde. Vermutlich werde das, was früher
       strafrechtlich als sexuelle Belästigung eingestuft worden sei, nun eher als
       Vergewaltigung eingeordnet werden.
       
       Die Beweislage habe sich aber nicht wirklich verändert, abgesehen davon,
       dass die Person, die sexuelle Handlungen an einer passiv bleibenden Person
       vornehme, nun zu erklären habe, warum sie diese Passivität als Zustimmung
       glaubte einschätzen zu können. Grundsätzlich gehe das Gesetz davon aus,
       dasss solche Passivität eben kein Einverständnis sei.
       
       Sven-Erik Alhem, ehemaliger Oberstaatsanwalt und Vorsitzender einer
       Vereinigung der Opfer von Straftaten sprach von einem „guten Urteil“, das
       viel Unsicherheit beseitige. „Wer eine sexuelle Handlung beginnt, hat die
       Pflicht sich zu vergewissern, dass der andere Part das auch will.“
       
       11 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
   DIR Justiz
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   DIR Sexualisierte Gewalt
       
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