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       # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Trumps Taskforce gegen Maduro
       
       > Die USA versuchen einen Regimewechsel in Venezuela herbeizuführen. Die
       > Lima-Gruppe verfolgt dabei auch eine eigene Agenda.
       
   IMG Bild: Die Diplomaten sind weg: Venezuelas Botschaft in Washington
       
       Venezuela war für Donald Trump ursprünglich kein wichtiges Thema, im
       Wahlkampf vor der Präsidentschaftswahl von 2016 erwähnte er das Land nur
       selten.
       
       Das änderte sich schlagartig im Frühjahr 2017, nachdem sich Trump ein
       paarmal mit seinem früheren republikanischen Rivalen um die
       Präsidentschaftskandidatur Marco Rubio getroffen hatte. Der Senator aus
       Florida, dessen Eltern aus Kuba stammen, verfügt über gute Verbindungen zu
       Geldgebern und Wählerschichten in Miami, die den Regierungen in Kuba und
       Venezuela feindlich gegenüberstehen. Bei diesen Treffen konnte er den
       US-Präsidenten offenbar davon überzeugen, dass ihm ein harter Kurs
       gegenüber Venezuela Wählerstimmen einbringen würde: Wenn Trump dort einen
       Regimewechsel erreichen könnte, dann würde er die nächste
       Präsidentschaftswahl im Schlüsselstaat Florida gewinnen.
       
       Präsident Trump kündigte daraufhin an, er werde die Normalisierungspolitik
       gegenüber Kuba, die sein Amtsvorgänger Obama begonnen hatte, wieder
       zurücknehmen. Zu Venezuela erklärte er, eine militärische Lösung sei immer
       noch auf dem Tisch, und verhängte weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen
       das Land, die vor allem den Öl- und Bankensektor betreffen. Und, was noch
       vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre: Die Regierungen der meisten
       wichtigen Länder Südamerikas schlossen sich Washingtons Bemühungen an,
       Präsident Nicolás Maduro zu stürzen.
       
       ## Lateinamerikas Schwenk nach rechts
       
       Lateinamerika hat sich verändert. Als Obama im Januar 2009 ins Weiße Haus
       einzog, waren in den meisten lateinamerikanischen und karibischen Staaten
       linke Regierungen im Amt, die für die Unabhängigkeit der Region von den USA
       kämpften.
       
       Zur selben Zeit, als der erste schwarze US-Präsident acht Jahre später
       wieder seine Koffer packte, schwenkte Lateinamerika erneut nach rechts.
       Zahlreiche Organisationen, mit denen die linken Regierungen die Integration
       und die Unabhängigkeit der Region hatte stärken wollen, wie die Union
       Südamerikanischer Nationen (Unasur) und die Gemeinschaft der
       Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac), waren lahmgelegt und
       drohten wieder auseinanderzubrechen. Auch der Gemeinsame Markt des Südens
       (Mercosur) nach europäischem Vorbild, dem Brasilien, Argentinien, Uruguay
       und Paraguay (früher auch Venezuela) angehören, kam nicht voran.
       
       Dagegen entstand 2012 mit der Pazifik-Allianz ein neuer Zusammenschluss von
       Staaten (Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru) zu einer Freihandelszone, die
       langfristig eine Zollunion, Reise- und Visafreiheit und einen gemeinsamen
       Börsenplatz anstrebt. Das neue Bündnis, das sich Caracas und Havanna
       gegenüber offen feindselig zeigte, verfolgte unter der Fahne des
       Neoliberalismus dieselbe Politik, die ab den 1980er Jahren 20 Jahre lang zu
       wirtschaftlicher Stagnation und wachsender Ungleichheit in Lateinamerika
       geführt hatte.
       
       Diese neue politische und wirtschaftliche Konstellation war außerordentlich
       günstig für Washington, als es gegenüber Venezuela aktiv wurde. Im August
       2017 versammelten sich die Vertreter von einem Dutzend meist konservativ
       regierter amerikanischer Länder1 in Peru, um die „Erklärung von Lima“ zu
       unterzeichnen, in der ein „Bruch der demokratischen Ordnung“ und
       Menschenrechtsverletzungen in Venezuela kritisiert wurden. Im Anschluss
       trafen sich die Staaten der Lima-Gruppe noch mehrmals, und stets ging es
       nur um ein Thema: Venezuela. Die Gefahren für Demokratie und Menschenrechte
       in Honduras oder Kolumbien, die beide der Gruppe angehören, schienen keinen
       der Mitgliedsstaaten sonderlich zu beschäftigen.
       
       Die USA sind kein Mitglied der Lima-Gruppe, doch an jeder Sitzung nehmen
       hochrangige US-Vertreter teil. Die Obama-Administration hatte seinerzeit
       die Gründung der Pazifik-Allianz begrüßt, aber ihre eigene Rolle dabei eher
       diskret gehandhabt. Trumps Regierungsmannschaft dagegen verhielt sich ganz
       anders: Sie nutzte jede Gelegenheit, um die Erklärungen der Lima-Gruppe zu
       verbreiten und damit den Eindruck zu erwecken, es gebe einen regionalen
       Konsens in der Venezuela-Frage. Auch die wichtigsten Medien zogen mit und
       interessierten sich nicht weiter für die weitgehende ideologische
       Uniformität der Gruppe.
       
       Im Januar 2019 ernannte sich der venezolanische Oppositionspolitiker Juan
       Guaidó selbst zum Interimspräsidenten und wurde umgehend von den USA und
       der Lima-Gruppe anerkannt. Sie forderten die Streitkräfte des Landes auf,
       Präsident Maduro zu stürzen, da seine Wiederwahl im Mai 2018 nicht gültig
       gewesen sei.
       
       Als einziges Land distanzierte sich Mexiko von der offiziellen Parteinahme
       der Gruppe; dort hatte im Dezember 2018 der neue und eher linke Präsident
       Andrés Manuel López Obrador sein Amt angetreten. Gemeinsam mit Uruguay, wo
       eine progressive Regierung an der Macht ist, bot sich Mexiko als Vermittler
       für Verhandlungen an: Anfang Februar tagte in Montevideo eine
       internationale Kontaktgruppe, an der auch die EU beteiligt war, um
       Venezuela aus der Krise zu helfen.
       
       ## Aggressor Washington
       
       Die Lima-Gruppe lieferte zunächst die entscheidende regionale Unterstützung
       für die US-Regierung. Doch Washington verhielt sich trotz des
       Entgegenkommens seiner Partner und der für die USA überaus günstigen
       politischen Großwetterlage auf dem Südkontinent so aggressiv, dass es nach
       und nach seine Unterstützer verprellte. Als Guaidó die Möglichkeit einer
       militärischen Intervention aus dem Ausland öffentlich in Betracht zog,
       verurteilten die Staaten der Lima-Gruppe am 15. April scharf „jede Drohung,
       die auf einen bewaffneten Angriff auf Venezuela zielt“. Und als Trump
       ebenfalls Pläne für den Einsatz militärischer Gewalt verlauten ließ,
       bestätigten sie diese Position noch einmal.
       
       Als sich in Venezuela ein politisches Patt abzeichnete, sprach sich die
       Lima-Gruppe für eine Verhandlungslösung aus, die die USA jedoch
       verweigerten: Washington wollte den Regimewechsel. Am 30. April rief Guaidó
       zum Volksaufstand auf, der allerdings ausblieb. Daraufhin wandte sich die
       Gruppe an Kuba und bat Havanna, zu vermitteln. Diese Idee wiederum empörte
       Trumps Mannschaft, zu der auch – als Sonderbeauftragter für Venezuela –
       Elliott Abrams gehört. [1][Abrams ist bekannt dafür, dass er in den 1980er
       Jahren den Terror der Todesschwadronen in Mittelamerika unterstützt hat und
       entscheidend an der Iran-Contra-Affäre beteiligt war.] Er behauptete, Kuba
       habe Soldaten und Agenten in Venezuela stationiert, um Maduro zu
       unterstützen. Die US-Geheimdienste konnten jedoch keine konkreten Beweise
       für diese Behauptung finden.
       
       Der kanadische Premierminister Justin Trudeau nahm dann tatsächlich im
       Namen der Lima-Gruppe Kontakt zur kubanischen Regierung auf, um sie als
       Vermittlerin einzubinden – obwohl ihn US-Vizepräsident Mike Pence vor dem
       „unheilvollen Einfluss“ Kubas auf Venezuela gewarnt hatte.
       
       Die Länder der Lima-Gruppe weigerten sich auch, die von Washington
       geforderten Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela umzusetzen. Selbst die
       folgsamsten lateinamerikanischen Konservativen zeigten sich zunehmend
       entrüstet über den interventionistischen Kurs der Trump-Regierung. Trumps
       Sicherheitsberater John Bolton verstärkte ihre Besorgnis noch, als er sich
       im April in Miami zur Monroe-Doktrin bekannte: „Heute verkünden wir stolz,
       dass alle es hören: Die Monroe-Doktrin ist lebendig und sie ist eine gute
       Doktrin.“ Vor 200 Jahren definierte diese auf US-Präsident James Monroe
       zurückgehende Doktrin Lateinamerika als „Hinterhof“ der USA und diente
       seither immer wieder zur Rechtfertigung von US-Interventionen auf dem
       Südkontinent.
       
       Zudem hatte Bolton schon am 24. Januar dem Sender Fox Business erklärt,
       eines der wichtigsten Motive der USA in Bezug auf Venezuela seien die
       Ölreserven des Landes, denn es „würde für die USA wirtschaftlich einen
       großen Unterschied machen, wenn die US-Ölkonzerne in Venezuela investieren
       und die Ressourcen ausbeuten könnten“.
       
       ## Freihandelsabkommen mit der EU
       
       Zu den geopolitischen Differenzen zwischen Mitgliedern der Lima-Gruppe und
       den USA kamen bald auch noch gegenläufige wirtschaftliche Interessen. Bei
       ihrem Amtsantritt hatten einige der neuen rechten Regierungschefs in
       Lateinamerika viel Wert darauf gelegt, ebenfalls Freihandelsabkommen mit
       den USA abzuschließen. Für sie war es eine große Enttäuschung, dass mit
       Trump ein Republikaner mit merkantilistischen Neigungen ins Weiße Haus
       einzog. Bald schon war das Thema Freihandel von den Tagesordnungen der
       bilateralen Treffen verschwunden. Stattdessen schloss der unter neuen
       politischen Vorzeichen wiederbelebte Mercosur Ende Juni ein
       Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union.
       
       Die US-Regierung kümmerte sich viel zu wenig um ihre südlichen
       Bündnispartner, die sie schon fest in der Hand zu haben glaubte. Trump
       sagte mehrere Reisen in die Region ab, zwei nach Kolumbien und eine weitere
       zum achten Amerika-Gipfel in Peru im April 2018 – und das, obwohl auf der
       Tagesordnung ein Punkt stand, der für das State Departement verlockend
       klingen musste: Wie werden wir Maduro los?
       
       Seit seinem Amtsantritt hat Trump Lateinamerika bislang nur ein einziges
       Mal besucht: im Dezember 2018 zum G20-Gipfel in Buenos Aires. Auch zeigte
       sich der US-Präsident im Umgang mit seinen Bündnispartnern keineswegs
       charmanter als im Umgang mit seinen Gegnern. So erklärte er am 29. März,
       der kolumbianische Präsident Iván Duque, ein rechter Hardliner, habe
       „nichts getan“, um die Kokain-Industrie auszutrocknen, und sorgte damit für
       Entsetzen bei hochrangigen US-Diplomaten, die Kolumbien als wichtigsten
       politischen und militärischen Bündnispartner in Südamerika betrachten.
       
       Trumps Entourage bemühte sich indes, durch mehrere Reisen die Spannungen
       beizulegen. Vizepräsident Pence begab sich fünfmal nach Südamerika,
       Außenminister Pompeo, der bereits als CIA-Chef in Kolumbien und Mexiko
       gewesen war, flog in seinem ersten Jahr als Minister sechsmal in die
       Region. [2][Und Bolton besuchte unter anderem Brasilien, wo er den
       rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro als „gleichgesinnten Partner“ lobte.]
       
       Diese Anstrengungen halfen im Endeffekt jedoch nur wenig: Trumps offene
       Geringschätzung Lateinamerikas brachte die konservativen Regierungschefs in
       eine unhaltbare Situation. Für sie war die Führungsrolle der USA
       selbstverständlicher Teil ihrer Politik gewesen – in der Hoffnung, selbst
       möglichst viel Nutzen daraus zu ziehen. Doch nun wurde es ihnen schwer
       gemacht, sich geopolitisch unter Führung der USA zu positionieren.
       
       ## In der Zwickmühle
       
       Die mageren Ergebnisse der neu gegründeten regionalen Institutionen sind
       das beste Beispiel für diese Sackgasse. In den acht Jahren ihres Bestehens
       gelang der Pazifik-Allianz von ihren großen Vorhaben lediglich die
       Integration der Kapitalmärkte, ohne dass dies zu einer Stärkung der
       Volkswirtschaften geführt hätte.
       
       Und die Lima-Gruppe entstand allein mit Blick auf die Venezuela-Krise,
       ihren einzigen Daseinszweck; derzeit steckt sie in der Zwickmühle zwischen
       ihrer eigenen Forderung nach einem Regimewechsel und dem blinden
       Radikalismus Washingtons. Von den vielversprechenden Bemühungen um eine
       friedliche Lösung, nämlich Gesprächen, wie sie in Norwegen vorbereitet
       wurden, hält sie sich fern.
       
       Die neueste regionale Organisation heißt Prosur: Forum für Fortschritt und
       Entwicklung in Südamerika. Das Bündnis wurde im März 2019 von Argentinien,
       Brasilien, Ecuador, Guyana, Paraguay und Peru gegründet und verfolgt
       hauptsächlich die Absicht, die Unasur noch ein bisschen mehr in Misskredit
       zu bringen.
       
       Das Zurückdrehen der linken Wirtschafts-, Sozial- und Geopolitik allein
       wird allerdings kaum als gemeinsames Programm der Rechten beider Amerikas
       ausreichen. Mittlerweile hat man den Eindruck, dass einzig die
       Venezuela-Krise bei den Konservativen beiderseits des Rio Grande noch eine
       Art von Zusammenhalt hervorruft.
       
       Aus dem Französischen von Sabine Jainski
       
       18 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5575895
   DIR [2] https://www.politico.com/story/2018/11/01/bolton-brazil-bolsonaro-partner-954629
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Main
       
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