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       # taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Erol Önderoğlu freigesprochen
       
       > Angeblicher Terrorverdacht: Drei Jahre lang war das Verfahren gegen
       > Journalist*innen und Aktivist*innen in der Schwebe.
       
   IMG Bild: Protest für die Freilassung der Verhafteten im Juni 2016
       
       Istanbul taz | Ab und zu ist selbst die türkische Justiz noch für eine
       Überraschung gut. Am Mittwochvormittag wurden [1][der türkische Vertreter
       von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu], der Journalist und Autor Ahmet
       Nesin, und die Professorin und Menschenrechtsaktivistin Şebnem Korur
       Fincancı vom Vorwurf der Terrorpropaganda freigesprochen.
       
       Die drei Angeklagten gehören zu einer größeren Gruppe prominenter
       Journalisten, Autoren und Menschenrechtsaktivisten, die sich vor einigen
       Jahren an einer [2][Solidaritätskampagne für die mittlerweile verbotene
       kurdische Tageszeitung Özgür Gündem] beteiligt hatten. Weil Özgür Gündem
       stark verfolgt wurde und nicht nur polizeilichen und staatsanwaltlichen
       Repressionen ausgesetzt war, sondern auch mehrere Reporter der Zeitung
       angegriffen und in einigen Fällen sogar ermordet worden waren, hatten
       Prominente jeweils für einen Tag symbolisch die Chefredaktion der Zeitung
       übernommen.
       
       Während Önderoğlu, Nesin und Fincancı jetzt freigesprochen wurden, stehen
       andere wegen desselben Vorwurfs noch immer vor Gericht oder sind bereits
       verurteilt oder haben lange in Untersuchungshaft gesessen. Die bekannteste
       von ihnen ist die Schriftstellerin [3][Aslı Erdoğan, die sechs Monate in
       U-Haft, davon eine Zeit in Isolationshaft, eingesperrt worden war, bevor
       sie auf massiven internationalen Druck freigelassen wurde] und nach Europa
       ausreisen konnte. Aslı Erdoğan lebt und arbeitet jetzt in Frankfurt.
       
       Erol Önderoğlu, Sebnem Fincancı und Ahmet Nesin waren ebenfalls kurzzeitig
       in U-Haft, kamen aber wiederum nach heftigen internationalen Protesten bald
       auf freien Fuß. Ihr Prozess begann im November 2016. Alle drei sind
       bekannte Persönlichkeiten in der Türkei. Ahmet Nesin ist der jüngere Sohn
       eines der bekanntesten türkischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts,
       Aziz Nesin. Şebnem Korur Fincancı, Professorin für Pathologie an der
       Universität Istanbul, ist Mitbegründerin der türkischen
       Menschenrechtsstiftung und hat sich als Pathologin einen Namen gemacht,
       weil sie Folteropfer untersucht und Folterspuren nachgewiesen hat.
       
       ## Opfer des Ausnahmezustands
       
       Erol Önderoğlu ist der Türkeivertreter von Reporter ohne Grenzen und
       gehörte damit jahrelang zu den engagiertesten Verfechtern der
       Pressefreiheit in der Türkei. Schien er zunächst durch seinen Status als
       Mitarbeiter der internationalen Organisation geschützt, wurde er nach dem
       Putschversuch im Juli 2016 und dem anschließenden Ausnahmezustand, in dem
       über 100 Medien geschlossen wurden, selbst angeklagt.
       
       Alle drei jetzt freigesprochenen Angeklagten wurden damit Opfer der
       Repression, die im Ausnahmezustand fast flächendeckend alle gegenüber der
       Regierung Erdoğan kritischen Stimmen betraf. Hunderte Journalisten wurden
       entlassen, über hundert festgenommen und meist wegen Terrorpropaganda
       angeklagt. Neben kurdischen Journalisten betraf das vor allem Journalisten
       von linken Medien wie Cumhuriyet oder Bir Gün und darüber hinaus alle
       Journalisten, die in Gülen-Medien aktiv waren.
       
       Dass Erol Önderoğlu, Şebnem Korur Fincancı und Ahmet Nesin jetzt
       freigesprochen wurden, kann nach den Wahlsiegen der Opposition bei den
       Kommunalwahlen als weiteres Zeichen dafür gewertet werden, dass sich die
       Stimmung in der Türkei ändert und Erdoğan Allmacht allmählich schwindet.
       
       17 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /RoG-Vertreter-zu-tuerkischen-Ermittlungen/!5446276
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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