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       # taz.de -- Von der Leyen als EU-Kommissionschefin: An der Macht und unter Druck
       
       > Ursula von der Leyen muss als Kommissionspräsidentin nun schnell an die
       > Arbeit. Die Frage ist, ob sie mit europafeindlichen Kräften paktieren
       > könnte.
       
   IMG Bild: Auch Silvio Berlusconi freut es offensichtlich, dass Ursula von der Leyen gewählt worden ist
       
       Brüssel taz | Die Wahl ist gelaufen, doch Ursula von der Leyen kommt nicht
       zur Ruhe. Nicht einmal 24 Stunden nachdem [1][die CDU-Politikerin mit
       äußerst knapper Mehrheit zur Präsidentin der Europäischen Kommission
       gewählt worden war], stand sie schon wieder unter Druck. Das EU-Parlament,
       aber auch die 28 EU-Staaten drücken aufs Tempo.
       
       „Ich hoffe, dass die Kommission so schnell wie möglich die Arbeit aufnehmen
       kann“, sagte der Präsident des EU-Parlaments, David Sassoli, am Mittwoch in
       Straßburg. [2][Auf die erste Frau an der Spitze der Brüsseler Behörde komme
       viel Arbeit zu], der Brexit und das neue EU-Budget für die Jahre 2021 bis
       2027 könnten nicht warten. Deshalb solle von der Leyen schleunigst ihr Team
       bilden.
       
       Auch die Mitgliedstaaten haben es eilig. Noch bevor die neue Kommission am
       1. November ihre Arbeit aufnimmt, wollen sie Taten sehen. Einige Staaten
       verlangen, dass von der Leyen ihnen wichtige Ressorts zuweist. Andere
       erwarten, dass sie Absprachen honoriert, die mit ihrer umstrittenen
       Nominierung verbunden waren.
       
       So würde Frankreich gern den nächsten Generalsekretär der Kommission
       stellen. Der bisherige Amtsinhaber, der umstrittene deutsche Jurist Martin
       Selmayr, räumt seinen Posten, nachdem ihm von der Leyen bedeutet hatte, in
       der Führungsetage der EU-Behörde sei nur Platz für eine Deutsche. Präsident
       Emmanuel Macron lauert seit Langem auf eine Gelegenheit, Selmayr
       auszuwechseln.
       
       ## Wenig „Beinfreiheit“ für von der Leyen
       
       Italien hätte gern einen mächtigen Wirtschaftskommissar, Polen und Ungarn
       hoffen auf Nachsicht bei den laufenden Rechtsstaatsverfahren. Dänemark und
       die Niederlande erwarten, dass ihre EU-Kommissare – Margrethe Vestager und
       Frans Timmermans – zu mächtigen Vizepräsidenten ernannt werden. Und Spanien
       pocht auf den EU-Beschluss, Josep Borrell zum Außenbeauftragten zu machen.
       
       Viel „Beinfreiheit“ bleibt von der Leyen also nicht mehr, zumal sie ein
       Wahlversprechen einlösen will: Mindestens die Hälfte ihrer Kommission soll
       weiblich sein. Bisher haben die Staaten aber kaum Frauen nominiert. Im
       Zweifel werde sie nicht zögern, mehr Frauen anzufordern, erklärte von der
       Leyen bei ihrer Bewerbungsrede am Dienstag.
       
       Doch zunächst hat sie selbst ein Problem: Denn nach der Besetzung des Teams
       müssen die Kommissarinnen und Kommissare auch noch die Anhörungen im
       Europaparlament bestehen. Doch was passiert, wenn Länder wie Ungarn oder
       Italien rechtslastige Politiker nominieren? Was ist, wenn ein Land sich
       weigert, nicht mehrheitsfähige Bewerber zurückzuziehen?
       
       ## Hoher Preis für Unterstützung?
       
       Dies dürfte der erste Härtetest für die neue EU-Präsidentin werden; er
       kommt kurz nach der Sommerpause im September. Von der Leyen steht dabei
       unter besonderer Beobachtung. Denn sie kann sich nicht auf eine
       proeuropäische Mehrheit im Europaparlament stützen. Vielmehr steht sie
       unter Verdacht, mithilfe von Populisten und Nationalisten an die Macht
       gekommen zu sein.
       
       Schon vor ihrer Wahl haben Sozialdemokraten und Grüne gewarnt: Die
       osteuropäischen Visegrád-Länder könnten einen hohen Preis dafür verlangen,
       dass sie von der Leyen unterstützt haben. Ungarns Regierungschef [3][Viktor
       Orbán hatte sich sogar damit gebrüstet, die Deutsche aufs Schild gehoben zu
       haben].
       
       „Mehrheit ist Mehrheit“, bürstete von der Leyen kritische Nachfragen ab.
       Doch nach der knappen Abstimmung – sie bekam nur neun Stimmen mehr als
       nötig – richten sich die Blicke mehr denn je auf das rechte und
       EU-kritische Lager im Europaparlament. Die große Frage ist, ob sich die
       neue Kommissionschefin in den nächsten fünf Jahren auf wechselnde
       Mehrheiten stützt – und dabei auch mit Populisten und Nationalisten
       paktieren könnte.
       
       ## Schützenhilfe von verschiedenen Seiten
       
       Mehrere Wortmeldungen und Berichte scheinen diese Sorge zu bestätigen.
       „Manfred Weber wollte nicht mit den Stimmen der Fidesz Kommissionspräsident
       werden, aber von der Leyen wurde es, und jetzt gratulieren wir ihr
       gemeinsam“, erklärte die ungarische Justizministerin Judit Varga. Offenbar
       haben die 13 Fidesz-Abgeordneten geschlossen für die neue Frau in Brüssel
       gestimmt – und das, obwohl Fidesz offiziell von der Europäischen
       Volkspartei suspendiert ist, der auch die CDU angehört.
       
       Auch aus Polen erhielt von der Leyen Schützenhilfe. „Ohne die Stimmen der
       PiS wäre von der Leyen nicht Kommissionspräsidentin geworden“, behauptet
       Krzysztof Szczerski, der Kabinettschef von Polens Präsident Andrzej Duda.
       Zuvor hatte die Welt berichtet, das CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am
       Sonntag bei einem Geheimbesuch in Warschau bei Pis-Chef Jaroslaw Kaczyński
       um Stimmen geworben habe.
       
       Auch Kanzlerin Angela Merkel soll sich eingeschaltet haben, um die Wahl
       ihrer Parteifreundin zu sichern. Das würde nicht nur zeigen, wie wichtig es
       Merkel war, dass erstmals seit 50 Jahren wieder Deutschland das mächtigste
       Amt in Brüssel besetzt. Der ungewöhnliche Einsatz der Kanzlerin wirft auch
       die Frage nach möglichen Gegenleistungen auf. Auch hier lastet der Druck
       vor allem auf von der Leyen.
       
       Ihre knappe Mehrheit könnte sich noch als Fluch erweisen, der die Bildung
       der neuen EU-Kommission erschwert und die Zusammenarbeit mit dem Parlament
       belastet. Von der Leyen steht vom ersten Tag an unter großem Druck, eine
       Schonfrist ist ihr nicht gegönnt.
       
       17 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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