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       # taz.de -- Neues Album der Violent Femmes: Sex, Tod und Religion
       
       > Die US-Cowpunk-Band Violent Femmes veröffentlicht mit „Hotel Last Resort“
       > ein neues Album, das den Sound verfeinert und behutsam modernisiert.
       
   IMG Bild: Gordon Gano, zweiter von links, und seine Violent Femmes
       
       Wie lange eine Pubertät dauert, bestimmen nicht allein die Hormone. Auch
       Stimmbänder haben Einfluss. Gordon Gano etwa singt auch mit Mitte 50 noch
       so nasal gepresst, dass das Gros seiner Hörerschaft sich unmittelbar
       zurückversetzt fühlt: Auf Partys, die von ungeübtem Alkoholkonsum und der
       verstörenden Anziehungskraft unerreichbarer Geschlechtspartner bestimmt
       waren. In Jugendzimmer, die von Unverstandensein, Verlangen und dem
       undefinierten Wunsch nach Ausbruch zeugen.
       
       Ganos Band Violent Femmes lieferten mit ihrem 1983 erschienen
       Veranda-Folk-Punk-Debüt und ihren, auf Kassetten weitergereichten Hits wie
       „Blister in the Sun“, „Gone Daddy Gone“ und „Good Feelings“ den Soundtrack
       zu prägenden Momenten etlicher Adoleszenzen.
       
       Die Rolle als größte Mixtape-Band der mittleren Achtziger spricht an sich
       gegen eine nachhaltige Karriere. Auch wenn die Femmes mehr einem
       Lebensabschnitt als einem Jahrzehnt zuzuordnen sind, ist es doch
       verblüffend, dass sie nun mit ihrem neuen, insgesamt zehnten Album eines
       ihrer besten abliefern. Das Kunststück gelingt, indem Gano zusammen mit
       Gründungsbassist Brian Ritchie und zwei weiteren Mitmusikern den eigenen
       Sound und Stil der Band gleichzeitig verfeinern und verändern.
       
       ## Erdiges Schrumm-Schrumm
       
       Schon der Auftaktsong „Another Chorus“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie
       „Hotel Last Resort“ gewieft Bekanntes an Überraschendes knüpft. Über dem
       erdig reduzierten Akustik-Schrummschrumm mit dem Violent Femmes bekannt
       wurden, morpht sich Gano, der eigentlich Gospelfan ist, in einen Rapper.
       Als reimt er über jüngere Konzertbesucher, die sich über vermeintlich
       langweilige Refrainstrukturen auslassen. Zusammen mit der Band stimmt Gano
       lauthals die Hookline an, die sich hervorragend zum Mitsingen eignet.
       Coca-Cola wechselt ja auch nicht die Rezeptur, nur weil ein paar Leute
       Zuckerbrause doof finden.
       
       Das ist weder das Ende der Hits noch der Überraschungen. Das flotte [1][„
       It's All or Nothing“] lädt schon beim ersten Durchgang mit Breaks zum
       Handclapping ein. Die Neuauflage des Mitte der 90er erstmals
       veröffentlichten „I’m Nothing“ klingt, als würde eine Cowpunk-Band die
       kalifornischen Artschool-Minimalisten Urinals intonieren. Tatsächlich
       spielen die Femmes hier aber ein herzrührendes Cover der griechischen
       Rockband Pyx Lax („I’m not gonna cry“) und ein rätselhaftes von Irving
       Berlin. Dessen „God Bless America“ schließt das Album mit einem
       düster-jazzigem Improvisationsteil und ein paar Fragezeichen.
       
       Eigentlicher Höhepunkt aber ist das Titelstück: fünf Minuten Twilight-Pop
       („I’ve become invisible because one is not divisible“), verziert mit den
       mäandernden Hooks des gastierenden Television-Gründers und Gitarristen Tom
       Verlaine und gebaut um einen surrealen Textfluss. Er reicht von Václav
       Havel über ein sinkendes Schiff bis zu den klassischen Themen des
       Baptistenprediger-Sohns Gano : Sex, Tod und Religion. David Lynch könnte
       einen verstörenden Film daraus entwerfen. Das trashige Albumcover muss als
       Referenz an ihre Wurzeln im Punk verstanden werden, doch „Hotel Last
       Resort“ bleibt ein klassisches Violent-Femmes-Album.
       
       ## Kluger Humor
       
       In 40 Minuten und 13 Songs umreißt es perfekt den eigenen Kosmos, den diese
       Band trotz aller Differenzen zwischen Gordon Gano und Brian Ritchie
       entworfen hat, seit sie Anfang der 80er Jahre in einer Fußgängerzone
       Milwaukees entdeckt wurde. Da sind die Hillbilly- und Folk-Roots, bei denen
       Gano oft wie ein leicht alberner Dylan klingt, da sind die Texte mit dem
       klugen Humor aus der Klasse Jonathan Richmans, und da sind vor allem Songs,
       die sich schon nach zwei, drei Durchgängen im Gehör festhaken und zum
       Mitsummen animieren.
       
       Getragen werden sie von einem massiven Akustikbass auf den statt Saiten
       scheinbar armdicke Ankertaue gespannt sind, dem winzigen
       Stand-up-Schlagzeug, das auch mal durch eine mexikanische Cajon oder, wenn
       nötig, einen Kugelgrill ersetzt wird und dem Vorläufer all dieser kauzigen
       Indie-Stimmen, die seit den 90er Jahren so allgegenwärtig sind.
       
       Violent Femmes bleiben eine Band, die aus der Zeit gefallen ist. Selbst
       nach 2 Millionen verkauften Exemplaren (allein vom Debütalbum) könnte sie
       heute längst vergessen sein, wie die allermeisten ihrer Zeitgenossen aus
       den Achtzigern. Doch ihre Songs werden weitergereicht, von Party zu Party,
       von Playlist zu Playlist, von Generation zu Generation. „Hotel Last Resort“
       fügt diesem Bündel zeitloser Songs eine ganze Reihe hinzu.
       
       29 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=Jc14JPwnp6M
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gregor Kessler
       
       ## TAGS
       
   DIR Violent Femmes
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