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       # taz.de -- Die Malerin Berthe Morisot: Sie träumte nicht, sie malte
       
       > Sie war ein Publikumsliebling und von Kollegen geschätzt: Die Malerin
       > Berthe Morisot. Das Musée d’Orsay in Paris widmet ihr eine große
       > Ausstellung.
       
   IMG Bild: Blick in der Ausstellung mit dem Bild eines klavierspielenden Mädchens.
       
       Als Édouard Manet im Louvre einer 27-Jährigen vorgestellt wurde, war dies
       der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Sie hatte Glück, denn der eher
       berüchtigte als wirklich berühmte Manet, neun Jahre älter, war schon
       verheiratet. Sie, Berthe Morisot, schnappte sich dessen jüngeren Bruder
       Eugène, der die für das 19. Jahrhundert verblüffende Entscheidung traf,
       sie als Malerin zu unterstützen; heute würde man sagen zu managen.
       
       Sie behielt ihren Namen, der jetzt – ohne weiteres Stichwort – Titel einer
       umfangreichen Ausstellung im Musée d’Orsay ist, mit 173 Ölgemälden, einigen
       Pastellen und einer einzige Vitrine mit aufgeklappten Notizbüchern. Für die
       vielen privaten Sammler, die ein oder zwei Ölgemälde von ihr besitzen, ist
       Morisot gewiss schon lange ein household name. Jetzt kommen die Gemälde aus
       aller Welt einmal zusammen. So wirft diese Retrospektive – auch wenn sie
       nicht so genannt wird – vielfältiges Licht in allerlei Nischen und fügt die
       leuchtenden Werke, die gar nicht gealtert zu sein scheinen, zu einem
       Gesamtbild, dem man sich kaum entziehen kann.
       
       Tatsächlich hat sie die Karriere gemacht, von der ihr Schwager Édouard
       Manet geträumt hatte, der sich selbst nicht für einen Rebellen hielt und
       von den Schmähungen seiner Malerei, die sich nicht an die Regeln halte und
       zudem unfertig sei, nie so ganz erholte.
       
       Morisot nämlich bekannte sich mit Mitte dreißig zu den Impressionisten,
       deren Techniken sie exemplarisch durcharbeitete. Sie war ein
       Publikumsliebling, von der Kritik selten gepiekst, und ein artists’ artist
       noch dazu: Manet, Degas, Monet und Rouart besaßen Werke von ihr. Ihre
       Bilder von der Mitte eines Saals her betrachtet, wirken wie Schulbeispiele,
       heiter, sinnlich, hell und ein bisschen harmlos. Das Musée d’Orsay aber hat
       hinter die Bilder keine Alarmanlagen gebaut, so dass man sie fast
       streicheln kann. Viele sind nicht einmal verglast. Aus der Nähe erkennt man
       die Bildlogik, die immanent ist.
       
       ## An Langweiler verheiratet
       
       Berthe Morisot machte keinen Unterschied zwischen Haus und Atelier; wenn
       Gäste kamen, verschwanden die Malutensilien hinter einem Paravent. Sie
       malte die Amme, wie sie dem Kind die Brust gibt; Mutter und Töchter beim
       Schmetterlinge kaschen; die junge Frau vor dem Spiegel beim Auftragen von
       Puder; und ihr eigenes Kind, Julie, mit seiner Puppe und mit dem Hund.
       Während die Männer von Paris Geschäfte machten, zu Gericht saßen, sich in
       Akademien aufplusterten, Kriege verloren und sich in Hinterstuben
       vergnügten, wurden Frauen – sofern sie als gute Partie galten – an
       Langweiler verheiratet, die sie mitnahmen auf ihre Posten in der Provinz.
       
       So widerfuhr es Berthes Schwester Edma, die auch Ambitionen gehabt hatte,
       Malerin zu werden. Sie und ihre Kinder wurden Berthes wichtigste Modelle.
       Auf schönste Weise waren Frauen wie Edma dabei, sich die Zeit zu
       vertreiben, sich fortzubilden, aus dem Fenster zu schauen und auf den Abend
       zu warten, wenn der Patriarch zum Dinner kam, das sie selbst nicht kochen
       mussten.
       
       Während Flaubert die erzwungene Träumerei der weiblichen Bourgeoisie als
       Desaster beschrieben hatte – Morisot war sechzehn, als „Emma Bovary“
       erschien –, drehte sie den Spieß um: Sie träumte nicht, sie malte. Nicht
       für einen Moment erlaubte sie den anderen, daran zu zweifeln, dass sie ein
       Profi war.
       
       Morisot verdichtete die Welt aus Rüschen, Blüten und Mustern bis an die
       Grenze des Erträglichen, im vollen Bewusstsein, dass die Ära des Müßiggangs
       endlich sein würde. In seiner Monografie zu Berthe Morisot (erschienen
       2016, auf Englisch 2018) hatte sich Jean-Dominique Rey weit vorgewagt:
       „Schon im Konzept des Impressionismus liegt etwas Weibliches, in dessen
       Lust am flüchtigen Moment, im Vorrang von Eindrücken gegenüber der
       Wahrnehmung.“
       
       ## Warten auf eine neue Zeit
       
       In Reproduktionen sieht man das nicht. In der Distanz beginnt man, es zu
       ahnen. Rückt man aber ran an die Bilder und den Figuren auf die Haut,
       verschwindet die Blumigkeit des Milieus; der Schauplatz der Weiblichkeit
       erscheint plötzlich umkämpft. Sehr wohl hadert Morisot mit Fragen der
       Wahrnehmung: Sehe ich Häuser oder Miniaturen; ein Ding im Fenster oder die
       Farbe von Glas; Leinen auf der Wäscheleine oder Leinwände „en plein air“?
       Hier skribbelt sie sich durch die Details, dort lässt sie die Zügel
       schießen.
       
       In der Kontemplation des Schönen liegt eine Botschaft verborgen: In
       Wirklichkeit wartet die bürgerliche Frau nicht auf das Abendessen, sondern
       auf den Beginn einer neuen Zeit.
       
       Gelegentlich baut die Malerin regelrechte Bildfehler ein – gemessen an
       akademischen Standards –, wenn der Magd „Im Esszimmer“ (1880) ihre ordnende
       Hand aus dem abgewandten Gesicht wächst; oder wenn Julies goldenem Schopf
       im Garten ein gigantischer Turban in Grün und Rosa aufgepflanzt wird
       („Monsieur Manet et sa fille dans le jardin à Bougival“, 1883). Schon den
       Zeitgenossen war aufgefallen, dass Morisot Skizzenhaftes stehen ließ; so
       hat Julie im Puppenbild drei Füße. Was sie nicht gesehen haben können, war,
       dass die Malerin sich in jedem zweiten Ölbild Kommentarflächen reservierte,
       in denen sie an der Auflösung der Vorstellung eines Gegenstands laborierte.
       
       Während die Breite und die Tiefe des malerischen Werks überrascht, war der
       Name Berthe Morisots in der Geschichte der Malerei immer präsent geblieben:
       Sie ist die hagere, unerreichbare Frau mit den schweren schwarzen
       Augenbrauen auf dem grünen „Balkon“-Bild von Édouard Manet. Dieses Gemälde
       ist auch im Besitz des Musée d’Orsay, aber die Kuratoren waren so klug,
       Manets Modell hier nicht als konkurrierendes Narrativ einzuführen. Die
       ausladende Ausstellung führt so in die erhellende, ans Fantastische
       grenzende Betrachtung über das Schicksal, ein Leben in Fesseln zu
       verbringen, die man nicht sieht.
       
       11 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulf Erdmann Ziegler
       
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