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       # taz.de -- Deutsche Bioökonomie-Strategie: „Allgemeines Wellnesspapier“
       
       > Wie soll die wirtschaftliche Nutzung von Rohstoffen aus lebenden
       > Organismen geregelt werden? Der erste Entwurf der Bundesregierung bleibt
       > vage.
       
   IMG Bild: Bioökonomie: In Mikroalgenfarmen wird einer der Rohstoffe der Zukunft gezüchtet
       
       Berlin taz | Waschmittel, deren reinigende Enzyme von gentechnisch
       veränderten Bakterien hergestellt werden; Kunststofftüten aus Mais;
       Lebensmittelzusätze aus Algen – das alles sind Beispiele für die
       Bioökonomie. Bio meint hier nicht öko, sondern beschreibt eine
       Wirtschaftsweise, die auf Rohstoffe lebender Organismen – Pflanzen, Tiere,
       Pilze oder Bakterien – setzt.
       
       Das machen zwar Kartoffelbauern auch, allerdings kommt in einer Bioökonomie
       der Technikaspekt dazu: Wissensgetrieben und innovativ soll sie sein, gern
       verknüpft mit dem zweiten großen Industriethema derzeit, der
       Digitalisierung.
       
       Rund eine Million Menschen arbeiten laut dem [1][Branchenfachdienst
       Nova-Institut in der heimischen Bioökonomie] im engeren Sinn; sie erzielt
       einen Umsatz von rund 136 Milliarden Euro jährlich. Die Erwartungen der
       Branche an die Politik sind groß: Schließlich sieht sie sich als Lösung
       vieler aktueller Nachhaltigkeitsprobleme – Stichwort: Abkehr vom Erdöl. Die
       Unternehmen erwarten mehr Unterstützung bei der Forschung und bessere
       Rahmenbedingungen, etwa in Bezug auf das Gentechnikrecht.
       
       Zugleich beäugt die kritische Zivilgesellschaft aus Umwelt- und
       Entwicklungsverbänden die Bioökonomie insgesamt mit Misstrauen. Daher wurde
       die Strategie, nach der die Bundesregierung ihre Bioökonomie-Politik
       künftig ausrichten will, von beiden Seiten mit Spannung erwartet. Nun haben
       Forschungs- und Landwirtschaftsministerium, mit einigen Monaten Verspätung,
       einen ersten Entwurf zur Diskussion gestellt.
       
       ## Potenzial für nachhaltiges Wirtschaften und zur Innovation
       
       An vielen Stellen betonen die Ministerien das Potenzial der Bioökonomie,
       die Wirtschaft nachhaltiger zu machen. Diese könne „ganz neuartige Produkte
       und Verfahren hervorbringen, um Ressourcen zu schonen und Wohlstand zu
       schaffen“. Sie zählen die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten
       Nationen auf, zu denen die Bioökonomie beitragen soll, etwa die Beseitigung
       des Hungers oder den Klimaschutz. Von Forschungsförderung über die
       Beseitigung von Zielkonflikten, wie zwischen der Produktion von
       Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen für die Industrie, beschreibt
       die Strategie den Rahmen künftiger Politik.
       
       „Das ist ein Wellnesspapier, bei Öko- und Sozialthemen sehr allgemein
       gehalten“, sagt Peter Gerhardt vom Denkhaus Bremen. Zwar werde an vielen
       Stellen im Text betont, dass die Bioökonomie nicht an sich nachhaltig sei,
       sondern nachhaltig gestaltet werden müsse. „Wie das konkret aussehen soll,
       dazu lese ich fast nichts“, sagt Gerhardt.
       
       So wird erwähnt, dass die Zivilgesellschaft in die Dialogprozesse etwa zur
       Forschung frühzeitig einbezogen werden müsse. Bei dem vorliegenden Entwurf
       hat das laut Beteiligten aber nicht geklappt: Der von den Ministerien zur
       Kommentierung einberaumte „zweiwöchige Zeitraum innerhalb der
       Sommerferienzeit“ sei „in keiner Weise akzeptabel“, schreibt das
       zivilgesellschaftliche Aktionsforum Bioökonomie empört, dem unter anderem
       die großen Umweltverbände wie Greenpeace, WWF, aber auch
       Entwicklungsorganisationen wie das Netzwerk Inkota angehören. [2][Die
       Verbände kritisieren in ihrer Stellungnahme], dass der Entwurf das
       „biologisch-ökologische Wissen“ einseitig zu Vermarktungszwecken vermehren
       will statt „zur Bestimmung der planetaren Grenzen“.
       
       Im Entwurf der Ministerien wird festgestellt, dass der Druck auf
       landwirtschaftliche Flächen sich noch erhöhen könnte, wenn mehr pflanzliche
       Rohstoffe genutzt werden. Diese „weitere Zunahme der
       Flächennutzungskonkurrenzen“ stelle eine große Herausforderung dar, heißt
       es. Abhilfe schaffen soll die „Nutzbarmachung bisher ungenutzter oder nicht
       effizient genutzter Flächen“, etwa durch die Bewirtschaftung von
       Brachflächen, Bergbaufolgeflächen oder derzeit unwirtschaftlicher
       Standorte.
       
       ## Wo ist die Obergrenze für Naturressourcen?
       
       Nicola Uhde, Waldexpertin des BUND, sieht das in Bezug auf die Nutzung von
       Holz äußerst kritisch. „Langfristig müssen für den Erhalt der Natur 10
       Prozent aus der Nutzung genommen werden“, sagt Uhde. Zwar könnte man diese
       Wälder weiter zur Erholung aufsuchen, doch ihr Holz dürfe nicht genutzt
       werden. „Es gibt Pilze, Insekten, Flechten und Vögel, die nur in
       unbewirtschafteten Wäldern leben können“, so die Expertin. Derzeit sind nur
       2,8 Prozent der deutschen Waldflächen Naturwälder. Auch von der in dem
       Entwurf formulierten Forderung nach Züchtung im Wald hält Uhde wenig: „Bei
       unseren Bäumen haben wir noch eine große genetische Vielfalt, diese gilt es
       gerade im Angesicht der Klimakrise zu erhalten.“
       
       Ganz andere Sorgen haben die Unternehmen der Biotechnologiebranche, die im
       [3][Verband Bio Deutschland] organisiert sind. In seiner Stellungnahme
       fordert dieser, das Wirtschaftsressort stärker einzubinden – und explizit
       auf die Chancen der Gentechnik zu verweisen. Sie besitze das Potenzial,
       Antworten auf drängende Fragen wie Klimakrise und Ressourcenknappheit zu
       liefern, daher „sollte dieser Begriff – auch im Hinblick auf Transparenz –
       im Referentenentwurf zumindest Erwähnung finden“, heißt es in der
       Stellungnahme. Zudem fordert der Verband, die Politik solle eine „führende
       Rolle in der notwendigen gesellschaftlichen Diskussion einnehmen,
       allerdings ohne zur unversöhnlichen Verhärtung der unterschiedlichen
       Standpunkte beizutragen“.
       
       29 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://biooekonomie.de/nova-institut-2019-europaeische-biooekonomie-zahlen
   DIR [2] https://www.forumue.de/stellungnahme-zum-entwurf-einer-nationalen-biooekonomiestrategie/
   DIR [3] https://www.biodeutschland.org/de/positionspapiere/stellungnahme-der-bio-deutschland-zum-referentenentwurf-fuer-eine-nationale-biooekonomiestrategie.html
       
       ## AUTOREN
       
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