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       # taz.de -- Ukraine setzt russischen Tanker fest: Der Geist des Sieges
       
       > Ein russischer Tanker ist in einem ukrainischen Hafen durchsucht worden.
       > Hinter dem Vorfall steckt der Konflikt um die Hoheit auf See in der
       > Region.
       
   IMG Bild: Der russische Tanker im Hafen der ukrainischen Stadt Ismajil
       
       Berlin taz | Die ukrainische Militärstaatsanwaltschaft hat am Donnerstag
       mit Hilfe von Einheiten des Geheimdienstes SBU im Hafen der Stadt Ismajil
       ein russisches Schiff festgesetzt und durchsucht. Die russischen Seeleute
       sind laut einem Tweet der russischen Botschaft in Kiew frei und auf dem Weg
       nach Russland.
       
       [1][Wie der SBU auf seiner Webseite schreibt], wollten die Ermittler auf
       dem Schiff, dass in der Stadt nahe der ukrainisch-rumänischen Grenze vor
       Anker liegt, Dokumente, Funkaufzeichnungen und Logbücher sicherstellen.
       
       Die Behörden begründeten den Schritt mit der Rolle des nun festgesetzten
       Tankers bei einem [2][Angriff russischer auf ukrainische Schiffe nahe der
       Straße von Kertsch], die vom Schwarzen Meer ins Asowsche Meer führt. Im
       November 2018 hatte, so die durch Videos und Schiffsdaten gestützte
       ukrainische Sicht, ein Tanker drei ukrainischen Militärschiffen die
       Durchfahrt in das Asowsche Meer blockiert. Der Schlepper und zwei
       Patrouillenboote waren umgekehrt, dann aber von russischen Schiffen in
       internationalen Gewässern gekapert worden.
       
       Die russische Version: Die ukrainischen Schiffe hätten russischen Grenzen
       verletzt und hätten daher aufgehalten werden müssen.
       
       [3][Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg entschied im Mai] 2019 im
       Sinne der Ukraine. Russland solle, die Schiffe an die Ukraine zurückgeben
       und die im November 2018 festgenommenen 24 Seeleute und
       Geheimdienstmitarbeiter freilassen. Russland kam dieser Aufforderung bisher
       nicht nach. Die russische Regierung nahm am Gerichtsverfahren nicht teil
       und bestritt die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Die Seeleute sind immer
       noch in Haft.
       
       ## Schiffseigner von der annektierten Krim
       
       Die ukrainischen Ermittler berufen sich auch auf ein [4][Dekret, das noch
       Präsident Petro Poroschenko am 19. März 2019 erlassen] hat. Sein
       Nachfolger, der Schauspieler und Comedian Wolodimir Selenski, hatte ihn
       kurz danach bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen. In dem Dekret werden
       viele russische Firmen mit Sanktionen bedroht, unter anderem auch jene, der
       nach ukrainischen Angaben der Tanker gehören soll: [5][„Juwas Trans“, eine
       Firma mit Sitz auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim (PDF)]. Im
       November 2018 soll das Schiff noch Nejma gehießen haben, heute hingegen
       Nika Spirit. Nike hieß die Göttin des Sieges im antiken Griechenland.
       
       Was soll diese Aktion erreichen? Lassen sich nach so langer Zeit
       tatsächlich noch Hinweise auf die Ereignisse im November 2018 finden?
       
       Fragen stellen sich auch, weil der SBU schwer einzuschätzen ist, selbst
       wenn man mit Leuten spricht, die einmal dort gearbeitet haben. Manche Teile
       des Dienstes arbeiten effizient, andere gelten Ukrainer*innen als korrupt
       oder faul. Eine besondere Form der Berühmtheit erlangte der SBU mit der
       Vortäuschung des Mordes und anschließender [6][Wiederauferstehung des
       Journalisten Arkadi Babchenko]. Politiker*innen und Expert*innen im Westen
       sahen das als unverantwortliches Husarenstück, in der Ukraine gilt es
       vielen Menschen als eine der wenigen erfolgreichen und cleveren Operationen
       zur Aufdeckung russischer Komplotte im Land. Weil die Rolle des Dienstes in
       diesem Fall unklar ist und die Informationslage eher dünn, bleibt nichts
       anderes als die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten.
       
       Ein möglicher Grund für den Zugriff hätte sein können, dass der neue
       Präsident Wolodimir Selenski den Ruf ablegen will, allzu russlandfreundlich
       zu sein. Das werfen ihm Teile der Post-Maidan-Zivilgesellschaft und
       nationalistische bis rechtsextreme Kreise des Öfteren vor. Aber auch das
       wäre zu diesem Zeitpunkt völlig unnötig. Selenski hat nicht nur die
       Präsidentschaftswahlen gegen den martialischer und nationalistischer
       auftretenden Mitbewerber PetroPoroschenko gewonnen, in der Parlamentswahl
       vor einer Woche bekam seine Partei so viele Stimmen und Direktmandate, dass
       sie ohne Koalitionspartner regieren könnte. Derzeit erscheint es eher
       unwahrscheinlich, dass Selenski von so einer Aktion profitieren könnte.
       
       ## Wirtschaftlicher Druck auf Hafenstädte
       
       Weiterhin angespannt bleibt dagegen die [7][Lage im Asowschen Meer zwischen
       Russland und der Ukraine]. Die ukrainischen Häfen [8][Mariupol und
       Berdjansk melden weiterhin millionenschwere finanzielle Verluste], weil
       russische Schiffe viele Frachter sehr lange kontrollierten. Viele Schiffe
       würden die beiden Häfen deshalb inzwischen meiden. Die Ukraine wünscht sich
       mehr internationale Unterstützung insbesondere von den westlichen Ländern,
       die die Annektion der Halbinsel Krim als illegal verurteilen. Der Konflikt
       im Asowschen Meer um angebliche Verletzungen der russichen Seegrenze ist
       eine direkte Folge dieser Annektion.
       
       Wenn die Häfen weniger und weniger Arbeit bekommen, besteht die Gefahr,
       dass sich Arbeitslosigkeit und die soziale Situation in diesen Städten
       weiter verschärfen. Es ist fraglich, ob die Ukraine, die seit 2014 in einem
       unerklärten Krieg mit von Russland unterstützten Separatisten in der
       Ostukraine steht, die Mittel hat, dort einen notwendigen Strukturwandel zu
       finanzieren. Es könnte auch ein russisches strategische Ziel sein, die
       Region auf diese Weise zu destabilisieren und Mariupol doch noch
       einzunehmen. Die Stadt liegt wenige Kilometer hinter der Front, ist stark
       befestigt und auf dem Landweg wahrscheinlich nur schwer zu erobern. Bisher
       fehlt den beiden international nicht anerkannten Seperatistenstaaten, den
       Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine, ein eigener
       Meerzugang. Ein Fall Mariupols würde das ändern.
       
       Die ukrainische Kriegsmarine besteht zu großen Teilen aus alten Schiffen,
       viele von ihnen keine Kampf-, sondern Hilfschiffe. Bei meinem letzten
       Besuch Ende 2018 in Mariupol bewachte beispielsweise ein mit
       Maschinengewehren bestücktes umgebautes Lazarettschiff und ein ebenso
       bewaffneter Schlepper den Hafen, dazu hat die Marine noch ein paar wenige
       gepanzerte Patrouillenboote in der Region. Der Grenzschutz besitzt ein paar
       ungepanzerte Schiffe. Das steht in keinem Verhältnis zu den russischen
       Kampfschiffen in den Festlandhäfen und in den Häfen der Krim.
       
       Auf See kann sich das ukrainische Militär auch nicht eingraben und ein Art
       Patt erreichen wie auf auf dem Land. Dort führen beide Seiten einen
       Stellungskrieg, bei dem regelmäßig Menschen sterben. Insgesamt [9][starben
       bis Ende des vergangenen Jahres 13.000 Menschen]. Die Ukraine ist auf
       internationale Hilfe bei der Lösung des Konfliktes im Asowschen Meer
       angewiesen, bisher kommen aus Ländern wie Deutschland aber nur wohlfeile
       Hinweise, beide Seiten mögen sich ruhig verhalten. Mag sein, dass die
       Festsetzung des Schiffes in Ismajil ein Versuch ist, Beweise zu bekommen,
       die Druck auf Russland und die internationale Gemeinschaft ausüben könnten,
       im Asowschen Meer zu handeln.
       
       26 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://ssu.gov.ua/ua/news/1/category/2/view/6331?fbclid=IwAR2WwW2dA2mhgo_RoMX1_4DpXYhCb3fT6oZIOkfFBK6m6fVQDCXpbd_qkfA#.n47U38wY.dpbs
   DIR [2] /Ukraine-reagiert-auf-Krim-Zwischenfall/!5553597
   DIR [3] https://www.dw.com/de/seegerichtshof-russland-soll-ukrainische-seeleute-freilassen/a-48873900
   DIR [4] https://www.president.gov.ua/documents/822019-26290?fbclid=IwAR0xLrFcfDUJBnk9GScKNPXBT8gzRBcXC219uZW1-81-NxOvoxD3PZVKCY4
   DIR [5] https://www.president.gov.ua/storage/j-files-storage/00/65/14/de883275b7de6d25a9e2ff83478e6603_1553072270.pdf
   DIR [6] https://www.spiegel.de/politik/ausland/arjadij-babtschenko-ist-nicht-tot-a-1210381.html
   DIR [7] /Konflikt-auf-dem-Asowschen-Meer/!5554051
   DIR [8] https://www.bbc.com/news/world-europe-46551464
   DIR [9] https://www.unian.info/war/10416549-donbas-war-death-toll-rises-up-to-nearly-13-000-un.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Schulz
       
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