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       # taz.de -- Siedlungen für Hirtenvolk in Nigeria: Ein besseres Nomadenleben
       
       > Nigerias Regierung will feste Siedlungen für das Fulani-Hirtenvolk
       > einrichten. Nach Oppositionsprotesten wurde der Plan auf Eis gelegt.
       
   IMG Bild: Verbesserungswürdig: Fulani-Dorf im Zentrum Nigerias
       
       Makurdi taz | Shettima Mohammed, Generalsekretär der Viehzüchtervereinigung
       Miyetti Allah im nigerianischen Bundesstaat Benue, spricht laut und
       leidenschaftlich. Im Schatten einer Moschee in der Provinzhauptstadt
       Makurdi betont er, wie nützlich die Pläne der Regierung für sein
       Fulani-Volk seien – die sogenannnten Ruga Settlements.
       
       „Ruga“ – das steht für Rural Grazing Area, also Weidereservat. Es ist auch
       das Haussa-Wort für Fulani-Siedlung. „Mit ihnen“, ist Mohammed sicher,
       „könnte mehr Infrastruktur in entlegene Dörfer gebracht werden. Ein solches
       Konzept schafft Bildung und man kann die Menschen besser informieren.“
       
       Die Fulani, ein in Westafrika verbreitetes Hirtenvolk – auch Fulbe oder
       Peul genannt – stehen im Mittelpunkt der Debatte um die zunehmenden
       bewaffneten Konflikte in immer mehr Ländern. Allein in Nigeria kamen
       zwischen 2016 und Oktober 2018 mehr als 3.600 Menschen ums Leben, sagt die
       Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
       
       Streitigkeiten um knappes Land haben sich verselbstständigt: Nigerias
       Präsident Muhammadu Buhari ist Fulani, seine Gegner sprechen von einer
       Fulanisierung des Landes, manche auch von einer Islamisierung, da die
       Fulani meist Muslime sind und ihre Gegner meist nicht.
       
       ## Ein Upgrade bestehender Dörfer
       
       Zwar ziehen die meisten Fulani längst nicht mehr mit ihrem Vieh umher wie
       früher, viele leben aber weiterhin in entlegenen Gebieten ohne Zugang zu
       Krankenhäusern und Schulen. Für Befürworter wie Mohammed ist die
       Ruga-Siedlungsidee daher verlockend: ein Upgrade bestehender Dörfer, wo es
       bisher nichts gibt.
       
       Doch Anfang Juli machte die Regierung einen überraschenden Rückzieher. Das
       Projekt wurde vorerst abgeblasen. Die Fulani-Dörfer würden nicht mit dem
       nationalen Plan zur Fleisch- und Milchproduktion der Regierung
       übereinstimmen, hieß es.
       
       In Wahrheit ist die Regierung einfach vor ihren Gegnern eingeknickt.
       Provinzgouverneure, die der oppositionellen People’s Democratic Party (PDP)
       angehören, hatten sich massiv gegen die Fulani-Dörfer in ihren
       Bundesstaaten gewehrt.
       
       Samuel Ortom, Gouverneur von Benue, nannte die Absage des Ruga-Projekts
       einen „Sieg für alle friedliebenden Nigerianer“. Im vergangenen Jahr war es
       in Benue zu schweren Unruhen zwischen Farmern und Viehhirten gekommen,
       Anfang des Jahres musste der Bundesstaat für mehr als 483.000
       Binnenflüchtlinge sorgen.
       
       Jetzt sollen die Ruga-Dörfer nur noch auf freiwilliger Basis entstehen, von
       Bundesstaat zu Bundesstaat wird heftig gestritten. „Extrem politisch
       aufgeheizt“ nennt Mohammed Bello Tukur die aktuelle Debatte. Der
       Rechtsanwalt und Aktivist ist aktuell Generaldirektor der Federal Character
       Commission und Anhänger der Ruga-Siedlungen.
       
       „Seit 20 Jahren ist es der erste praktische Ansatz“, lobt er das Konzept.
       „Spricht man mit einem Viehhirten darüber, dann weiß er sofort, worum es
       geht.“ Das Projekt hätte die ganze Infrastruktur rund um die Fleisch- und
       Milchproduktion verbessern und die Fulani-Landbevölkerungen in die
       Handelswirtschaft besser einbeziehen können.
       
       Fleisch bleibt in Nigeria ein großer Luxus. Jeder Nigerianer konsumiert
       jährlich lediglich 9 Kilogramm Fleisch – bei rund 200 Millionen Einwohnern
       sind das insgesamt aber 1,8 Millionen Tonnen. Daran verdienen nicht nur die
       Viehhalter, sondern auch Händler, Fuhrunternehmen und Schlachthäuser.
       
       In den Dörfern hätten Weideflächen und Wasserstellen angelegt und
       Tierkliniken geschaffen werden können. Das würde auch das Umherziehen mit
       dem Vieh einschränken, das für Konflikte sorgt, ist Tukur sicher. In
       einigen Bundesstaaten wie Benue ist das bereits verboten, was ebenfalls für
       zahlreiche Proteste sorgte.
       
       Letztendlich dreht sich die Diskussion darum, wer wo „einheimisch“ ist und
       wer nicht, eine zentrale Frage in Nigeria, wo die ethnische Zugehörigkeit
       ein großer Identifikationsfaktor ist. Shettima Mohammed ärgert sich über
       Äußerungen, dass Fulani in Benue noch relativ neu seien. „Siedlungen gibt
       es doch schon seit Jahrzehnten.“
       
       Damit verbunden ist der Zugang zu Land, der ebenfalls sensibel ist. „Die
       Regierung müsste klarstellen, dass Land nicht einfach ohne Erlaubnis
       genommen wird“, sagt Isa Sanusi, Amnesty-Sprecher in Abuja.
       
       29 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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