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       # taz.de -- Besetzung des Theaters in Tirana: Öffentlicher Kampf um ein Theater
       
       > „Es lebe das Theater!“ „Nieder mit der Diktatur!“ In Albaniens Hauptstadt
       > versuchen BesetzerInnen, das Nationaltheater vor dem Abriss zu retten.
       
   IMG Bild: „Kulturdenkmal, vom Volk beschützt“, verkündet das Spruchband vor dem Theater in Tirana
       
       Hier riecht es nach Verlassenheit. Die Zeit scheint seit dem Ende der
       Spielzeit 2017/2018 stehen geblieben zu sein im Theater von Tirana.
       Requisiten aus der letzten Aufführung sind immer noch auf der Bühne, als ob
       die Theaterleute das Haus in aller Eile verlassen hätten.
       
       Doch vor dem Nationaltheater Albaniens wird seit anderthalb Jahren
       protestiert, zuerst wöchentlich, dann täglich. Seit etwas mehr als einer
       Woche schützen KünstlerInnen und BürgerInnen das Haus rund um die Uhr vor
       dem drohenden Abriss. Ein großes Poster mit der Aufschrift „Kulturdenkmal,
       vom Volke beschützt“, bedeckt große Teile der Fassade.
       
       Am 24. Juli in der Früh drohte die Situation erstmals zu eskalieren – die
       Polizei ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor. Der angesehene
       albanische Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Edmond Budina wurde
       ohne jegliche Vorwarnung von Dutzenden Polizisten auf dem Vorplatz des
       Nationaltheaters angegriffen und weggeschleppt, nur weil er sich in der
       Nähe des Theatergebäudes aufhielt. Eine unerwartete Wende, die unter
       anderem zur Folge hatte, dass KünstlerInnen und BürgerInnen zwei Stunden
       später das Theater besetzten, um das Vorhaben der Regierung, das Theater
       abzureißen, endlich zu stoppen.
       
       ## Die Affäre dreht sich um Baugrund
       
       SchauspielerInnen und RegisseurInnen beteiligten sich an der Besetzung –
       neben Edmond Budina sind auch Robert Budina, Neritan Liçaj, Adriana Tolka
       an der vordersten Front der Proteste. Kiço Londo, Direktor des
       Experimentaltheaters, ist ständig mit dabei. SchriftstellerInnen,
       JournalistInnen, ArchitektInnen, HistorikerInnen, RechtsexpertInnen,
       UniversitätslehrerInnen und BürgerInnen aus anderen Berufsgruppen sind von
       Anfang an involviert gewesen.
       
       Denn seit mehr als einem Jahr versuchen Ministerpräsident Edi Rama und der
       Bürgermeister von Tirana, Erjon Veliaj, das Nationaltheater abzureißen. Die
       Affäre dreht sich um den öffentlichen Grund rund um dieses Gebäude. 8.500
       Quadratmeter sollen an ein Privatunternehmen übergeben werden. Die
       Regierung argumentiert, dass sie nicht über die finanziellen Mittel
       verfügt, um das Theater zu renovieren. Deswegen ermöglicht sie einem
       Privatunternehmen, das Grundstück mit sechs Hochhäusern und einer
       Shoppingmall zu entwickeln und dabei ein modernes Theater auf eigene Kosten
       zu bauen.
       
       Das Projekt soll im Rahmen einer Public-private-Partnership (PPP)
       realisiert werden. Partner ist die dänische Architekturfirma Bjarke Ingels
       Group (BIG). Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) haben die
       Praxis solcher Partnerschaften in Albanien wiederholt wegen mangelnder
       Transparenz kritisiert.
       
       ## Ein zweifelhaftes Sondergesetz
       
       Das albanische Parlament hat Ende September 2018 eigens für dieses Projekt
       ein Sondergesetz verabschiedet, das es ermöglicht, öffentliches Land ohne
       Ausschreibung an einen privaten Investor zu veräußern. Mehrere
       RechtsexpertInnen halten es für verfassungswidrig. Der Präsident der
       Republik, Ilir Meta, weigerte sich, es zu unterschreiben. Am 24. Juli
       hinterlegte er das vollständige Dossier zum Thema Nationaltheater beim
       Verfassungsgericht. Das Verfassungsgericht ist jedoch seit mehr als einem
       Jahr nicht mehr funktionstüchtig.
       
       Auf Ansuchen eines Bündnisses zum Schutz des Theaters, das im März 2018
       gegründet wurde, hat die Europäische Kommission 15 Fragen an die albanische
       Regierung bezüglich dieses speziellen Gesetzes gestellt. Unter anderem
       fragte die Kommission nach dem Grund, warum eine Privatfirma mit der
       Durchführung des Projekts ohne Wettbewerb beauftragt wurde und warum der
       Auftrag in Form eines spezifischen Gesetzes entworfen wurde, und nach den
       Auswahlkriterien für die Privatfirma.
       
       ## Albaniens Kultur
       
       Bis 2017 stand das Nationaltheater in Tirana unter Denkmalschutz. Das 1939
       von dem italienischen Architekten Giulio Bertè im futuristischen Stil
       erbaute Haus ist die Wiege der Kulturinstitutionen Albaniens. Hier wurde
       das erste Kino eröffnet, das erste Institut für Albanische Studien, der
       erste Club von Schriftstellern, und hier fanden die ersten professionellen
       Theateraufführungen statt.
       
       Mit einem Beschluss im Jahr 2017 hatte die Regierung den Denkmalschutz
       aufgehoben. Bereits damals protestierten renommierte KünstlerInnen und
       ArchitektInnen dagegen. Zuletzt wurde das durch Unterstützungserklärungen
       der internationalen NGO für Denkmalschutz, Europa Nostra, und der
       Internationalen Vereinigung für die Dokumentation und den Erhalt von
       Bauwerken und städtebaulichen Ensembles im Stil der Moderne (Docomomo)
       nochmals bestätigt.
       
       Ein weiterer Erfolg des Bündnisses zum Schutz des Theaters war, dass am
       letzten Samstag erstmals wieder auf der Bühne des von Künstlern und Bürgern
       beschützten Nationaltheaters gespielt wurde. Mehdi Malkaj, einer der
       Schauspieler, die seit 2018 die Proteste unterstützen, brachte das Publikum
       in einem überfüllten Saal zum Weinen und Lachen. Am Anfang der Aufführung
       erschollen die Rufe: „Es lebe das Theater!“, „Nieder mit der Diktatur!“,
       „Es lebe die Freiheit!“.
       
       31 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lindita Komani
       
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