# taz.de -- Theaterautorin über die Treuhand: „Die Verunsicherung war spürbar“
> Nikola Schmidt reist vor den Landtagswahlen durch Brandenburg. Ihr Stück
> über die Treuhand rührt manche Zuschauer zu Tränen.
IMG Bild: Archivfoto der Treuhandzentrale in Berlin: „Damals ist viel schiefgelaufen“, sagt Nikola Schmidt
taz: Frau Schmidt, Sie haben für das [1][Traumschüff] – eine
Theatergenossenschaft, die mit ihrer schwimmenden Bühne durch Brandenburg
reist – ein Stück über die Treuhand geschrieben. Interessiert das Thema 30
Jahre nach dem Mauerfall noch?
Nikola Schmidt: Ja, zu unseren Aufführungen kommen durchschnittlich hundert
Zuschauer, auch an kleinen Orten. Und uns als junge Generation, die die
Wende nur noch am Rande mitbekommen hat, interessiert das Thema auch.
Wie sind denn die Reaktionen auf Ihr Stück? Sie schildern in „Treue Hände“
ja die Vorgänge Anfang der neunziger Jahre aus verschiedenen Perspektiven:
Gewerkschafter, Treuhand-Mitarbeiter, Arbeitnehmer, auch ein
Ost-West-Liebespaar spielt eine Rolle.
Die Reaktionen sind so vielfältig wie das Publikum selbst. Man sieht
mitunter Tränen bei Leuten. Ich habe mehrfach den Satz gehört: „Sie haben
genau meine Geschichte erzählt, danke!“
Kommen auch Westdeutsche zu Ihren Aufführungen?
Wir führen da natürlich keine Statistik, aber ich würde sagen, das mischt
sich ganz gut.
Sie selbst sind 29 Jahre alt. Warum haben Sie sich dem Thema Treuhand
angenähert?
Unser künstlerisches Konzept ist, dass wir uns mit den Themen der Regionen
beschäftigen, durch die wir mit unserem Schiff fahren. Im Osten, in
Brandenburg lag das Thema Treuhand und Wiedervereinigung nahe.
Dort wird die Geschichte der Treuhand bis heute als feindliche Übernahme
erzählt. Stimmt das nach Ihren Recherchen?
Da ist auf jeden Fall was dran. Ob man das als feindliche Übernahme
bezeichnen mag, hängt natürlich sehr stark von der jeweiligen Perspektive
ab. Ich habe mit Gewerkschaftsvertretern gesprochen, mit Leuten, die in der
mittleren Leitungsebene in den abzuwickelnden Betrieben gearbeitet haben,
auch mit einem Treuhand-Mitarbeiter und Vorständen von
Nachfolgegesellschaften volkseigener Betriebe. Da kommen natürlich ganz
unterschiedliche Meinungen.
Was erzählen diese Leute?
Damals ist viel schiefgelaufen, das ist ja ausreichend belegt. Andererseits
machten es die Rahmenbedingungen den Beteiligten schwer, einen sanften
Übergang zu schaffen. Da waren ja nicht alle böswillig, es gab auch hohen
Druck, etwa durch die Währungsunion oder das Fortgehen in den Westen.
Dennoch höre ich von vielen Zuschauern: Wir sind damals verarscht worden.
Viele Betriebe im Osten waren tatsächlich marode, die Leute wollten die
Wiedervereinigung. Warum fühlen sich heute viele Ostdeutsche als Opfer?
Ich würde nicht „Opfer“ sagen, sondern eher, dass sie zu wenig Gelegenheit
hatten, die Entwicklungen selbst mitzugestalten. Da ist viel Enttäuschung.
Alle meine Interviewpartner haben selbst oder in ihrem Umfeld Entlassungen
mit anschließender Arbeitslosigkeit erlebt. Die Verunsicherung war groß und
bei jedem spürbar. Viele sagen heute, sie hätten sich was anderes erhofft
von der Wiedervereinigung. Teilweise waren die Erwartungen aber auch
unrealistisch.
Also eher Ernüchterung?
Viele Mitarbeiter mussten damals erleben, dass ihre Betriebe von vornherein
nicht erhalten werden sollten. Unser Beispiel, das Kaltwalzwerk in
Oranienburg mit 1.200 Mitarbeitern, hatte nie eine Chance. Die Leute da
haben tapfer gekämpft, das Werk war ein Jahr vor dem Mauerfall noch
modernisiert worden, das war europäischer Standard. Aber es wurde von der
Konkurrenz, von Krupp, plattgemacht. Und das war kein Einzelfall. Es sollte
anerkannt werden, dass bei der Wiedervereinigung nicht alles gut lief.
Heute ist dort, wo dieses Werk stand, ein großes Einkaufszentrum. Was
sagen Sie: Ist das ein Sinnbild für den Osten – Konsum statt Produktivität?
Ja, das kann man so sehen. Aber mir ist wichtig, dass auch gesehen wird,
dass in den verbliebenen Gebäuden des Kaltwalzwerkes heute ein Kultur- und
Kreativstandort entstanden ist. Es kommt also wieder was nach. Und das ist
doch ein gutes Zeichen.
5 Aug 2019
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## AUTOREN
DIR Anja Maier
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