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       # taz.de -- Interview mit schwarzer Dragqueen: „Als ob ich in den Krieg ziehe“
       
       > Im „Tannhäuser“ in Bayreuth spielt Le Gateau Chocolat mit. Ein Gespräch
       > über Repräsentation, das Publikum, „Buh“-Rufe und die Regenbogenflagge.
       
   IMG Bild: Bei einer Performance am Weiher vor dem Festspielhaus singt Le Gateau Chocolat
       
       Le Gateau Chocolat ist die wohl bunteste Figur der diesjährigen Bayreuther
       Festspiele. Grell geschminkt, in bunten, glitzernden Kostümen steht die
       britische Dragqueen Le Gateau Chocolat [1][im neuen „Tannhäuser“ von Tobias
       Kratzer] auf der Bühne und verkörpert einen Gegenpart zur Hochkultur.
       Britta Schultejans hat ihn für die Deutsche Presse-Agentur in seiner
       Garderobe besucht, als er sich für die zweite Vorstellung schminkte. 
       
       dpa: Macht Ihnen das Schminken eigentlich Spaß? Oder ist es ein notwendiges
       Übel? 
       
       Le Gateau Chocolat: In der Zeit, in der man sich auf eine Show vorbereitet,
       seine Stimme aufwärmt, sich selbst und den Charakter, den man verkörpert,
       ist das Make-Up für mich zu einem Teil des Rituals geworden. Manchmal macht
       es Spaß, manchmal ist es einfach der Moment, in dem ich meine
       Persönlichkeit unter ein Vergrößerungsglas lege und sie übertreibe. Und
       manchmal fühlt es sich an wie Kriegsbemalung, als ob ich in den Krieg
       ziehe. Es fühlt sich an wie der Moment, in dem Clark Kent seinen
       Superman-Anzug anzieht. Dann wird die Schminke eine Extra-Schutzschicht.
       Das ist nicht bei allen Performances der Fall, aber in unbekannten
       Szenarios fühlt es sich schon so an, als baue man sich einen Panzer.
       
       Ist das hier in Bayreuth so? 
       
       Es ist eine Kombination. Meine Rolle hier ist es ja nicht nur, den
       alternativen Lebensentwurf für Tannhäuser zu verkörpern mit Genusssucht,
       Freude und Vergnügen. Meine Rolle ist es auch, eine Realität zu
       präsentieren, die für eine sehr lange Zeit nicht Teil dieses Hauses war.
       Weil viele Leute sich darauf nicht einlassen, wird sogar im Jahr 2019 etwas
       noch als Provokation wahrgenommen, das wirklich keine sein sollte. Es geht
       ja nur darum, zu sagen: „Mich gibt es auch.“ Aber „Mich gibt es auch“ ist
       für viele Menschen ein Schlag ins Gesicht. Das ist eine wirklich
       merkwürdige Sache.
       
       So haben Sie das hier erlebt? 
       
       Also, das Haus, die Institution der Festspiele selbst, ist bereit zu sagen:
       Wir wollen, dass die Oper und Wagner noch 400 Jahre überleben. Wir wollen
       sie nicht den Rückständigen überlassen und den Annalen der Geschichte. Das
       spüre ich bei Katharina (Anm.: Festspielleiterin Katharina Wagner). Aber
       das Publikum hier ist eine völlig andere Sache. Wir sind nicht hier, damit
       die Leute es bequem haben. Kunst sollte aufregen, hinterfragen,
       provozieren. Es ist nur manchmal ein bisschen ermüdend, der Katalysator und
       das Vehikel zu sein, das diese Dinge einfordert.
       
       Wie haben Sie die Reaktionen auf die „Tannhäuser“-Premiere erlebt? 
       
       Die überwiegenden Reaktionen waren ermutigend positiv. Aber bei der
       Premiere hat das Regie-Team neben dem Applaus auch eine Kakofonie an Buhs
       bekommen und – wenn auch nicht so laut wie bei ihnen – ich auch. Was ich an
       diesem Szenario interessant finde: Es ist nicht ungewöhnlich, dass das
       Regie-Team Buhs abbekommt. Wenn es aber mich als Darsteller trifft, ist das
       vielsagend. Denn ich singe in der Show ja gar nicht. Ich singe in der Pause
       am Teich, was in der 107-jährigen Geschichte nicht passiert ist – allein
       das ist auch schon bemerkenswert. Aber in der Show singe ich nicht. Ich
       kann also gar nicht dem Dirigenten nicht folgen oder die Töne nicht
       treffen. Ich repräsentiere lediglich eine Alternative, die ihnen nicht so
       geläufig ist. Meine Frage an sie ist also: Was buht Ihr da konkret aus? Ich
       habe keinerlei Fähigkeiten zur Schau gestellt außer meinem wirklich
       vorzüglich dargebotenem High Kick in diesem orangefarbenen Kostüm auf
       diesen außergewöhnlichen High Heels – was einen Applaus wert ist. Abgesehen
       davon habe ich nichts dargestellt als einen Lifestyle. Ich habe nur
       gezeigt, dass es Menschen wie mich gibt. Menschen wie mich, die Eure Ideen
       von Sexualität und Geschlecht infrage stellen. Oder schwarze Menschen. Ich
       bin viele Dinge gleichzeitig. Und wenn man dann anfängt, ergründen zu
       wollen, warum sie buhen – dann ist es nicht schön.
       
       Ist diese Situation neu für Sie? 
       
       Ich habe am Globe Theatre in London in der „Was Ihr wollt“-Inszenierung der
       Visionärin Emma Rice den Feste gespielt. Diese Feindseligkeit ist mir also
       nicht fremd. Wenn die Wächter denken, die Kunst gehöre ihnen und jede
       Interpretation müsse sich im Bereich ihrer Vorstellungskraft abspielen und
       nirgendwo sonst – dann ist das nicht völlig ungewohnt für mich.
       
       Sie hissen auf der Bayreuther Bühne die Regenbogenflagge … 
       
       Das ist nur so ein kleiner Moment – aber hier ist das viel. Hier ist das
       gewaltig, ein gewaltiges Statement – obwohl es 2019 eigentlich kein großes
       Statement mehr sein sollte.
       
       Wie sind Sie mit den Reaktionen nach der Premiere umgegangen? 
       
       Ich bin mit meinem Lebensgefährten nach Berlin gefahren, um mal ein paar
       Tage wegzukommen von allem. Und – Überraschung: Es war Christopher Street
       Day. Ich war in meiner Karriere so oft in der Situation, dass ich der
       einzige … was auch immer war. Wenn man dann die Gelegenheit bekommt, nicht
       der einzige zu sein, dann bekommt man damit auch die Chance – ich habe
       leider keine bessere Metapher – sich anzustöpseln und die Batterie
       aufzuladen. Und so stand ich einen Moment da und wurde etwas emotional.
       
       Werden Sie nächstes Jahr wieder in Bayreuth sein? 
       
       Ja, ich nehme es an.
       
       Wollen Sie denn nächstes Jahr wieder hier sein? 
       
       Die Antwort auf diese Frage zielt jetzt in die Realität dessen, was ich
       hier tue. Und die Antwort ist jetzt: Ob ich wiederkommen will, ist eine
       andere Sache. Ob ich wiederkommen muss: Ja, auf jeden Fall!
       
       30 Jul 2019
       
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   DIR Britta Schultejans
       
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