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       # taz.de -- Tinder warnt LGBTQ-Reisende: Ein Schritt zurück
       
       > Die Dating-App will Reisende ihrer LGBTQ-Community schützen. Zu diesem
       > Zweck versteckt sie die Profile jener, die sich in Gefahrenländern
       > aufhalten.
       
   IMG Bild: Neue Alarmfunktion auf Tinder: Die App will LGBTQ-Reisende schützen – indem sie sie versteckt
       
       Auch im Jahr 2019 drohen LGBTQ-Menschen noch in zu vielen Ländern dieser
       Welt aufgrund ihrer Sexualität Haftstrafen, Folter und öffentliche Gewalt.
       Die Dating-App Tinder will die Nutzer*innen ihrer LGBTQ-Community vor
       diesen Gefahren schützen und hat ein [1][System entwickelt]: Die
       betroffenen Profile werden von der App versteckt.
       
       Tinder, seit 2012 auf dem Markt, verläuft nach einem einfachen System.
       Nutzer*innen können anhand von Profil- und Standortangaben, Vorlieben sowie
       Fotos für sie interessante Nutzer*innen auswählen. Kommt es zu einem Match,
       stellt die App einen Kontakt her. Das Geschäft boomt, gefühlt tindern alle.
       Mittlerweile hat die Dating-Plattform, die von Los Angeles aus betrieben
       wird, Nutzer*innen in [2][über 190 Ländern] – ein globaler Erfolg also.
       
       Zurück zum vermeintlichem Schutz-System: Profile von Nutzer*innen, für die
       ihre Sexualität auf Reisen eine Gefahr darstellt, werden von der App
       automatisch verborgen. Tinder meldet sich bei den Betroffenen per
       Pop-up-Nachricht. Sie erhalten einen „Traveler-Alert“, zu deutsch einen
       „Reisenden-Alarm“, wie es die App nennt. „Deinem Standort nach zu urteilen,
       befindest du dich an einem Ort, an dem die LGBTQ-Gemeinde bestraft werden
       kann. Wir wollen, dass du Spaß hast, aber deine Sicherheit steht für uns an
       erster Stelle.“
       
       Dieser Text wird zukünftig auf dem Handy erscheinen, sobald die App das GPS
       von seinen Nutzer*innen in einem [3][der 70 Länder ortet, die das
       Unternehmen als gefährlich einstuft,] darunter Saudi-Arabien, Iran und
       Ägypten. Eine Karte des Verbands [4][ILGA World], mit dem Tinder
       kooperiert, informiert über den Gefahrenstatus. Es folgt der Hinweis, beim
       Kennenlernen neuer Leute besondere Vorsicht walten zu lassen. Über einen,
       der Erklärung beigefügten Link, gelangen Nutzer*innen dann zu einer
       Informationsseite. Hier wird die Nutzer*in über die Lage im Land
       aufgeklärt.
       
       ## Sexuelle Orientierung bleibt verborgen
       
       Ab diesem Punkt können Nutzer*innen dann entscheiden: Soll ihr Profil für
       die Zeit ihres Aufenthalts unsichtbar bleiben, oder soll es – gegen den Rat
       von Tinder – wieder freigeschaltet werden? Der Knackpunkt: Will die
       Nutzer*in nicht versteckt werden und macht ihr Profil wieder öffentlich,
       bleibt die sexuelle Orientierung für die gesamte Zeit des weiteren
       Aufenthalts versteckt. Ebenso die Angaben zu Geschlecht und Identität – ob
       dies gewollt ist oder nicht.
       
       Die Dating-App zeigt sich gegenüber der LGBTQ-Community immer wieder
       bewusst offen. Vergangene Woche erst machte Tinder mit einer bunten
       [5][„Pride Slide“ in New York] auf sich aufmerksam. Bilder der riesengroßen
       Regenbogen-Rutsche verbreiteten sich im Netz. Alles nur reine
       Marketingstrategie?
       
       Wenn ja, war diese mehr als erfolgreich. US-Medien zeigen strahlende
       Gesichter auf der Riesen-Rutsche und loben die App für ihren Einsatz.
       „Diskriminierung in jeglicher Form verletzt die grundlegenden Werte von
       Tinder. Wir glauben an Gleichberechtigung, und indem wir unsere Millionen
       Nutzer dazu aufrufen, ihre Unterstützung zu zeigen und aktiv zu werden,
       hoffen wir, zu einer echten Veränderung für die LGBTQ+ Community
       beizutragen“, [6][äußerte sich Elie Seidman], CEO von Tinder, öffentlich zu
       der Kampagne.
       
       Am Tag der Regenbogen-Rutsche veröffentlichte Tinder auf seinem Blog die
       [7][englischsprachige, öffentliche Erklärung zum „Traveler-Alert.“] Um
       einen Zufall handelt es sich dabei wohl nicht. Das Unternehmen zeigt sich
       bunt und weltoffen und dagegen ist nun wirklich nichts einzuwenden. Denn
       bunt ist immer gut.
       
       Sind Nutzer*innen auf Backpacker-Tour in verschiedenen Ländern unterwegs,
       in denen ihnen aufgrund ihrer Gender-Identität oder sexuellen Orientierung
       Gefahr droht und sie vergessen das GPS auszuschalten, wäre ihr Standort auf
       Tinder theoretisch einzusehen – auch für die falschen Leute. Dass die App
       durch das neue System hier einschreitet, um Nutzer*innen – insbesondere
       solche ohne große Reiseerfahrung – vor möglichen Gefahren zu schützen, ist
       lobenswert.
       
       Doch der Verlust der Entscheidungsgewalt darüber, ob und wie Nutzer*innen
       ihre sexuelle Orientierung kommunizieren, scheint weder in die heutige
       Zeit, noch in die Werte von Tinder zu passen. Warum greift das Unternehmen
       also zu einer solchen Maßnahme? Vielleicht dient diese nicht zuletzt auch
       dazu, die Plattform bei eventuellen Übergriffen nicht in die Schusslinie
       geraten zu lassen.
       
       ## Ein rückständiges Signal
       
       Tinder sagt von sich selbst: „Wir sind der Meinung, dass jeder das Recht
       hat, so zu leben, wie er leben will, und den zu lieben, den er lieben
       will.“ Durch das Alarm-Sytsem [8][wolle man sicherstellen, dass kein Mensch
       ungeahnt in Gefahr gerät], einfach nur dadurch, dass er ist, wie er ist.
       Tinder scheint die Liebe zu zelebrieren – und alles was sich auf dem Weg
       dorthin befindet. Die Plattform gibt sich weltoffen.
       
       Die Entscheidung, die sexuelle Orientierung ohne Zustimmung der
       Nutzer*innen in bestimmten Ländern zu verbergen, widerspricht diesem Bild.
       Eine Unterwerfung in die falsche Richtung – auch wenn die Gefahr in den
       betroffenen Ländern keineswegs zu relativieren ist. Es ist ein
       rückständiges Signal, das nicht zum Auftritt der App zu passen scheint.
       Tinder sollte vielmehr den gegenläufigen Weg einschlagen, wie es dies an
       anderen Punkten schon lange tut, und den Kampf für mehr Sicherheit in den
       betroffenen Ländern unterstützen, für die Freiheit anstatt für das
       Verstecken plädieren.
       
       31 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://blog.gotinder.com/safety-update-introducing-traveler-alert/
   DIR [2] https://www.gotinder.com/press?locale=de
   DIR [3] https://ilga.org/maps-sexual-orientation-laws
   DIR [4] https://ilga.org/
   DIR [5] https://www.newsweek.com/tinder-pride-slide-new-york-1445596
   DIR [6] https://blog.gotinder.com/righttolove/
   DIR [7] https://blog.gotinder.com/safety-update-introducing-traveler-alert/
   DIR [8] https://blog.gotinder.com/safety-update-introducing-traveler-alert/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Charlotte Köhler
       
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