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       # taz.de -- Urteil zu Urherberrecht bei Musik: Absteigende Tonfolge
       
       > Ein Copyright-Urteil gegen den Popstar Katy Perry könnte international
       > Schule machen. Musiker und Komponisten sind entsetzt.
       
   IMG Bild: Muss einem christlichen Rapper über zwei Millionen Dollar zahlen: Popsängerin Katy Perry
       
       Berlin taz | Viermal c, dreimal b und einmal a, gespielt über zwei Takte in
       einfachen Viertelnoten – so lautet die simple Tonfolge, die dem
       christlichen US-Rapper Flame und seinen Nebenklägern Da’ T.R.U.T.H und
       Chike Ojukwu in einem Gerichtsurteil diese Woche eine stolze
       Schadenersatzzahlung von 2,78 Millionen US-Dollar bescherte. Das Urteil
       sorgte für Entsetzen, nicht nur bei den Beklagten – dem [1][Popstar] Katy
       Perry, ihrem Label und Produzententeam –, sondern auch bei unzähligen
       Komponisten und Musikern. Was war passiert?
       
       Die Klage hatten Flame und seine Co-Autoren bereits 2014 eingereicht. Ihr
       zufolge soll die 34-jährige US-Künstlerin Perry in dem 2013 erschienenen
       „Dark Horse“ den von Flame fünf Jahre zuvor veröffentlichten Song „Joyful
       Noise“ ohne Erlaubnis kopiert und somit eine [2][Urheberrechtsverletzung]
       begangen haben. Außerdem monierte die Klageschrift, dass Perry –
       insbesondere im zugehörigen Musikvideo – die tiefreligiöse Botschaft von
       „Joyful Noise“ durch „Hexerei, Heidentum, schwarze Magie und
       Illuminatentum“ zitierende Bildersprache auf irreparable Weise „befleckt“
       habe. (Was einem Co-Autor zu viel wurde, der schließlich von der Klage
       absah).
       
       Das nun gesprochene Urteil stellt in gewisser Weise ein Novum dar: Kern der
       Klage war das in der Tat recht ähnlich klingende Synthesizer-Ostinato, eine
       repetitive Tonfolge, die in beiden sonst wenige Gemeinsamkeiten
       aufweisenden Songs gleichermaßen zu hören ist. Die Rechtsprechung folgte in
       der Vergangenheit stets der Ansicht, dass vor allen Dingen Melodielinien
       schützenswert seien, da diese schöpferische Eigentümlichkeiten besitzen,
       die einen individuellen, ästhetischen Gehalt ausdrücken. Nun wurde das
       Konzept des Urheberrechts also auf eine generische, absteigende Tonfolge
       ausgeweitet.
       
       Das abenteuerliche Unterfangen, besagtem Ostinato eine signifikante
       Schöpfungshöhe zu unterstellen, übernahm vor Gericht der
       Musikwissenschaftler Todd Decker, ihm zufolge benutzt kein ihm bekanntes
       Musikstück eine in gleicher Weise abfallende Tonfolge. Eine aberwitzige
       Behauptung; sie impliziert, dass der Rapper Flame im Jahr 2008 als Erster
       in der Musikgeschichte diese simple, musikalische Figur genutzt habe. Die
       Jury – die Anklage hatte wohlweislich auf einem Jury-Prozess bestanden –
       ließ sich aber offenbar beeindrucken.
       
       Dass auch Punkte wie Klangfarbe, Tonhöhe und Rhythmus
       Urheberrechtsverletzungen kennzeichnen, könnten nun eine gerichtlich
       verbriefte Argumentation bei künftigen Copyrightstreiten werden. Diese
       Tendenz zeichnete sich bereits in Prozessen der letzten Jahre ab.
       Paradebeispiel: Robin Thicke und Pharrell, die 2015 zu Zahlungen von fast 5
       Millionen Dollar verurteilt wurden, weil sie den vibe eines
       Marvin-Gaye-Stücks kopiert haben sollen. Dass Klangfarben, Rhythmen oder
       auch nur ein simples Ostinato als copyrightfähig anerkennt werden, ist aber
       vielleicht auch nur folgerichtig in Zeiten, in denen das Geld durch
       Plattenverkäufe schwindet, ergo der Kuchen kleiner wird und sich niemand
       mehr – dem Internet sei Dank – darauf berufen kann, ein Musikstück nicht
       gekannt und es deshalb auch nicht kopiert haben zu können. Komponisten
       könnten es zunehmend schwerer haben.
       
       9 Aug 2019
       
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