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       # taz.de -- Früher Fall von Produktpiraterie: Dat Wasser vun Kölle
       
       > Es klingt nach Nachkriegszeit, Oma-Flair. Heute feiert 4711 ein Comeback,
       > obwohl das echte Eau de Cologne aus dem Haus Farina älter und edler ist.
       
   IMG Bild: Historische Flacons im Duftmuseum des Farina-Hauses
       
       „Farina und 4711 – wir begegnen uns eigentlich nicht auf dem Markt“, sagt
       Johann Maria Farina, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen
       Familienunternehmens. Der Mittfünziger, mit weißem Hemd und
       Manschettenknöpfen unter dem Jackett, empfängt im Büro des Stammhauses in
       der Kölner Altstadt. Hinter Farina hängt in dunklen Ölfarben goldgerahmt
       die Ahnengalerie: eine Familie von Parfümeuren, mittlerweile in der achten
       Generation.
       
       Die meiste Zeit, seit sich Farinas italienischer Vorfahr Giovanni Maria
       1709 in Köln niederließ, gab es Streit um den Namen und Streit um das
       Produkt, das Eau de Cologne, das eigentlich eine Duftgattung und
       Herkunftsbezeichnung ist: in Köln, französisch Cologne, hergestelltes
       Duftwasser. Ein Label, mit dem auch der Konkurrent 4711 wirbt.
       
       Während Farinas Eau de Cologne, mit seinem höheren Anteil an natürlichen
       Duftstoffen und Ölen, mehr zum Parfüm tendiert, ist 4711 im preiswerteren
       Segment der Duftwässer unterwegs – seit einigen Jahren wieder mit großem
       Erfolg. Während Farina, traditionell mit roter Tulpe auf dem versiegelten
       Etikett, nur in Apotheken, inhabergeführten Parfümerien oder bei Manufactum
       vertrieben wird, befindet sich 4711 in Drogeriemärkten, Parfümerieketten
       und Kaufhäusern im Sortiment.
       
       Wie kam Farina Anfang des 18. Jahrhunderts aus dem Piemont nach Köln? Der
       Bruder hatte hier bereits ein Geschäft für „Französisch Kram“, erzählt
       Johann Maria Farina. „Es gab ein internationales Netzwerk von italienischen
       Händlern, und Köln als Handelsstadt mit Bürgerrechten war geeignet und noch
       nicht belegt.“ Die hygienischen Zustände waren damals katastrophal, sich zu
       waschen galt wegen der Ansteckungsgefahr als gesundheitsgefährdend, und die
       Brunnen der Stadt waren halbe Kloaken, beschreibt Farina die kleine Eiszeit
       des Barocks.
       
       „Um den Gestank zu überlagern, liebte man schwere Stoffe und schwere Düfte
       wie Moschus und Sandelholz.“ Und als sein italienischer Vorfahr, Kind einer
       Familie von Aromatiseuren, einen zitrusähnlichen Duft schuf, kam das an den
       europäischen Fürstenhöfen gut an. Farina verwandte dafür neben Lavendel,
       Jasminblüten, verschiedenen Zitruspflanzen die Frucht Bergamotte, die er
       aus seiner italienischen Heimat kannte.
       
       Johann Maria Farina zeigt auf das Fensterbrett in seinem Büro, wo kleine
       blassgelbe, birnenförmige Früchte vom Vorjahr trocknen, aus Kalabrien
       importiert. Das Bergamotteöl wird aus ihrer Schale gewonnen, rund 200
       Kilogramm Früchte braucht man für einen Liter Öl. Die Ernten variieren,
       erzählt Farina, aber durch ihren Verschnitt der Lagen und Jahrgänge
       entsteht ein Produkt von immer gleicher Qualität und Zusammensetzung.
       
       Die Originalrezeptur musste im Lauf der Zeit abgewandelt werden; manche
       Stoffe gibt es nicht mehr, andere darf man heute nicht mehr verwenden. Vor
       allem reiche Bürger und der europäische Adel gehörten damals zu Farinas
       Kundschaft – und blieben es bis heute. Farina junior kramt eine Bestellung
       des dänischen Königshauses hervor – handschriftlich in formvollendetem
       Französisch.
       
       ## Die ersten Plagiate
       
       Markenschutz gab es im 18. und im frühen 19. Jahrhundert noch nicht,
       stattdessen florierte der Namenshandel, und in Köln tauchten ab dem 19.
       Jahrhundert Farina-Plagiate auf. Auf insgesamt 1.200 Fälschungen und
       Nachahmungen kommt Johann Maria Farina in der Geschichte seiner Firma, an
       die 2.000 Mal hat seine Familie in dieser Sache prozessiert – bis ins Jahr
       2006.
       
       Auch 4711 hieß mal Farina, genauer gesagt: F. Maria Farina 1803. Der Kölner
       Unternehmer Wilhelm Mülhens soll Ende des 18. Jahrhunderts von einem Franz
       Maria Farina, nicht verwandt mit dem Parfümeur, die Rezeptur erworben
       haben. Mülhens und später sein Sohn vertrieben ihr Kölnisch Wasser
       erfolgreich unter diesem Namen; um den Namen behalten zu können, holten sie
       fremde Farinas als Geschäftspartner in die Firma. Zur Legende gehört auch
       die Szene, wonach im von napoleonischen Truppen besetzten Köln ein
       berittener französischer Soldat den Befehl seines Kommandanten ausführte,
       alle Häuser durchzunummerieren. Das Haus in der Glockengasse, wo Mülhens
       residierten, war Haus 4.711.
       
       1881 wurde ihnen dann endgültig untersagt, den Namen Farina zu verwenden;
       die Hausnummer – geniale Idee – wurde Firmenname. Wer in den Kölner
       Hauptbahnhof einfährt, sieht noch heute das Logo mit den geschwungenen
       gelben Zahlen und dem Namen in Bremer Blau.
       
       Auch das Foyer des 4711-Flagshipstores in der Kölner Glockengasse, wo
       stündlich ein Glockenspiel die Marseillaise und „Es war einmal ein treuer
       Husar“ erklingen lässt, leuchtet in den Farben von 4711, das zwischen Grün,
       Blau und Türkis changiert. Im Brunnen plätschert echtes Kölnisch Wasser.
       Hinter Glas steckt der meterbreite Gobelin, der die berühmte
       Nummerierungsszene zeigt. Er datiert wie das Haus aus der Nachkriegszeit;
       das alte Stammhaus in der Glockengasse wurde im Krieg zerstört und an
       anderer Stelle wieder aufgebaut.
       
       ## Remix und Retrotrend
       
       Franz Jungeblodt, studierter Kunsthistoriker, macht seit über 20 Jahren
       Führungen bei 4711, er betreut auch die Duftseminare oder Duftmenüs, die
       Schulen, Betriebe oder Gruppen buchen können. Es gibt Puderpapier in
       Buchform und historische Flakons in der Sammlung, manche mit kleinem
       Korkenzieher, wegen des Alkoholgehalts, dann die alten Resolien, längliche
       grüne Flaschen, die sich nicht stapeln ließen und im 19. Jahrhundert durch
       die sechseckige Molanus-Flasche ersetzt wurden.
       
       An den Wänden hängen Werbeplakate, die eine eigene Geschichte der Werbung
       vom Jugendstil bis heute erzählen. Auf einer langen Glasvitrine liegen die
       neuesten Duftvarianten von 4711, das nach wie vor sein Echt Kölnisch Wasser
       im klassischen Gewand vertreibt und das mehr als die Hälfte des Umsatzes
       ausmacht.
       
       Erfolgreich betreibt das Unternehmen, das seit 2006 zum Aachener
       Kosmetik-Konzern Mäurer & Wirtz gehört, die Verjüngung seiner
       Traditionsmarke mit Mixturen wie dem Nouveau Cologne, dem Aqua Colonia und
       dem Remix Cologne, das einen der sieben Hauptinhaltsstoffe neu mischt.
       Dieses Jahr ist es Lavendel – und war nach sieben Wochen nicht mehr
       lieferbar, wie die Presseabteilung des Hauses stolz mitteilt. Das Remix
       passt in den Retrotrend und kommt vor allem bei der jungen Kundschaft gut
       an.
       
       Gut möglich, dass sie den Namen gar nicht mit dem traditionellen 4711
       zusammenbringen. Jahrelang hatte 4711 nämlich ein Imageproblem: unsexy zu
       sein, ein Riechwasser für ältere Damen kurz vor dem Ohnmachtsanfall und
       Alkoholersatz, wegen des hohen Prozentsatzes (85 Prozent). Ein klarer Fall
       von Altersdiskriminierung, der viel über Werbung und Wahrnehmung aussagt.
       
       ## Das Wunderwasser
       
       Dieses muffige Image ist 4711 jedenfalls mit seinen neuen Mischungen und
       gelifteten Etiketten erfolgreich losgeworden, das Design rückt sie in die
       Nähe von Spa-Kultur und Aromatherapien und weit weg vom medizinischen
       Gebrauch. Denn alle Kölnisch Wässer – auch das Original-Farina – fanden
       einst innere Anwendung, wurden also tröpfchen- oder schluckweise, pur oder
       in Wasser aufgelöst, getrunken: gegen Übelkeit und üble Gerüche, Bronchitis
       und Kreislaufbeschwerden. Ähnlich wie Klosterfrau Melissengeist, das die
       Ordensfrau Maria Clementine Martin Anfang des 19. Jahrhunderts nach Köln
       brachte und das ebenfalls als Kölnisch Wasser deklariert wurde.
       
       Anfang 19. Jahrhundert waren Dutzende Kölnisch Wässerchen im Umlauf, damals
       aqua mirabilis, Wunderwasser, genannt. Als Napoleon Köln neue politische
       wie administrative Strukturen schuf, forderte er, dass die Hersteller der
       medizinischen Heilwässer ihre Rezepturen offenlegen. Anders als die
       Klosterfrau mit ihrem Kräuterdestillat deklarierten Farina und Mülhens ihre
       Kölnisch Wasser zu reinen Duftwassern, nur für die äußere Anwendung
       gedacht.
       
       Das Oma-Image hatte Farina nie, „dennoch waren in den 70er Jahren deutsche
       Düfte out“, sagt Johann Maria Farina. Der Inlandseinsatz ging zurück, mit
       dem Relaunch des Herrenklassikers Russisch Leder gelang dem Haus 1967 ein
       großer Erfolg. Noch heute ist es so, dass Farina in Frankreich bekannter
       ist als in Deutschland. Eben ist der Geschäftsführer aus Grasse
       zurückgekehrt, wo es eine Ausstellung zu den großen Eaux de Cologne gibt.
       
       „Wir betonen bei jeder Führung“, sagt Franz Jungeblodt in der Glockengasse,
       „dass Farina das ältere Unternehmen ist. Rivalität von unserer Seite
       besteht nicht“, versichert er. Umgekehrt schon? Johanna Maria Farina ist
       mit dem „Ärgernis“ aufgewachsen, die vielen Plagiate sind Teil der
       Familiengeschichte.
       
       „Wir wachsen“, sagt er, „aber irgendwo gibt es immer Probleme.“ Der Markt
       in der Türkei sei völlig weggebrochen, der drohende Brexit habe wiederum
       den Handel mit Großbritannien gefördert. 85 Prozent der Farina-Produkte
       gehen in den Export, vorwiegend nach Frankreich, Italien und in die
       Benelux-Länder; 62 Mitarbeiter*innen hat das mittelständische Unternehmen,
       das erstmals eine designierte Nachfolgerin hat: Johann Maria Farinas
       Tochter, die dann in neunter Generation die Firma leiten wird.
       
       Früher lebte und arbeitete Familie Farina in dem Haus gegenüber dem
       Jülichplatz, was der Marke dauerhaft das Attribut „Farina gegenüber“
       eintrug. Heute erhebt sich gegenüber der kastenförmige Neubau des
       Wallraff-Richartz-Museums von Mathias Ungers. Im Erdgeschoss befindet sich
       das Ladengeschäft, in den Kellergewölben, die noch römischen Ursprungs
       sind, finden sich Zeugnisse der historischen Produktionsverfahren,
       Holzfässer, Phiolen, Töpfe, in denen natürliche Essenzen, Aromen, Öle
       lagern.
       
       ## Zeugnisse historischer Verfahren
       
       Der dunkle Nebenraum gleicht einem Weinkeller und Drogistenlabor zugleich,
       in dem angerührt, gemischt und probiert werden kann. Ein junger Mann in
       barocker Lockenperücke und Männerkleidung mimt den historischen Johann
       Maria Farina. Ein bisschen Karneval darf’s auch bei Farina sein.
       
       „Ein guter Parfümeur muss eine absolute Nase haben“, erklärt der junge
       Mann. „Er muss sich den Geruch vorstellen können, auch Kombinationen
       mehrerer Stoffe.“ Denn man darf die Nase nicht überfordern, muss lange
       warten. Allgemein wird die Kopf-, Herz- und Basisnote eines Parfüms
       unterschieden: Die Kopfnote riecht man zuerst, dafür verfliegt sie am
       schnellsten; Herz- und Basisnote halten länger, reagieren aber auf jeden
       Hauttyp anders.
       
       Der junge Mann reicht ein Döschen zum Riechen herum: Es stellt sich als
       Mandarine heraus, deren Schale zwar bitter schmeckt, aber süß riecht. Das
       nächste Töpfchen riecht auch gut, ist aber schwer zu bestimmen. Es ist
       Ambra, das aus dem Darmtrakt eines Pottwals stammt und „teurer als Gold“
       ist. Wie Ambra lässt sich auch Bergamotte kaum synthetisch herstellen und
       ist nach wie vor eine der Hauptsubstanzen.
       
       Johann Maria Farina war anno 1709 der Erste, der Bergamotteöl einsetzte,
       und der Erste, der eine Parfümfabrik gründete. Die nicht zum Essen
       geeignete Frucht ist eine Kreuzung aus Bitterorange und Zitrone, das aus
       der Schale gepresste Öl enthält mehr als 350 Aromastoffe und ist überaus
       komplex. In einem Brief an seinen Bruder beschreibt der historische Farina
       seinen Duft als ähnlich wie ein „italienischer Frühlingsmorgen, der Geruch
       von Bergnarzissen und von Orangenblüten nach dem Regen“.
       
       Der Hauptkonkurrent, die Familie Mülhens, die 1871 die Marke 4711 kreierte
       und sie weltweit vermarktete – am erfolgreichsten in den 20er und 50er
       Jahren – , war übrigens bis in die 90er Jahre ebenfalls ein traditionelles
       Familienunternehmen. Die letzten Eigner, zwei Vettern, zerstritten sich,
       die Erneuerung des Labels blieb vorerst aus.
       
       ## Stammhaus in der Glockengasse
       
       Sie verkauften 1999 an den Kosmetikkonzern Wella und dieser bald darauf an
       den Multi Procter & Gamble; 2006 übernahm die deutsche Kosmetikfirma Mäurer
       & Wirtz das Label und gliederte es in seine Produktpalette ein. Seither
       findet die Abfüllung in ihrem Werk in Stolberg bei Aachen statt, wo 7
       Millionen Produkteinheiten pro Jahr hergestellt werden. Die letztendliche
       Mischung passiert in Köln, damit es ein Echt Kölnisch Wasser bleibt.
       
       Das nichthistorische Stammhaus in der Glockengasse wird von vielen
       Touristen besucht. Andere besuchen das Stammhaus von Farina, das älter ist,
       vielleicht versnobter, in jedem Fall authentischer. Wasser spielt in Köln
       von jeher eine große Rolle, viel Wasser fließt den Rhein herunter, und es
       gibt diverse Wasserschutzheilige.
       
       Die von den Römern gebauten Wasserleitungen waren allerdings seit der
       Eroberung durch die Franken im dritten Jahrhundert dem Verfall
       anheimgegeben. Regnen tut es in der Domstadt öfter. Nicht immer riecht es
       hinterher nach Bergnarzissen oder Orangenblüten – dies lässt sich mit einem
       Spritzer Eau de Cologne ausgleichen.
       
       10 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Seifert
       
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