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       # taz.de -- Von Fußballfans bedroht: Chronik einer verhinderten Recherche
       
       > Unser Autor wollte über das Spiel des FC Chemnitz berichten. Vor dem
       > Stadion wird er als „linke Zecke“ beschimpft und bedroht.
       
   IMG Bild: Die Haltung vom vielen FC-Chemnitz-Fans, wenn es um Rassismus geht
       
       Das erste Mal mulmig wird mir um kurz nach 15 Uhr, beim „Einsingen“ am
       Nüschel, dem Wahrzeichen von Chemnitz. Einige Hundert Fußballfans der
       Heimmannschaft sind dem Aufruf der Ultras gefolgt, vor dem Pokalspiel
       gegen den HSV einen „Fanmarsch“ von der Innenstadt zum Stadion zu machen.
       Die Stimmung ist anfänglich entspannt, fast ausgelassen. Kinder und
       Jugendliche stehen genauso in der blau-weißen Fantraube vor dem
       überlebensgroßen Karl-Marx-Kopf wie Männer mit Stiernacken und
       einschlägigen Tätowierungen. Nur die vielen Polizist*innen erinnern daran,
       dass von diesen Fans Gefahr ausgehen kann.
       
       Ich unterhalte mich mit einem langjährigen Fan. Der Mann spricht über den
       Unmut, den viele treue Anhänger*innen empfänden. Über den
       Insolvenzverwalter, der den Verein zerschlagen wolle. Über die
       Vereinsspitze, [1][die „ihren“ Kapitän] wegen eines lächerlichen Vorfalls
       rausgeworfen habe. Über das Umfeld, das sie – die treuen Fans – mit
       unverdienten Vorwürfen überziehen würde. Ein Rassismusproblem bei den Fans
       des Chemnitzer FC sieht er nicht.
       
       Dann beginnen die Fans zu singen: „Ehre, Treue, Leidenschaft – für Verein
       und Heimatstadt“. Immer und immer wieder. Die Trommel setzt ein. Und ein
       Aufpeitscher brüllt dazu ins Mikrofon. Es klingt aggressiv. Es weckt
       Erinnerungen.
       
       [2][Vor fast genau einem Jahr] standen sie schon einmal hier, zusammen mit
       Neonazis, AfD-Politiker*innen, Pegidisten. Einen Tag nach dem Tod von
       Daniel H. rief der rechtsextreme Fanclub „Kaotic Chemnitz“ zum Trauermarsch
       auf. Auch an diesem Sonntag wollen sie wieder ein Zeichen setzen: gegen
       einen Verein, der sich nach jahrelangem Lavieren endlich entschlossener
       gegen seine rechtsextremen Anhänger wendet. Dass hier Rechtsextreme unter
       den Fußballfans sind, ist offensichtlich.
       
       ## Demonstrant mit „Hitler-Fan“-T-Shirt
       
       Einen von ihnen bemerke ich vielleicht 15 Minuten später. Mittlerweile hat
       sich der Demonstrationszug in Gang gesetzt. Zwischen Bahnhof und Opernplatz
       vorbei ziehen die Fans durch die Innenstadt. Die Polizei gibt Geleitschutz.
       Der Mann fällt mir auf, weil er sich mit einem Mountainbike dem Umzug
       genähert hat. Er trägt Springerstiefel und ein T-Shirt mit der Aufschrift
       „Hitler-Fan“.
       
       Ein Demonstrationsteilnehmer zeigt den Hitlergruß, als er ein Wort mit ihm
       wechselt. Als der Mann sich wieder mit dem Fahrrad entfernen will, wird er
       zwar kurz von der Polizei aufgehalten. Sein „Hitler-Fan“-T-Shirt darf er
       aber anbehalten. Zwei Minuten später fährt er wieder neben dem
       Demonstrationszug her. Gemächlich im Schritttempo – so als würde er dort
       patrouillieren.
       
       Zu dem Zeitpunkt bewege ich mich nicht mehr unter den Fans. Ich laufe neben
       dem Tross her und bin damit ziemlich allein. Nur ein Freund aus Berlin
       begleitet mich zu dem Zeitpunkt. Presse ist nirgends zu sehen. Zwischen den
       Fans und den gelegentlichen Passant*innen fallen wir auf. Äußerlich. Und
       weil wir Fotos und Videos machen.
       
       ## Presse unter Beobachtung
       
       In diesem Moment wird mir klar, dass auch ich beobachtet werde. Ein Mann
       mit kurzen blonden Haaren und himmelblauem Poloshirt hält sich mit zwei
       anderen Fans schon ein paar Minuten ganz in unserer Nähe auf. Selbst als
       wir uns zurückfallen lassen, bleiben der Mann und seine Begleiter stehen
       und beobachten uns: Es ist eine unausgesprochene Drohung. Wir haben ein
       Auge auf euch.
       
       In diesem Moment bin ich mir darüber noch nicht ganz sicher. Ist der Mann
       mein „Aufpasser“? Hat er mich bereits als Feindbild ausgemacht? Glaubt er,
       ich sei nicht Journalist, sondern Teil der Antifa? Später, als der Mann mir
       vor dem Stadion auflauert, wird mir klar, dass es so gewesen sein muss. Das
       Gefühl der Bedrohung ist jetzt schon da. Wir verlassen den
       Demonstrationszug.
       
       Etwa zwei Stunden später nähere ich mich dem Stadion. Um 18.30 Uhr soll das
       Spiel angepfiffen werden. Ich bin auf der Suche nach dem Presseeingang. Die
       Heinrich-Schütz-Straße, die am CFC-Stadion vorbeiführt, ist voller Fans.
       Ich bin jetzt allein. An der Eckkneipe „Pub à la Pub“ stehen viele Fans um
       ein Bier an. Es ist ein heißer Augusttag. Es ist unübersichtlich.
       
       ## „Hau ab, du linke Sau“
       
       Ich gehe inmitten Hunderter „himmelblauer“ Fans auf das Stadion zu, bin
       vielleicht noch 50 Meter vom Eingang entfernt, als ich von hinten angeraunt
       werde. Ich drehe mich halb um und erkenne den blonden Mann mit dem
       Poloshirt, diesmal in Begleitung eines Mannes Anfang oder Mitte zwanzig mit
       stark tätowierten Armen. Die beiden Männer kreisen mich ein und verstellen
       mir den Weg.
       
       „Na, wo soll’s denn für dich hingehen?“ „Ich suche den Presseeingang.“ „Du
       bist doch die linke Zecke, die Fotos von uns macht und ins Internet
       stellt.“ „Ich habe keine Fotos ins Internet gestellt.“ „Hau ab, du linke
       Sau, verpiss dich. Aber schnell.“
       
       Die letzten Worte sind fast geschrien, andere CFC-Fans drehen sich nach uns
       um. Der nächste Polizeiwagen ist vielleicht 60 Meter weg. Ich entscheide
       mich gegen eine Diskussion, beharre nicht auf meinem Recht, als
       Pressevertreter das Stadion besuchen zu dürfen. Ich drehe mich um und
       entferne mich langsam vom Stadion. Die beiden Männer folgen mir etwa 20
       Meter weit, rufen mir weitere Sachen nach, die ich nicht verstehe.
       
       Ich gehe an dem Polizeiwagen vorbei. Ich glaube nicht, dass die Beamten
       mich wirklich schützen können oder wollen.
       
       12 Aug 2019
       
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