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       # taz.de -- Nach Demo gegen Rechts in Kassel: Polizei ermittelt gegen sich selbst
       
       > Ein Video zeigt einen brutalen Pfefferspray-Einsatz der Polizei gegen
       > Demonstrant*innen in Kassel. Zwei Betroffene reichten jetzt Klage ein.
       
   IMG Bild: Nicht überall verliefen die Gegendemos so friedlich wie hier
       
       Nach einem Polizeieinsatz bei einer [1][Demo in Kassel am 20. Juli] haben
       zwei Betroffene gegen das Vorgehen der eingesetzten Beamt*innen Klage
       eingereicht. Ihre Vorwürfe werden von Videoaufnahmen belegt. Die Polizei
       hat inzwischen interne Ermittlungen eingeleitet.
       
       Die Partei „Die Rechte“ hatte am 20. Juli zu einer Demonstration „Gegen
       Pressehetze, Verleumdung und Maulkorbphantasien“ in Kassel aufgerufen. In
       einer Ankündigung auf ihrer Website forderte die rechtsextremistische
       Partei im Zusammenhang mit dem [2][Mord am Kasseler Regierungspräsidenten
       Walter Lübcke] ein Ende der „Hetze gegen ‚Rechts‘“.
       
       Daraufhin entschieden sich einige Aktivist*innen, sich der Demo in den Weg
       zu stellen. Mit dabei war Paul Neumann*, 25 Jahre alt, der eigentlich
       anders heißt. Weil er von Teilnehmern der rechten Demo fotografiert wurde,
       möchte er nicht namentlich genannt werden.
       
       Gemeinsam mit anderen Aktivist*innen war er in einem Haus entlang der
       Demo-Route untergekommen. „Als wir bemerkt haben, dass die Demonstration
       der Rechten sich in Bewegung setzt, haben wir quasi nur die Tür aufgemacht
       und uns dort auf die Straße gesetzt“, sagt Neumann. Bereits dabei seien
       einige von ihnen jedoch gewaltsam von der Polizei aufgehalten worden. Wie
       in dem Video zu sehen ist, schafften es mehrere Demonstrant*innen trotzdem,
       sich auf die Straße zu setzen.
       
       Ein Polizist, der ebenfalls im Video zu sehen ist, habe den
       Demonstrierenden mit dem Einsatz von Pfefferspray gedroht, sollten sie die
       Straße nicht verlassen. Noch während er die Drohung ein letztes Mal
       aussprach, habe der Polizist angefangen das Spray zu nutzen, schildert
       Neumann. Daraufhin wurde die Sitzblockade gewaltsam von den Polizist*innen
       aufgelöst.
       
       Genau dort liege das Problem, sagt Anwalt Sven Adam. Er vertritt Neumann
       und hat am Montag Klage gegen das Vorgehen der Polizei eingereicht. Die
       Gegendemonstration falle unter das Versammlungsgesetz. Deswegen hätte die
       Polizei zunächst Auflagen formulieren müssen. Erst bei Verstoß gegen diese
       Auflagen sei eine Auflösung möglich. Zwangsmaßnahmen hätten in jedem Fall
       eindeutig angekündigt werden müssen.
       
       „Es ging so schnell, dass Menschen, auch wenn sie wollten, das nicht hätten
       wahrnehmen können, weil es eine ziemlich hektische Situation war. Da wirst
       du zweimal kurz angeschrien, dann kriegst du Pfeffer ins Gesicht“,
       beschreibt Neumann die Situation. Eine Person habe einen Krampfanfall
       erlitten in Folge des Pfefferspray-Einsatzes.
       
       Benjamin Rusteberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
       Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg,
       bestätigt, dass auch spontane Versammlungen – wie Sitzblockaden – durch das
       Versammlungsrecht geschützt seien. Mögliche Zwangsmaßnahmen müssten den
       Teilnehmer*innen außerdem grundsätzlich vor ihrer Durchführung angekündigt
       werden. Ob die Auflösung ordnungsgemäß eingeleitet wurde, könne er aus dem
       Video nicht schließen. „Was ich aber sagen kann ist, dass der Einsatz von
       Pfefferspray in der konkreten Form eindeutig rechtswidrig war“, sagt
       Rusteberg. Demnach müsse die Polizei nach dem Prinzip der
       Verhältnismäßigkeit agieren. Zum Auflösen einer Versammlung, die – wie es
       im Video scheint – vollkommen friedlich ist, sei Pfefferspray „kein
       erforderliches und überdies auch kein zweckdienliches Mittel.“
       
       Da die Sitzblockade nicht als Versammlung behandelt wurde, seien auch
       weitere Handlungen der Polizei rechtswidrig, sagt Rechtsanwalt Adam. In
       seiner Klage geht er unter anderem gegen Schmerzgriffe, die
       Ingewahrsamnahme und die erkennungsdienstliche Behandlung seines Mandanten
       vor.
       
       ## Rechte filmten Demo-Teilnehmer
       
       Er kritisiert außerdem, dass die Polizisten seinen Mandanten nicht
       schützten, als dieser von rechtsradikalen Demo-Teilnehmern fotografiert
       wurde. „Meine Hände waren am Rücken gefesselt und ich bin an eine Wand
       gelehnt und gesetzt worden, das heißt, ich hatte gar keine Möglichkeit mein
       Gesicht zu verdecken oder mich anderweitig zu schützen.“, sagt Neumann.
       Obwohl er neben sich stehende Polizist*innen mehrmals aufgefordert habe,
       das Fotografieren zu unterbinden, sei nichts dagegen unternommen worden.
       Eine Journalistin sei außerdem daran gehindert worden, zu den
       Demonstrant*innen zu gehen.
       
       Neben Neumann reichte auch eine weitere Teilnehmerin der Sitzblockade Klage
       ein. Außerdem stellte der hessische Linke-Abgeordnete Torsten Felstehausen
       Strafanzeige gegen die beteiligten Polizeibeamt*innen wegen
       Körperverletzung im Amt. „Das Ziel des Einsatzes von Pfefferspray war
       offensichtlich nicht die Auflösung der Sitzblockade, sondern eine
       Bestrafung der Demonstranten“, schreibt Felstehausen in einer
       Pressemitteilung.
       
       Inhalt der internen Ermittlungen der Polizei sei das im Video zu sehende
       Vorgehen der Beamt*innen, sagte ein Sprecher der Polizei Nordhessen.
       Genauer wollte er sich nicht zu den Untersuchungen äußern.
       
       *Name geändert
       
       1 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Helena Werhahn
       
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