URI: 
       # taz.de -- Positiv bleiben in der Großstadt: Berlin pöbelt Nana Mouskouri an
       
       > Früh aufstehen, das Lieblingslied und die Vögel singen hören – alles
       > könnte so schön sein: Wenn nicht die lieben Mitmenschen wären.
       
   IMG Bild: So macht Tramfahren Spaß!
       
       Jeden Morgen um 6 Uhr weckt mich mein Smartphone mit [1][„Guten Morgen,
       Sonnenschein“ von Nana Mouskouri]. Ich mag das Lied seit meiner Kindheit.
       Dusche, Kaffee, die Zeitungen, Twitter. Morgens positiv in den Tag zu
       starten, ist mir sehr wichtig.
       
       Auf der Straße begrüßt mich der unfassbare Duft von Linden. Dann die Vögel,
       die Blumen, ein Lächeln legt sich auf mein Gesicht, da donnert ein Fahrrad
       knapp an mir vorbei. „He, das ist ein Fußweg“, maule ich gerade, da streift
       mich das zweite. Motzend komme ich an der Tramhalte an. Die Bahn fährt ein,
       eine Fundgrube für Menschen, die gern Beobachtungen anstellen.
       
       Am meisten hasse ich die Typen mit Rucksäcken. Die sie natürlich unmöglich
       abnehmen können. Dann die Typen, die ihre Beine spreizen, bis sie nicht
       mehr können. Neben einem von ihnen ist ein Sitz frei. Ach ne, doch nicht,
       er hat sein Smartphone darauf gelegt. „Pardon“, sage ich zu dem
       manspreadenden Fahrgast, er so: „Was ist?“ Klar. „Och, nix, Baby“, denke
       ich, „Hab einfach eine schöne Reise“, im Kopf noch Nana Mouskouri.
       
       Aber es gibt auch krasse Frauen. Die zum Beispiel in den schönen, alten,
       gelben U-Bahn-Waggons mit den engen Sitzreihen ihre Beine übereinander
       schlagen und telefonieren, man möchte ihnen ein Tässchen Kaffee dazu
       reichen. Ich bitte um Erlaubnis, an ihren Beinen vorbeizugehen. Madame
       scheint allerdings dem Hochadel zu entstammen und mustert mich
       sauertöpfisch, bevor sie langsam, wirklich langsam eines ihrer Beine aus
       dem Weg nimmt.
       
       Und dann sind da noch die Blicke jener, die mir ansehen, dass ich nicht zu
       ihnen gehöre, keine Deutsche bin, diese an die zusammengekrampften
       Mundwinkel geheftete Herablassung. „Wer bist du denn?“, denke ich mir und
       gehe weiter. Denn in Berlin darf man sich nie mit jemandem anlegen. Das
       habe ich in meinem ersten Jahr hier gelernt. Die Wahrscheinlichkeit, dass
       dein Gegenüber von den Grundregeln der Zivilisation nichts mitbekommen hat,
       ist einfach zu hoch.
       
       ## Bitte an die Regeln halten
       
       Die Straßenverkehrsordnung ist in Deutschland sehr wichtig. Aber
       grundsätzlich müssen alle noch schnell über die rote Ampel. Die Fahrradwege
       sind immer zugeparkt, aber meistens nur von DHL-Fahrern, die ohnehin
       schnell weiter müssen. Dafür nutze ich gern die Fahrbahn, um an Trauben von
       Menschen vorbeizukommen, die den Bürgersteig blockieren. Es ist ermüdend,
       die ganze schöne, positive Energie, mit der man in den Tag startet, auf dem
       Weg an seine Mitmenschen zu verlieren.
       
       Vielleicht muss ich wirklich in eine Kleinstadt ziehen. Denn ich wünsche
       mir immerzu, dass alle sich schön an die Regeln halten. Das Leben wäre ein
       Fest, wenn die Menschen nur … okay, ich hab mich ein bisschen
       reingesteigert. Egal.
       
       Ihr Süßen, Stadtleben heißt, gewisse Dinge zu beachten. So wie ihr auch zu
       Hause alles schön sauber haltet, hoffe ich, und euren Nachbarn nicht auf
       die Nerven geht. Das war’s auch schon.
       
       Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
       
       16 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=c4aE7E8bzd0
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michelle Demishevich
       
       ## TAGS
       
   DIR Lost in Trans*lation
   DIR Verkehr
   DIR Großstadt
   DIR Jazz
   DIR Lost in Trans*lation
   DIR Lost in Trans*lation
   DIR Lost in Trans*lation
   DIR taz.gazete
   DIR taz.gazete
   DIR Lost in Trans*lation
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nana Mouskouri wird 90: Weiße Rosen für die Mouskouri
       
       Mit Folkloresongs wie „Weiße Rosen aus Athen“, wurde Nana Mouskouri zum
       Star. Sie zählt zu den Letzten, die die Versprechen der Nachkriegszeit
       verkörpern.
       
   DIR Coming-out und Journalismus: Danke für nichts, Kolleg*innen
       
       In Istanbul im Jahr 2000 sollte mein neues Leben beginnen. Journalistin war
       ich schon, nun auch trans Frau. Geholfen hat mir niemand.
       
   DIR Dolmetschen in Behörden: Stadt der Spione
       
       Sind unsere privaten Daten bei Behörden sicher aufgehoben? Ein zufällig
       belauschtes Gespräch in der Tram lässt auf das Gegenteil schließen.
       
   DIR Totalitäre Regime in der Türkei: Die Egos bescheuerter Typen
       
       Im September 1980 fand in der Türkei ein schrecklicher Militärputsch statt.
       Knapp 40 Jahre später ist wieder ein Diktator an der Macht.
       
   DIR Köşe yazısı, Lost in Trans*lation: Sakıncalı annelik
       
       Yazarımız bir göl kenarında çocuklarıyla zaman geçirdiğini hayal ederken,
       cis-heteroseksüel toplumun anne olmasına nasıl bakacağını düşünüyor.
       
   DIR Kolumne Lost in Trans*lation: Berlin, du Unsichere
       
       Die LGBTI-Community feiert gerade 50 Jahre Widerstand gegen die homophobe
       Staatsgewalt. Ausgerechnet jetzt müssen wir Angst haben.
       
   DIR Kolumne Lost in Trans*lation: Gezi ist noch immer aktuell
       
       Sie ist nicht tot – die Protestbewegung, die aus dem Istanbuler Gezipark
       entstand. Im Bürgermeisterwahlkampf lebt sie weiter.