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       # taz.de -- Debatte um Thunbergs Segelreise: Niemand schafft's allein
       
       > Selbst Greta Thunberg kommt nicht klimaneutral über den Atlantik. Ihre
       > Reise zeigt, dass manche Probleme nur kollektiv gelöst werden können.
       
   IMG Bild: Greta Thunbergs Reise zeigt vor allem eins: Globale Probleme brauchen kollektive Lösungen
       
       Der Aufschrei war zu erwarten. Dass ausgerechnet die taz am Freitag
       [1][aufgedeckt hat], dass der Segeltörn von Greta Thunberg dem Klima mehr
       schadet, als es ein normaler Flug getan hätte, hat viele, die ihr Anliegen
       teilen, verärgert. Das zeigen die Reaktionen im Internet sehr deutlich. In
       jenen Kreisen, denen Thunberg ohnehin als Hassfigur gilt, wird die
       Nachricht dagegen begeistert geteilt.
       
       Diese Reaktionen kann man als Medium bedauern. Beeinflussen lassen sollte
       man sich davon jedoch nicht. Greta Thunberg hat selbst betont, dass sie
       „ohne Emissionen“ in die USA reisen wolle. Wenn Nachfragen nun ergeben,
       dass der Skipper, der Thunberg und ihren Vater über den Atlantik fährt,
       anschließend mit dem Flugzeug zurückreist und zudem neue Crewmitglieder
       eingeflogen werden, die das Schiff nach Europa zurücksegeln, dann ist das
       eine relevante Information.
       
       Egal ob nun sechs Teammitglieder fliegen, wie der Pressesprecher des
       Skippers am Donnerstag der taz gesagt hatte, oder nur vier, wie ein anderes
       Teammitglied am nächsten Tag erklärte: Insgesamt erzeugt der vermeintlich
       klimaneutrale Trip damit mehr Emissionen, als bei einem Flug von Thunberg
       und ihrem Vater allein entstanden wären. Das kann eine Zeitung, die im
       Vorfeld [2][ausführlich über die Reise berichtet hat], ihren LeserInnen
       nicht vorenthalten, nur weil es vielen nicht gefällt. Nur noch
       veröffentlichen, was beim eigenen Publikum gut ankommt, hätte mit
       Journalismus nichts mehr zu tun.
       
       Viel spannender ist die Frage, ob diese neue Erkenntnis über die
       tatsächliche Klimabilanz des Segeltörns dem Anliegen von Greta Thunberg
       überhaupt schadet, wie gerade ihre KritikerInnen meinen.
       
       Schließlich sollte ihre vollkommen emissionsfreie Reise ja vor allem ein
       Symbol sein. Ein Zeichen, dass man auch mit individuellem Verhalten die
       Welt verändern kann. Und ein Appell an die Weltgemeinschaft, insgesamt mehr
       für den Klimaschutz zu tun.
       
       ## Wo der individuelle Ansatz an seine Grenzen stößt
       
       Die erste Botschaft steht nun infrage. Wenn es selbst einer Greta Thunberg
       mit dem riesigen Aufwand und den gewaltigen Strapazen, die sie für ihre
       Reise auf sich nimmt, nicht gelingt, den Atlantik wirklich klimafreundlich
       zu überqueren, dann zeigt das eindrücklich, dass manche Probleme eben nicht
       auf persönlicher Ebene gelöst werden können.
       
       Individuelle Verhaltensänderungen können als Denkanstoß oder als Vorbild
       sinnvoll sein, sie können Lösungen demonstrieren und politische
       Veränderungen einleiten. Wer freiwillig Fahrrad oder Bus statt Auto fährt,
       tut nicht nur sich und der Umwelt etwas Gutes. Sondern schafft langfristig
       auch Druck, den Raum in den Städten umzuverteilen und damit den Autoverkehr
       insgesamt zurückzudrängen. Wer Biolebensmittel kauft, sorgt nicht nur
       unmittelbar für weniger Gift und Dünger auf den Feldern, sondern liefert
       auch einen Beweis, dass Menschen sich nicht nur für den Preis der Nahrung
       interessieren.
       
       Doch schon auf diesen Handlungsfeldern, auf denen praktikable Alternativen
       existieren, stößt der individuelle Ansatz bald an seine Grenzen. Um die
       Umwelt- und Klimakrise abzuwenden, reicht es nicht, wenn nur diejenigen ihr
       Verhalten ändern, die von sich aus die Notwendigkeit sehen und sich die
       Alternativen unter den bestehenden Verhältnissen leisten können.
       
       Dafür braucht es Regeln, die die Probleme unabhängig von individuellen
       Entscheidungen lösen. Private Pkws aus Innenstädten zu verbannen und im
       Gegenzug einen funktionierenden, kostenlosen Nahverkehr zu schaffen bringt
       am Ende einfach mehr als ein Appell, das Auto doch mal stehen zu lassen.
       Genauso nützt ein flächendeckendes Verbot von Glyphosat und quälerischer
       Tierhaltung der Sache mehr als ein paar weitere KundInnen, die freiwillig
       aufs Biosiegel achten.
       
       ## Kollektive Lösungen suchen
       
       Noch viel wichtiger ist diese Botschaft, dass die Welt neue Regeln braucht,
       bei Themen, wo es auf individueller Ebene wenig oder keine
       Einflussmöglichkeiten gibt. Besonders beim Langstreckentransport wird das
       Problem offensichtlich: Selbst ökologische und faire Produkte aus fernen
       Ländern fahren im besten Fall auf fossil betriebenen Schiffen über die
       Meere. Und für Reisen über den Atlantik gibt es – siehe Thunberg –
       überhaupt keine klimaneutrale Art. Von einer praktikablen und
       skalierbaren ganz zu schweigen.
       
       Einen Flug durch eine Spende für Klimaschutzprojekte in anderen Ländern zu
       „kompensieren“, wie es auch das Team von Thunbergs Schiff tut, ist global
       gesehen auch keine Lösung. Denn um die Erdüberhitzung zu verhindern, müssen
       die Emissionen überall sinken, nicht hier oder dort.
       
       Auf individueller Ebene bliebe beim Thema Fernreisen also praktisch nur der
       völlige Verzicht, wenn man nicht zum Klimawandel beitragen will. Dazu sind
       aber die wenigsten Menschen bereit. Der Appell an individuelle
       Verhaltensänderungen führt bei diesem Thema darum zu Ohnmacht und
       Resignation. Wenn sich nur Menschen für den Klimaschutz einsetzen dürfen,
       die klimaneutral leben, bleibt praktisch niemand übrig.
       
       Dazu kommt, dass es weder realistisch noch wünschenswert erscheint,
       Welthandel und Fernreisen aus Klimaschutzgründen komplett einzustellen. Das
       politische Ziel kann darum nur lauten, solche Transporte so weit wie
       möglich zu begrenzen, zugleich aber darauf hinzuarbeiten, die verbliebenen
       so klimafreundlich wie möglich zu gestalten.
       
       ## Die Symbolkraft bleibt
       
       Technische Ansätze dafür gibt es durchaus. Mit erneuerbarem Strom kann aus
       CO2 und Wasser weitgehend klimaneutraler Treibstoff hergestellt werden.
       Das kostet derzeit ein Vielfaches von konventionellem Sprit und stößt zudem
       auf Widerstand bei allen, die derzeit mit Erdölprodukten gutes Geld
       verdienen.
       
       Dieser Technik zum Durchbruch zu verhelfen kann gelingen, indem der
       CO2-Ausstoß in großen Teilen der Welt so teuer wird, dass die Alternativen
       sich durchsetzen können. Oder indem verbindliche, jährlich steigende Quoten
       für die Beimischung von synthetischem Treibstoff vorgegeben werden. Das ist
       ohne Frage kein einfacher Weg – aber allemal realistischer als die Annahme,
       dass wir künftig alle im Segelboot reisen.
       
       Über Thunbergs Probleme bei der klimaneutralen Atlantiküberquerung zu
       berichten, hilft also nicht zwangsläufig, wie viele LeserInnen meinen,
       jenen, die gar nichts gegen den Klimawandel unternehmen wollen. Ganz im
       Gegenteil.
       
       Ebenso wie ihr [3][unermüdlicher Streik] bereits dazu geführt hat, dass
       eine weltweite Bewegung für den Klimaschutz entstanden ist, kann auch ihre
       ungemütliche Reise, auf der sie in den ersten 48 Stunden knapp 1.000
       Kilometer vorangekommen ist, trotzdem zu einem starken Symbol für den
       UN-Klimagipfel werden, den sie ansteuert. Greta Thunbergs Trip zeigt, dass
       die Energiewende massiv beschleunigt werden muss, damit wichtige Reisen
       auch möglich bleiben, ohne dass das Klimasystem kollabiert.
       
       16 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Malte Kreutzfeldt
       
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