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       # taz.de -- Tötung eines slowakischen Journalisten: Mörderischer Parallelstaat
       
       > Im Fall des Mordes an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciák und seiner
       > Verlobten 2018 wird gegen weitere Ex-Polizisten und Justizbeamte
       > ermittelt.
       
   IMG Bild: Protestkundgebung am 5. April 2018 in Bratislava – zwei Monate nach dem Doppelmord
       
       Prag taz | Der Mord an dem [1][slowakischen Journalisten Ján Kuciák] und
       seiner Verlobten Martina Kušnírova hat vor eineinhalb Jahren zu massiven
       Protesten geführt, die im Rücktritt des langjährigen Ministerpräsidenten
       Róbert Fico und seines Innenministers ihren Höhepunkt fanden. Kaum ein
       Slowake glaubte damals daran, dass der Mord an dem 27-jährigen
       Investigativreporter jemals aufgeklärt werden würde.
       
       Umso größer war das Erstaunen, als noch vor Jahresende 2018 fünf
       [2][Tatverdächtige festgenommen] wurden. Als Strippenzieher gilt der
       slowakische Geschäftsmann Marián Kočner, dessen unternehmerische
       Aktivitäten immer wieder im Fokus von Kuciáks Recherchen standen:
       Steuerhinterziehung, gefälschte Wechsel, Bestechung.
       
       Die unternehmerischen Aktivitäten Kočners waren ein wahres Füllhorn für
       einen Journalisten wie Ján Kuciák. Der kannte die Datenbanken und
       Handelsregister, die Tricks, mit denen Leute wie Marián Kočner ihre dunklen
       Geschäfte gut genug verschleierten, um Zusammenhänge zu erkennen und zu
       einem Bild zusammenzufügen.
       
       Das Bild der Slowakei legt einen Parallelstaat offen, der seit der
       Unabhängigkeit 1993 im Verborgenen gedeiht. In ihm ziehen alte Seilschaften
       des kommunistischen Regimes und dessen moskaugeschulte Nachwuchseliten mit
       den Schwarzhändlern von damals im Rahmen der neuen politischen Strukturen
       der Nachwendezeit im Hintergrund die Strippen.
       
       ## Noch ein Auftragsmord
       
       Das ist ein Gefüge, ohne das Marián Kočner seinen Hassfeldzug gegen Kuciák
       nicht bis zum Äußersten hätte durchziehen können. Abgedrückt hat ein
       ehemaliger Soldat. Der wurde von einem Ex-Polizisten zum Tatort gebracht.
       Beide sind noch eines weiteren Auftragsmords angeklagt. Die Grenze zwischen
       Staatsgewalt und Mafia scheint in der Slowakei fließend zu sein.
       
       Denn wie jetzt die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Kuciák-Ermittlungen
       mitteilte, besteht der Verdacht, dass weitere ehemalige Polizisten und
       Justizbeamte Marián Kočner zur Seite standen. Sie sollen sich doch bitte
       freiwillig melden, ließ Generalstaatsanwalt Jan Cižnar verlauten. Dann
       könnten sie auch mit mildernden Umständen rechnen, versprach er.
       
       Die wohl derzeit wichtigste Person in den Ermittlungen beziehungsweise dem
       anstehenden Gerichtsverfahren im Falle Kuciák ist ein ehemaliger
       Journalist, der seine vielversprechende Karriere bei der Tageszeitung Sme
       vor Jahren gegen einen leitenden Job im slowakischen Nachrichtendienst
       getauscht hat.
       
       Heute ist Peter Tóth ein gejagter Mann. Obwohl der Polizei seine
       Zeugenaussage vorliegt, hat Tóth Angst und versteckt sich momentan im
       Ausland, auch in Deutschland, wo er im Juli in München den
       Investigativreporter Radován Braník traf. „Wenn Tóth nicht beim Prozess
       gegen Kočner aussagt, wird der nicht verurteilt werden können“, meint
       Braník. „Und Schutz hat er momentan keinen. Nur Angst.“
       
       ## „Paparazzi“ spielen
       
       Kein Wunder. Nur Peter Tóth kann bezeugen, dass Marián Kočner hinter
       Journalisten her war, die ihm unangenehm waren. Kočner habe ihn beauftragt,
       bei ausgesuchten Journalisten „Paparazzi“ zu spielen. Man müsse schließlich
       auch die Machenschaften von Journalisten aufdecken, erklärte Kočner dem
       Ex-Journalisten, der zum Geheimdienstmann wurde.
       
       Seitenlang erzählt Tóth in einer Zeugenaussage von Kočner und seinem
       „Paparazzi“-Spielchen, die er im Auftrag und im Sold Kočners betrieb. Außer
       ihm hatte Kočner einen weiteren Verbündeten: Norbert Bödör ist Chef der
       größten privaten Sicherheitsfirma der Slowakei. Zudem ist er verschwägert
       mit dem langjährigen Polizeipräsidenten des Landes, der nach dem
       Kuciák-Mord zurücktreten musste.
       
       Journalisten bespitzeln gehörte im Sumpf der Slowakei mit zum Ökosystem.
       Schon 2013, als mächtige Investorengruppen des Landes ihre Medienmacht
       durch Einkäufe erweitern wollten, ließen sie Journalisten, deren Widerstand
       sie fürchteten, von privaten Sicherheitsleuten, oft geschult von Polizei
       oder Nachrichtendiensten, ausspionieren.
       
       Marián Kočner mag für den Doppelmord an Ján Kuciák verurteilt werden. Aber
       er ist nichts weiter als die Spitze eines perfiden Systems, das das Land
       mit einem Netz aus organisiertem Verbrechen und politischer und
       wirtschaftlicher Macht überzogen hat. Dieses System ist Herr über Leben und
       Tod geworden.
       
       20 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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