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       # taz.de -- Forstwissenschaftler über Waldbau: „Man muss das Risiko streuen“
       
       > Der Forstwissenschaftler Jürgen Bauhus erklärt, warum guter Waldbau auch
       > Armut bekämpft. Außerdem sei Eukalyptus besser als sein Ruf.
       
   IMG Bild: Zedern aus dem Libanon könnten bald auch in Deutschland häufiger wachsen
       
       taz am wochenende: Herr Bauhus, wenn die Waldfläche der Welt um etwa die
       Größe der USA wächst, kann das zwei Drittel der CO2-Emissionen der Menschen
       ausgleichen, sagt eine Studie. Ist so viel Aufforstung realistisch? 
       
       Jürgen Bauhus: Theoretisch ja – praktisch leider nein. Die Studie zeigt, wo
       auf der Welt mehr Bäume wachsen könnten. Dafür haben die Forscher Städte
       und landwirtschaftliche Felder ausgeschlossen. Viele der verbleibenden
       Flächen sind aber gar nicht frei. Sie werden zum Beispiel als Weiden
       genutzt. Dort aufzuforsten schafft soziale Konflikte. Nicht überall ist
       Aufforstung erwünscht.
       
       Was muss da sein, damit Aufforstung funktioniert? 
       
       Zuerst müssen das Klima und der Boden stimmen. Genauso wichtig sind aber
       die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Wer eine genutzte Fläche
       aufforstet, muss den Menschen vor Ort eine Alternative bieten. Sonst ist
       jede Aufforstung zum Scheitern verdammt. Es gibt Fälle, wo Bäume gesetzt
       und eine Woche später Rinder auf die Fläche getrieben werden. Aufforstung
       ist ja kein neues Modell. Sie muss nur attraktiver werden.
       
       Wie könnte das klappen? 
       
       Eine Möglichkeit ist der Agroforst. Das ist eine Kombination aus Bäumen,
       Sträuchern und Landwirtschaft. Momentan führt der Agroforst leider noch ein
       Schattendasein. Plantagen sind etablierter, bringen aber weniger
       Arbeitsplätze.
       
       Warum das? 
       
       Auf 100 Hektar, sagen wir hundertvierzig Fußballfeldern, können dauerhafte
       Arbeitsplätze für ein bis vier Personen entstehen – je nachdem, was
       produziert wird. Gute Erfahrungen gibt es im Süden Brasiliens. Dort hat man
       Eukalyptus mit Regenwald gemischt, also schmale Streifen der Nutzbäume
       gemeinsam mit dem Regenwald angepflanzt. Wenn der Eukalyptus geerntet wird,
       übernehmen die Regenwaldbäume die Fläche. Und der Erlös des
       Eukalyptusholzes kann an anderer Stelle die Aufforstung des Regenwaldes
       finanzieren.
       
       Es darf doch nicht nur um wirtschaftliche Faktoren gehen. 
       
       Nein. Natürlich gehören auch andere Ziele dazu, zum Beispiel Biodiversität.
       Ökologisch betrachtet kann ein natürliches Grasland mehr wert sein als ein
       Wald. Eine gute Aufforstung in Ländern des globalen Südens sollte aber eben
       auch die Armut bekämpfen. Deswegen ist es letztlich ein Abwägen zwischen
       Ökologie und Wirtschaft.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Wenn der Wald ganz sich selbst überlassen wird, kann er zunächst mehr CO2
       binden und ist wertvoller für die Biodiversität. Trotzdem würde ich nicht
       zu dogmatisch sein. Also im Zweifel eher eine Plantage pflanzen, als nichts
       zu tun. Man sollte jede Möglichkeit ausschöpfen, um alle für diese
       Herkulesaufgabe ins Boot zu holen.
       
       Wo gibt es – ganz praktisch gesehen – die größten Räume für Aufforstung? 
       
       Weltweit vor allem in China. Dort laufen momentan die größten Projekte. Man
       kann von dem Regime halten, was man will, aber die politische Lage ist
       stabil. Auch das ist wichtig. Eine erfolgreiche Aufforstung braucht
       langfristiges Engagement und kostet. Es muss klar sein, wem die Fläche
       gehört und wie es mit ihr weitergeht. In Ländern wie Ruanda oder Äthiopien
       könnte die wirtschaftliche Entwicklung Druck vom Land nehmen. Wo Flächen
       aus der Landwirtschaft frei werden, könnte man aufforsten. Aber in der
       Praxis fehlt eben oft das Geld.
       
       Wie sieht es in Deutschland aus? 
       
       Am ehesten könnte man noch in den Mittelgebirgen aufforsten. Insgesamt
       wächst die Waldfläche leicht, weil mehr aufgeforstet als gerodet wird.
       Trotzdem ist Deutschland zu dicht besiedelt und die Flächenkonkurrenz zu
       intensiv, um noch große neue Wälder zu schaffen. Momentan konzentriert man
       sich darauf, die Wälder zu verjüngen, die von Trockenheit, Hitze und
       Borkenkäfer geschädigt sind.
       
       Für viele ist der Wald ein Sehnsuchtsort, sie spazieren darin und schreiben
       ihm Lieder. Warum ist er trotzdem in so einem schlechten Zustand? 
       
       Das liegt an vielen Faktoren. Die jetzigen Extremereignisse nehmen zu, an
       Stürme und Dürre sind die Bäume nicht angepasst. Bäume wie die Fichte oder
       die Kiefer hat der Mensch in der Vergangenheit außerdem zu weit über ihr
       natürliches Gebiet angebaut. Dadurch geraten die Bäume jetzt unter Stress.
       Das Problem, das wir sehen, ist zum Teil also auch hausgemacht. Von unseren
       Gefühlen hat der Wald dabei nichts. Wir haben auch ein verklärtes Bild von
       ihm. Viele denken, dass er ein unberührtes Wesen ist. Unsere Wälder sind
       aber ein Kulturprodukt.
       
       Für Aufforstung hat Agrarministerin Julia Klöckner im Juli 500 Millionen
       Euro versprochen – und selbst gesagt, das reiche nicht. Wie viel bräuchte
       es? 
       
       Das kommt darauf an, welche Bäume Sie wollen. Wir sprechen über rund
       110.000 Hektar, die wieder aufgeforstet werden sollen. Eichen sind teuer,
       unter anderem, weil sie Zäune zum Schutz gegen Wildverbiss brauchen. Da
       kostet ein Hektar ungefähr 20.000 Euro. Die Douglasie ist viel günstiger,
       die kostet zwischen 3.000 bis 6.000 Euro pro Hektar. Wollte man also diese
       Fläche mit verschiedensten Baumarten wieder bepflanzen, bräuchte man,
       konservativ geschätzt, wenigstens eine Milliarde Euro.
       
       Allein die Elbphilharmonie hat mehr gekostet als 500 Millionen. Warum gibt
       es für Aufforstung in Deutschland so wenig Geld? 
       
       Bisher existiert keine institutionelle Förderung für den Wald. Wir haben
       das grundsätzliche Problem, dass alle Leistungen aus dem Holzerlös
       finanziert werden müssen. Deswegen gibt es zu wenig Geld dafür, dass der
       Wald seine Aufgaben für Trinkwasserschutz, Erholung und Biodiversität so
       erfüllt, wie die Gesellschaft das gerne hätte. Zwar stellt der Bund für
       private und kommunale Waldbesitzer Gelder zur Verfügung (siehe S. 25),
       diese Mittel zur Förderung werden aber oft gar nicht abgerufen, weil der
       bürokratische Aufwand zu groß oder das Programm zu unbekannt ist.
       
       Was klappt hier gut? 
       
       Vor allem im außereuropäischen Vergleich kümmert man sich in Deutschland
       gut um die aufgeforsteten Flächen. Es wird sehr darauf geachtet, dass sich
       aus den frisch gesetzten Bäumen auch wirklich ein Wald entwickelt. Und
       durch die staatliche Förderung wird gewährleistet, dass zum Beispiel nicht
       noch ein Fichtenwald oder eine andere Monokultur entsteht.
       
       Im vergangenen Jahr sind über 3.000 Hektar Wald in Deutschland verbrannt.
       Wie funktioniert Bäumepflanzen ganz praktisch gesehen? 
       
       Der heikelste Schritt kommt zuerst. Das Wichtigste ist, die
       Konkurrenzvegetation zu kontrollieren. Sie müssen andere Pflanzen
       beseitigen. Gegen Gras tun sich Setzlinge sehr schwer. Dafür wird zum
       Beispiel der Boden gepflügt. Dann erst nehmen Sie den Pflanzspaten und
       setzen den Baum ein. Je nach Baum ist in Deutschland der Herbst oder das
       Frühjahr gut geeignet zum Pflanzen, in den Tropen die Phase zu Beginn der
       Regenzeit.
       
       Muss man wirklich noch immer jeden einzelnen Baum von Hand einsetzen? 
       
       Man kann auch mit Maschinen pflanzen, aber dann muss der Boden sehr gut
       vorbereitet sein, also frei und eben. Das gibt es eigentlich nur, wenn man
       einen Kahlschlag gemacht hat, wie früher bei Kiefernplantagen. Mittlerweile
       ist das in Deutschland verboten, also können Sie mit Maschinen wenig
       machen. Eine andere Alternative ist es, Samen aus der Luft oder in Rillen
       einzusäen. Mit Drohnen gibt es erste Versuche, Samen in einer Pflanzkugel
       abzuwerfen. Das hat sich aber noch nicht auf großer Fläche bewährt. Man
       sollte nicht vergessen, dass eine manuelle Bepflanzung sehr schnell gehen
       kann. Es ist eben nur harte Arbeit.
       
       Ist es leichter, eine schon abgebrannte Fläche aufzuforsten? 
       
       Was den Boden angeht, ist es einfacher. Es gibt ja kaum
       Konkurrenzvegetation. Für die Pflanze ist es härter. Sie steht sehr
       exponiert: Auf ehemaligen Waldbrandflächen werden an der dunklen
       Bodenoberfläche bis zu 70 Grad gemessen. Da ist ein kleiner Setzling
       schnell verbrannt.
       
       Sie forschen zur Traubeneiche, weil die besonders gut mit dem Klimawandel
       zurechtkommt. Was hat die Traubeneiche, was andere nicht haben? 
       
       Sie ist vor allem trockenstresstolerant.
       
       Bitte was? 
       
       Sie hat sehr tiefe Wurzeln und ihre Hauptwachstumsphase ist im Frühjahr,
       bevor das Wetter trocken wird. Wenn nötig und möglich, treibt sie im Sommer
       noch einmal aus. Und sie ist einer der wenigen Bäume, die auch bei
       Trockenheit weiter „transpirieren“. All das macht sie resistenter.
       
       Bäume schwitzen? 
       
       Ja, sie geben Feuchtigkeit ab, die die Blätter kühlt.
       
       Seit den Waldbränden in Portugal gilt der Eukalyptus als Brandbeschleuniger
       unter den Bäumen. Warum wird er trotzdem angebaut? 
       
       Ach, die Baumart muss für vieles herhalten, was sie selbst nicht
       verschuldet. Was stimmt, ist, dass die Blätter des Eukalyptus ätherische
       Öle enthalten, die einen Waldbrand beschleunigen. Er liefert aber auch sehr
       schnell sehr gutes Holz, selbst auf armen Böden. Für Kleinbauern in Vietnam
       oder Madagaskar sind Eukalypten wichtig. Das Problem ist menschliche
       Fehlplanung. Schwierig wird es, wenn ganze Landstriche nur mit Eukalypten
       bepflanzt werden, wie im Norden Portugals oder Spaniens. Ganz ähnlich
       verhält es sich auch mit der Kiefer in Deutschland.
       
       Durch den Klimawandel wird es nicht nur heißer, sondern es gibt auch
       Extremregen und mehr Insekten. Welcher Baum kann das am besten ab? 
       
       Die Allroundlösung unter den Bäumen wird es nicht geben. Man muss das
       Risiko streuen über Mischbestände. Mit dem Klimawandel tauchen auch in
       Deutschland immer neue Krankheiten auf, Pilze zum Beispiel. Die Ulmen haben
       wir in unseren Wäldern schon weitgehend verloren, die Esche wird ihnen
       folgen. Ein großes Problem ist der Borkenkäfer, der sich nach milden
       Wintern und in langen, warmen Sommern stärker vermehren kann.
       
       Eine Studie der Uno sagt, wir sollten ohnehin mehr Insekten und weniger
       Schweine essen. Könnte man aus der Plage eine Tugend machen – und die Käfer
       zu Buletten? 
       
       Ich fürchte, der Borkenkäfer ist mit seinem Chitinpanzer denkbar
       ungeeignet. Gegen ihn hilft leider nichts, außer befallene Bäume abzusägen.
       Aber unsere industrielle Fleischproduktion ist natürlich ein Riesenproblem.
       Viele machen sich diese Zusammenhänge nicht klar. In Deutschland belasten
       Stickstoffüberschüsse den Boden, in Südamerika wird Wald gerodet für den
       Sojaanbau. Es ist ja nicht das Holz, das die Menschen dort antreibt, den
       Regenwald zu fällen. Die Lobbyisten dieser Rodungen wollen einfach mehr
       landwirtschaftliche Fläche für wenig Geld.
       
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