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       # taz.de -- Linnemanns Grundschulaussage: Setzen, Sechs!
       
       > Der Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann möchte, dass Kinder erst zur
       > Grundschule gehen, wenn sie genug Deutsch sprechen. Das ist purer
       > Populismus.
       
   IMG Bild: Diversität statt Segregation – eine Willkommensklasse in Berlin-Lichtenberg
       
       Es gibt Themen, da sagen Leute nicht viel dazu, wenn sie keine Ahnung
       haben. Integralrechnung zum Beispiel. „Äh nein, da kenne ich mich leider
       nicht aus, sorry.“ Alles gut, wird Ihnen schon niemand übelnehmen. Und dann
       gibt es solche Themen, bei denen plötzlich alle meinen, mitreden zu können,
       weil sie eine Meinung haben. Der Dauerbrenner unter ihnen: „Integration“.
       Ein schön schwammiger Gegenstand, bei dem niemand so richtig weiß, worum es
       eigentlich geht. Bullshit-Bingo ist sozusagen im Wesen der Sache
       „Integration“ angelegt.
       
       So ruft [1][Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann] auf die Frage der
       Rheinischen Post, wo die CDU sich denn profilieren müsse: „Ganz klar bei
       der Integration“!!! Zugegeben, die drei Ausrufezeichen habe ich als
       Stilmittel dazugedichtet. Einfach weil ich sie mir so gut vorstellen kann.
       Linnemann dürfte an dieser Stelle des Interviews nämlich so was von
       erleichtert gewesen sein nach all den Fragen zu Klima und so, wo die CDU
       nun [2][wirklich keine überzeugende Position zu bieten hat], dass es
       endlich um das Lieblings-Wischiwaschi-Thema der Deutschen geht – mit dem
       man ordentlich Stimmung machen kann.
       
       Von den [3][„Vorfällen in Freibädern“] spricht er und von der
       [4][„Schwertattacke in Stuttgart“], um über aufgewühlte Menschen und neue
       „Parallelgesellschaften“ zu sinnieren. Die Lösung aller Probleme erkennt
       Linnemann in der frühen Segregation: Ausländerkinder mit Sprachdefiziten
       sollen künftig nicht mehr gemeinsam mit Deutsch-Muttersprachlern
       eingeschult werden. Wow. Eine Glanzleistung an Rhetorik.
       
       ## Keine Hausaufgaben gemacht
       
       Mal davon abgesehen, dass es schon sehr vieler gedanklicher Verrenkungen
       bedarf, Parallelgesellschaften mit noch mehr Barrieren zu Bildung auflösen
       zu wollen, scheint Linnemann einfach seine Hausaufgaben nicht gemacht zu
       haben. Er behauptet, dass staatliche Schulen voll mit Kindern von
       Zuwanderern seien, die nicht ausreichend Deutsch sprechen und damit das
       Niveau senkten.
       
       Dabei übergeht Linnemann aber die Tatsache, [5][dass es in Berlin seit 2015
       ohnehin sogenannte Willkommensklassen gibt], in denen Kinder und
       Jugendliche ohne Deutschkenntnisse erst einmal auf den Regelunterricht
       vorbereitet werden, bevor sie überhaupt in „normale“ Klassen dürfen. In
       anderen Bundesländern gibt es das Prinzip auch, nur unter anderem Namen,
       wie Begrüßungsklassen, Seiteneinsteigerklassen oder Deutschförderklassen.
       
       Doch Linnemann hält an seinen nurdeutschen Fantasien fest: „Ein Kind, das
       kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu
       suchen.“ Nur eine unglückliche Formulierung? Oder wo genau will Linnemann
       sonst ein 7-jähriges Kind unterbringen, wenn nicht in einer Grundschule?
       Und noch mal: Was genau soll das mit der Schwertattacke in Stuttgart zu tun
       haben, die im selben Atemzug mit eingestreut wird?
       
       ## Duisburg: nicht die deutsche Durchschnittsstadt
       
       Über Generationen hinweg sind Kinder von Gastarbeitern, von bosnischen
       Geflüchteten, von Spätaussiedlern aus Russland mit Muttersprachler_innen
       zur Schule gegangen und haben sich wunderbar zurechtgefunden. Sollte man
       nicht eher über die richtige Zusammensetzung von Kindern diverser
       Hintergründe nachdenken, etwa in Form von Quoten, anstatt sie voneinander
       zu trennen?
       
       Die von Linnemann zitierten 16 Prozent künftiger Erstklässler_innen, die
       laut einem Test noch kein Deutsch können, befinden sich in Duisburg, jener
       Stadt in Nordrhein-Westfalen mit dem höchsten Anteil an Schulkindern mit
       Migrationshintergrund. Duisburg ist nun wirklich nicht die deutsche
       Durchschnittsstadt.
       
       Doch auch wenn Linnemann schon im Interview defensiv vor der
       „Rassismus-Keule“ warnt, die bei diesem Thema unangebracht sei: Was der
       Unionsfraktionsvize mit seinem pseudonüchternen Thesenbrei betreibt, ist
       purer Populismus und sonst nichts. Wenn er der deutschen Sprache
       tatsächlich so mächtig wäre, wie er es von Kleinkindern erwartet, würde er
       längst nicht mehr das Wort „Integration“ verwenden, sondern Segregation.
       Setzen, Sechs.
       
       6 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://rp-online.de/politik/deutschland/carsten-linnemann-die-union-wird-sich-gegen-eine-co2-steuer-aussprechen_aid-44771821
   DIR [2] /CDU-Staatssekretaer-ueber-Klimaproteste/!5604074
   DIR [3] /Nach-Tumulten-in-Duesseldorfer-Rheinbad/!5611220
   DIR [4] https://www.welt.de/vermischtes/article197770759/Schwert-Attacke-Verdaechtiger-zog-2018-nach-Stuttgart.html
   DIR [5] /Protokoll-aus-einer-Willkommensklasse/!5234420
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatma Aydemir
       
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