URI: 
       # taz.de -- Straßenblockade in Harburg: Auf dem braven Weg zur Revolution
       
       > Die Bewegung „Extinction Rebellion“ blockiert eine Kreuzung in Harburg.
       > Dabei sollen die AktivistInnen vor allem eines – sich wohlfühlen.
       
   IMG Bild: Immer friedlich: Ein Aktivist von Extinction Rebellion in Leeds stellt sich tot
       
       Hamburg taz | Als die Fußgängerampel auf rot schaltet, sind gerade die
       letzten Banner ausgerollt. Mit bunten Shirts, Fahrrädern und Sprüchen wie
       „Systemwandel statt Klimawandel“ versperren etwa 25 AktivistInnen den
       AutofahrerInnen den Weg in den Feierabend.
       
       „Extinction – Rebellion“ schreien sie, ihren Frage-Antwort-Schlachtruf.
       Dann stimmt Felix auf seiner Gitarre ein Lied an, zur Melodie des
       Volksliedes „Hejo, spann’ den Wagen an“: „Wehrt euch / Leistet Widerstand /
       Gegen die Zerstörung hier im Land / Auf die Barrikaden / Auf die
       Barrikaden.“
       
       Der Text klingt radikaler als die Aktion ist. Nur vier Minuten lang
       blockieren die Protestierenden am Mittwochabend die Schwarzburgstraße an
       der Kreuzung zum Harburger Ring. Sie gehören zur Bewegung [1][„Extinction
       Rebellion“ (XR)], die mit Aktionen wie dieser auf die Klimakrise aufmerksam
       machen will.
       
       „Wir müssen die Leute in ihrem Alltag stören, um sie daraufzustoßen“, sagt
       Lisa Bieber. Sie gehört zur Harburger Ortsgruppe und hat das heutige
       „Swarming“, Ausschwärmen, organisiert. Dabei sperren die Teilnehmenden
       immer wieder kurz die Straße – ein kleiner Denkzettel für alle, die warten
       müssen. Es geht vor allem um Aufmerksamkeit. „Wir sind der Alarm, dass
       etwas passieren muss“, sagt Lisa.
       
       ## Eine Aktivistin ruft „Banane“
       
       Treffpunkt für die Aktion war das Harburger Rathaus, wo im Sitzkreis
       Aufgaben verteilt wurden. Wer das Banner trägt, Flyer verteilt und die
       verbleibenden Minuten zählt: Die Aufgaben sind festgelegt, die Aktion ist
       genau organisiert. Lisa hatte mit etwa 15 UnterstützerInnen gerechnet, aber
       auch alle weiteren bekommen einen Job. JedeR Einzelne ist wichtig, auch das
       ist eine Botschaft.
       
       „Banane“, ruft Aktivistin Anastasia von der Seite. Sie stoppt die Zeit, auf
       ihr Codewort halten ihre MitstreiterInnen das nächste Schild hoch: noch
       eine Minute. Danach ist die Störung für die AutofahrerInnen wieder vorbei,
       während der nächsten 25 Minuten wird der Verkehr normal weiterlaufen.
       
       [2][Extinction Rebellion] gründete sich im vergangenen Jahr in
       Großbritannien. Die Bewegung fordert, die Treibhaus-Emissionen bis 2025 auf
       Netto-Null zu senken und eine BürgerInnenversammlung einzurichten, die
       Maßnahmen dafür beschließen soll. Genauso basisdemokratisch ist die
       Bewegung organisiert. Hierarchien gibt es nicht, Entscheidungen treffen
       einzelne Ortsgruppen dezentral. Allein in Hamburg gibt es acht
       Untergruppen. Ihre Aktionen sind dadurch kleiner, aber häufiger, etwa ein-
       bis zweimal pro Woche. Mal bemalen sie die Straße mit Kreide, mal stellen
       sie sich bei „Die Ins“ in der Innenstadt tot.
       
       Neben der Kreuzung bilden die AktivistInnen einen Kreis – damit sich alle
       anschauen können, das ist ihnen wichtig. Nach jeder kurzen Blockade treffen
       sie sich zur Feedback-Runde. „Ich bin immer noch aufgeregt.“ – „Das ist ein
       gutes Gefühl.“ – „Mir hat es Spaß gemacht.“ – „Ich habe gemerkt, dass ich
       nicht allein da stand.“ Reihum dürfen alle erzählen, wie sie sich fühlen.
       Die nächste Sperrung beginnt in einer Viertelstunde. Bis dahin üben sie
       Liedtexte, hören sich gegenseitig zu.
       
       ## Die Polizei hilft
       
       „Das Friedliche hier hat mich angezogen“, sagt Petra. Sie ist zum ersten
       Mal dabei. „Ich glaube, dass wir schnell etwas tun müssen“, erklärt sie. In
       der Politik dauere es zu lange, stimmt ihr Christian zu. „In zehn Jahren
       wird vielleicht auch mal Glyphosat verboten, aber es muss jetzt etwas
       passieren.“
       
       Es ist auch ein Austausch zwischen Generationen: Petra ist Mitte 50, einige
       ihrer MitstreiterInnen gehen noch zur Schule. Christian hat mit Extinction
       Rebellion schon die Deutzer Brücke in Köln blockiert, andere haben für den
       Hambacher Forst demonstriert. Viele sind jedoch zum ersten Mal dabei. Für
       Organisatorin Lisa ist es deshalb gut, dass die Gruppe klein ist. „So
       können wir für größere Aktionen üben, und mit mehr Leuten irgendwann eine
       ganze Kreuzung blockieren.“
       
       Fünf Mal innerhalb von zwei Stunden sorgen die AktivistInnen heute für
       Stau. Sie laufen zwischen den wartenden Autos umher, verteilen Kekse und
       Flyer. „Ich finde das gut. Da warte ich gerne ein paar Minuten“, so die
       Stimmen derjenigen, die ihre Fenster herunterfahren. Es ist leicht, sich
       mit diesen Menschen zu solidarisieren, die eigentlich ja gar nicht stören
       wollen.
       
       Spätestens nach drei Minuten ertönt trotzdem das erste Hupen, weiter hinten
       wollen die Ersten rechts vorbeifahren oder wenden. Wer Flyer verteilt, muss
       zwischen den Fahrzeugen aufpassen. So richtig angespannt ist die Situation
       allerdings nie, schließlich verliert hier niemand mehr als vier Minuten.
       Sogar die Polizei vor Ort hilft, AutofahrerInnen zu beruhigen. Am Ende
       bedanken sich die Teilnehmenden bei den Beamten, die zum Schutz der
       Versammlung nach Harburg gekommen sind.
       
       Ganz im Sinne des friedlichen Protests vermeidet Extinction Rebellion bei
       Aktionen in Hamburg bisher jegliche Konfrontation. Im Laufe der
       Veranstaltung bespricht sich Lisa mehrmals mit den PolizistInnen. Von
       Konflikten mit XR-AktivistInnen während der letzten Monate können die
       BeamtInnen vor Ort nicht berichten, es verlaufe stets alles friedlich und
       in Absprache mit den Behörden.
       
       Dabei steht die Bewegung trotz allem für zivilen Ungehorsam. In London
       hatten KlimaaktivistInnen bereits im April mehrere Brücken besetzt und die
       Stadt lahmgelegt, damals nahm die Polizei mehr als 300 Menschen fest. Für
       Anfang Oktober ist eine ganze Protestwoche angekündigt, in der unter
       anderem in Berlin, New York und Paris Straßen blockiert werden sollen.
       
       Friedlich und gewaltfrei sollen die Aktionen bleiben, das ist der
       wichtigste Grundsatz. Aber vielleicht klingt der Protest dann schon eher
       nach einer Rebellion als an diesem Abend in Harburg.
       
       24 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Extinction-Rebellion-in-Dresden/!5620120
   DIR [2] https://rebellion.earth/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jana Hemmersmeier
       
       ## TAGS
       
   DIR Extinction Rebellion
   DIR Blockade
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Greta Thunberg
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Extinction Rebellion
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Polizei stoppt Klimaaktivist*innen: Kein Stillstand in Heathrow
       
       Klimaaktivist*innen wollten den Londoner Großflughafen Heathrow mit Drohnen
       stilllegen. Aber das hat nicht geklappt.
       
   DIR Klimaprotestler drängen in die Politik: Fridays for Gemeinderäte
       
       Fridays for Future wollen die Klimawende. Eine „Klimaliste“ aus Erlangen
       möchte das jetzt auf kommunaler Ebene umsetzen – und tritt bei Wahlen an.
       
   DIR Extinction Rebellion in Dresden: Alle fühlen sich wohl
       
       Mehr als 30 junge Menschen beteiligen sich am Mittwoch bei einer
       Klimaschutz-Aktion in Dresden. Hierarchien gibt es keine, alles wird im
       Plenum besprochen.
       
   DIR Großspenden für Umweltbewegungen: Geld braucht Kontrolle
       
       Nicht sexy, aber nötig: Extinction Rebellion braucht Hierarchien, klare
       Regeln und eine Satzung, wenn die Bewegung langfristig erfolgreich sein
       will.