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       # taz.de -- Greta, Bolsonaro und #unteilbar: Klugscheißern hilft nicht
       
       > Wenn die Welt brennt sollten keine Nebenwidersprüche diskutiert werden.
       > Statt zu belehren muss jeder erkennen: Der andere ist immer man selbst.
       
   IMG Bild: Macht mal n Punkt bei den Nebenwidersrüchen
       
       Diese Woche musste ich mal wieder besonders oft in eine Papiertüte atmen.
       Papier, ja doch, kein Plastik. Allerdings nicht, um meinen Methanausstoß zu
       reduzieren (wie man es jetzt für Kühe plant, damit sie auch in Zeiten des
       Weltuntergangs weiter fröhlich Grünflächen – und der Mensch wiederum weiter
       fröhlich sie vertilgen kann), sondern um nicht [1][zu kollabieren].
       
       Die Gründe, zu kollabieren, sind ja seit hundert Jahren mehr oder weniger
       dieselben: Es gibt die, die das Menschenleben schätzen und schützen, und
       die, denen es wurscht ist. Manche nennen die erste Gruppe links und die
       zweite rechts, aber da wird’s dann kompliziert und ganz falsch, weil ja
       auch Linke sehr oft Menschenleben gehasst und vernichtet haben. Von der
       Natur, die der Mensch zum Leben braucht, gar nicht zu reden. Ich sag nur:
       Kohlekraft für Arbeitsplatz, oder wie der stumpfe Slogan heißen mag. Und
       weil natürlich auch manchen Linken [2][manche Menschenleben mehr wert sind
       als andere]. Was immer Quatsch ist. Ein Menschenleben ist immer genau so
       viel wert wie alle anderen. Steht auch in der Verfassung, aber da schaut
       man ja nicht so oft rein.
       
       Links und rechts taugen also nicht, um den Graben zu beschreiben, der die
       Welt zerreißt. Das Dumme ist nur, dass die, die das Leben hassen – die
       Anhänger der Salvinis, Höckes und Gaulands, der Putins und Trumps und
       Bolsonaros – sich wie ein Feuer ausbreiten, während die anderen betroffen
       rumstehen. [3][Und streiten]. Aber sich dabei sehr schlau fühlen. Schlauer
       als die Deppen, die die Deppen wählen, sowieso, weil die halt einfach die
       Zusammenhänge gar nicht kapieren. Schlauer aber auch als die anderen
       Menschenfreunde. Bevor man sich mit dem Spalter neben sich gemein macht,
       lässt man lieber die Deppen gewinnen. Dieses Schauspiel konnte man in der
       Geschichte schon hundertmal beobachten, und immer hat es in irgendwelche
       Katastrophen geführt, aber an denen waren nie die schlauen Menschenfreunde,
       sondern immer nur die Dummen schuld. Ein Glück.
       
       Wenigstens hat man sich nicht die Hände schmutzig gemacht und einem
       Weißwurst essenden CDUler die Hand gereicht. Wenigstens hat man ein
       16-jähriges Mädchen darauf hingewiesen, dass seine Mühen, ein Zeichen zu
       setzen, und den Atlantik segelnd und kotzend zu überqueren, [4][sinnlos
       waren] und es zum UN-Klimagipfel besser geflogen wäre. Wäre emissionsärmer
       gewesen, Dummchen.
       
       Mehr als klugscheißern kann ein Einzelner in diesen komplexen Zeiten
       einfach nicht leisten, sorry. Es gibt eben kein richtiges Leben im
       falschen. Ich denke ja, Adorno hat es genau andersrum gemeint: Als
       Einzelner kannst du es halt eh nie hundertprozentig richtig machen, drum
       reg dich nicht auf und arrangier dich mit den Widersprüchen. Widersprüche
       aushalten ist heute aber völlig aus der Mode.
       
       Klar, das Problem ist schon, dass man angesichts eines brennenden
       Regenwalds, schmelzender Gletscher, ertrinkender Menschen als Einzelner
       augenscheinlich tatsächlich wenig ausrichten kann. Widersprüche hin oder
       her. Zumindest, solange man sich nicht organisiert, aber dann sind da
       wieder diese Idioten mit auf der Demo, im Plenum, im Ausschuss oder in der
       Partei, die ihren Adorno ganz falsch und ihren Negri und Hart gleich gar
       nicht gelesen haben und die einen ganz anderen Weg wollen als man selbst,
       und ach …
       
       Überhaupt müsste man sich ja seiner Scheißangst vor dem Feuer, dem Wasser,
       dem Tod stellen, wenn man sie ernsthaft bekämpfen wollte. So viel Terror
       hält das Hirn aber schlecht und das Herz gar nicht aus, deshalb machen
       beide in seltener Einigkeit gern diese Übersprungshandlung:
       Nebenwidersprüche zu suchen, die dann erst mal ganz dringend aufgelöst
       werden müssen, bevor man das große Ganze angeht. Wie eine Hausfrau, die
       noch schnell den Abwasch macht, wenn der Dachstuhl brennt. Oder ich, die
       zwei Minuten vor der Deadline noch Kaffee kocht.
       
       Ja, vielleicht ist es so: Die ganzen superwichtigen Debatten über den
       richtigen Klimaschutz (nichts essen, nicht atmen, nicht bewegen), den
       [5][richtigen Feminismus] (mit Binnen-I, klar, aber mit oder gegen weiße
       Männer?), den richtigen Umgang mit Rechten (anschweigen oder belehren?)
       sind reine Prokrastination. Geschundene Zeit, die den anderen Vorsprung
       verschafft. Zeit, in der die anderen, die Deppen, einfach Wahlen gewinnen.
       Mit Leuten und durch Leute, die vielleicht nicht unbedingt Menschen hassen,
       die es aber hassen, belehrt zu werden. Die (genau wie die nervigen Leute
       auf der Demo, im Plenum), wenn man die lästige Ideologie und den ganzen
       kulturell aufgepfropften Kram mal abzieht, [6][genau so sind wie ich]:
       voller Angst. Voller Hoffnung auf ein gutes Leben.
       
       Aber ohne jeden Bock, vollkommen sein zu müssen, um zu den Guten zu
       gehören.
       
       25 Aug 2019
       
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