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       # taz.de -- Ausstellung „Nona Inescu: Corporealle“: Belebte Steine
       
       > Die Künstlerin Nona Inescu beschäftigt sich mit der Ähnlichkeit zwischen
       > Steinen und dem menschlichen Körper. Zu sehen ist ihr Werk derzeit in
       > Bremen.
       
   IMG Bild: Übereinkunft in rumänischer Landschaft: aus der Serie „Concretions (Geophilia)“
       
       Bremen taz | Menschen und Steine sind maximal verschieden: Steine sind
       anorganisch, man sagt ihnen Unbeweglichkeit nach und ewigen Bestand. Etwas
       ist steinhart, jemand schläft wie ein Stein. Steine sind unzugänglich,
       undurchdringbar, haben kein Innenleben. Auch Körper und Steine: maximal
       verschieden.
       
       Die Künstlerin Nona Inescu nun beschäftigt sich in ihrem Werk ausgerechnet
       mit der Ähnlichkeit zwischen Steinen und dem menschlichen Körper: Im
       Künstlerhaus in Bremen zeigt sie derzeit fotografische und skulpturale
       Arbeiten. Was Körper und Stein gemeinsam haben, macht Inescu mimetisch
       sichtbar: durch ein Angleichen, ein Anschmiegen der Körper an die Steine.
       Das macht die Körper nicht weniger lebendig, sondern belebt die Steine.
       Inescu lädt sie sogar erotisch auf – oder wohnt Steinen dieses Erotische
       ohnehin inne?
       
       Das Missverständnis ist gewollt. Es gibt ja eine starke Affinität des
       Körpers zum Stein, und das hat mit dem Tod zu tun. Nicht mit Grabsteinen,
       auch nicht damit, dass sich in Organen wie Niere und Galle krankmachende
       Steine bilden können, die herausoperiert werden müssen.
       
       In der griechischen Mythologie verwandelte die Medusa Menschen in Stein,
       der alttestamentarische Gott bestraft Lots Frau, indem er sie zur Salzsäule
       erstarren lässt. Ganz materialistisch und allgemein aber endet jedes
       menschliche Leben al die gerne so vehement behauptete Differenz also in der
       Verdrängung des Todes begründet? Der Stein als für immer stillgestellter
       Körper?
       
       Inescu betont nun genau den Umstand, dass Steine sich sehr wohl ändern, und
       das auf eine organische Weise: Schicht um Schicht wachsen sie, nehmen dabei
       auch anthropomorphe Formen an. Bloß: Wenn Steine wachsen, tun sie das in
       zeitlichen Dimensionen, die für Menschen nicht wahrnehmbar sind.
       
       In ihrer Bremer Ausstellung zeigt die 1991 in Bukarest geborene Künstlerin
       einen mit Sand gefüllten Kasten. Darin: aus Keramik gefertigte Gegenstände,
       die an Knochen erinnern; fast so, als wäre die Kiste ein geöffneter Sarg.
       Inescus keramische Knochen sind seltsam und schön, dunkel und hell
       glasiert – und manchmal liegen sie an der Kette. Sie werden auf diese Weise
       zu Objekten des Begehrens, erhalten unbestreitbar einen Fetischcharakter.
       Mal sind sie gebogen und spitz zulaufend wie bei einem Stoßzahn, mal
       erinnern sie ganz direkt an Penisse, mit einer Art Hodenform am Ende.
       
       Stark sexualisiert ist auch eine Serie von Arbeiten mit Findlingen, die
       Inescu nun in der Galerie des Künstlerhauses ausstellt: Die etwa kopfgroßen
       Steine, die sie in rumänischen Landschaften gefunden hat, erinnern in ihrer
       Form an Hüften. Sie stecken in Geschirren aus Leder, hängen an goldenen
       Ketten von der Decke herab. Es ist wie in einem morbiden SM-Studio. Was wir
       hier vorfinden ist aber weniger eine Ästhetik des Todes als eine des Lebens
       –Leben in einer sonst gerne für tot erklärten Materie.
       
       Nona Inescus Karriere ist außergewöhnlich verlaufen. Sie studierte zunächst
       ab 2010 an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen, anschließend am
       Chelsea College of Art and Design in London und beendete ihr Studium
       schließlich 2016 an der National University of Arts in Bukarest am
       Department für Fotografie und Video. Vertreten wird sie von der [1][Galerie
       „SpazioA“] in Pistoia, einer kleinen Stadt inmitten der Toskana. Dort
       debütierte sie 2016 – unter dem sprechenden Titel „Conversation with a
       Stone“. Aktuell ist sie mit einer Arbeit [2][im „Swimming Pool“ in Sofia]
       vertreten. Das Besondere an all diesen Institutionen: Geografisch befinden
       sie sich an den Rändern des Kunstbetriebs, für die Qualität ihrer Arbeit
       jedoch sind sie weit darüber hinaus bekannt; auch das Bremer Künstlerhaus
       ist so ein Ort.
       
       Dort zeigt Inescu nun auch die Fotoserie „Concretions (Geophilia)“ aus dem
       Jahr 2017. Zu sehen ist die Künstlerin selbst; sie legt ihren Körper über
       einen länglichen, runden Felsen, füllt dann eine Lücke im Stein. Der Stein
       ist freistehend, Inescu hat auch ihn im rumänischen Gebirge ausfindig
       gemacht. Ihr Körper schmiegt sich an den Stein, der dafür gut geeignet
       scheint; es gibt eine Übereinkunft zwischen Körper und Stein.
       
       [3][In ihrem Video „Vestigal Structures“], das sie im vergangenen Jahr
       fertigstellte, ist eine kurzhaarige Frau zu sehen, die mit eigenartig
       geformten Findlingen umgeht: Einen legt sie sich etwa um ihren Nacken;
       einen anderen, flach und rund, eine kleine Erhebung an der Seite, drückt
       sie gegen ihre Brust, dreht ihn ein wenig und variiert auf diese Weise
       einen Teil ihres eigenen Körpers im fremden Material. Nochmal einen anderen
       Stein bindet sie sich ans Schienbein, dehnt und streckt. Die Steine
       erinnern an Prothesen – und man kann sich gut vorstellen, wie aus Steinen
       und Menschen ein neuer hybrider Körper entsteht.
       
       Bei der künstlerischen Beschäftigung mit Steinen stellt sich rasch die
       Frage nach einem Bezug zur Land Art der 60er- und 70er-Jahre. Die
       Unterschiede zu ihren bekannten, meist männlichen Vertretern – Andy
       Goldsworthy, Robert Smithson oder Richard Long – könnten größer aber kaum
       sein: Denn in deren Arbeiten geht es um die aktive Gestaltung von
       Landschaften oder die Übertragung stark formalisierter Konfigurationen aus
       Ästen oder Steinen in den Ausstellungsraum. Selten nur tritt der Künstler
       mit Elementen der Natur, mit Steinen etwa, direkt in Kontakt – meist
       bleiben sie bloßes Material, bleibt der Künstler ihr Entdecker, Auffinder,
       Schöpfer gar.
       
       Ein weniger bekannter Vertreter der Land Art war vor sechs Jahren im
       Künstlerhaus ausgestellt: Von diesem Robert Kinmont gibt es eine Serie von
       Selbstportraits, die ihn beim Handstand in der felsigen Landschaft
       Kaliforniens zeigen. In direkten Kontakt mit der Erde – oder halt Steinen –
       trat in den 70er-Jahren Ana Mendieta: Die US-amerikanisch-kubanische
       Künstlerin inszenierte einen gewaltvollen Kontakt, ließ sich begraben unter
       ihren Naturmaterialien. Vielleicht entspricht ein solcher Ansatz eher einer
       Welt, die auf Gewalt beruht. Vielleicht aber führt der phantastische,
       empathische Ansatz von Nona Inescu ein wenig aus ihr heraus.
       
       13 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.spazioa.it/
   DIR [2] https://swimmingpoolprojects.org/
   DIR [3] https://nonainescu.com/vestigial-structures/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Radek Krolczyk
       
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