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       # taz.de -- Leda im Kinderplanschbecken
       
       > Nymphen, Vaginas, Badehosen und eine dadaistische „Tannhäuser“-Collage:
       > Auf demB.L.O.-Gelände in Köpenick wurden Hochkultur und Pop kräftigst
       > verrührt für „Berlin is not Bayreuth“
       
   IMG Bild: Die Mannschaft von „Berlin is not Bayreuth“ mit v. l. n. r. hinten glanz&krawall (Dennis Depta, Marielle Sterra), Romano, Das Helmi (Florian & Felix Loycke), vorneTanga Elektra (Elias & David Engler), Vanessa Stern, Melentini
       
       Von Annina Bachmeier
       
       Was sich am vergangenen Wochenende bei dem Festival „Berlin is not
       Bayreuth“ auf dem Gelände des B.L.O.-Ateliers in Köpenick abgespielt hat,
       lässt sich am besten beschreiben als ein wirres, dadaistisches, manchmal
       reizüberflutendes Chaos. Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ wird in einen
       Abgrund gerissen, zerfetzt und neu zusammengesetzt. Allerdings ist da, wo
       früher vielleicht Tannhäusers Nase war, jetzt ein Ohr und anstelle eines
       Fußes befindet sich am Ende seines Beines vielleicht eine Hand mit sehr
       langen, künstlichen, lila Fingernägeln.
       
       Hinter jeder Biegung der kleinen Pfade, die zwischen Dornengestrüpp über
       das Gelände der Ateliers führen, könnte sich eine Version dieses neuen
       Tannhäusers verstecken. Sie springen einen an und wegen der vielen
       popkulturellen Anspielungen, die sich mit Schlager und klassischem
       Tannhäuser vermischen, reißen sie einen in einen Abgrund aus konfusem
       Lachen. Man fragt sich, was man hier eigentlich gerade gesehen hat und vor
       allem, wie es zu so etwas kommen konnte.
       
       Im Rondell zum Beispiel: Das ist ein kleiner zementierter runder Platz, in
       dessen Mitte eine Bühne steht mit Plastikstühlen davor. Hier geben die
       Brüder David und Elias Engler von „Tanga Elektra“ den ersten Auftakt zu
       Tannhäuser im Venusberg. Tanga Elektra tragen Lockenperücken und Käppies,
       spielen Schlagzeug und Violine und rappen dazu, unterlegt von schweren
       Elektrobeats, den Abschiedsdialog zwischen Venus und Tannhäuser: „Mein
       Ritter! Mein Geliebter! Willst du fliehn?“, fragt Venus und Tannhäuser
       antwortet, mit Traurigkeit, dass ihm dieses Leben im Venusberg, das nur von
       Lüsten bestimmt ist, nicht mehr genug sei. Er zieht davon, um Elisabeth,
       seine Ex-Freundin und Tochter des Landgrafen, zu suchen, die währenddessen
       die Mercedes-Benz-Halle, in der in diesem Jahr der Krieg der Sänger
       stattfinden soll, auscheckt. Ein Stückchen weiter zwischen den Hecken
       hinter Lattenzäunen verbringen im Camping-Paradies Wartburg der Landgraf,
       seine Sängerentourage und Elisabeth, vom Musiktheater „glanz&krawall“,
       ihren Sommerurlaub. Alle tragen Badelatschen, Badeanzüge oder Badehosen.
       Der Landgraf planscht mit Leda dem Plastikschwan in einem blauen
       Kinderplanschbecken.
       
       Im Gebäude der B.L.O.-Ateliers gibt es in einem Gang eine Ausstellung mit
       Zeichnungen und Malereien von Vaginas. Außerdem spielt im Venusberg das
       Stück der Theaterregisseurin und Komikerin Vanessa Stern um einen Satyr und
       eine Najade. Der Satyr ist traurig, weil er heutzutage keine Rolle mehr in
       den sexuellen Träumen junger Mägde spielt, zudem werde er zu selten
       gegoogelt. Die Najade ist genervt, weil sie als Fluss- und Teichnymphe
       immer zu feucht bleiben und sich deswegen die ganze Zeit mit einer
       Sprühflasche besprühen muss und weil sie ihre Brüste hinter Algen
       verstecken muss, um nicht darauf reduziert zu werden. Außerdem bekommt
       Adolf Hitler, der bekanntlich ein großer Verehrer des Antisemiten Richard
       Wagner war, von Vanessa Stern einen Cameo-Auftritt, bei dem er erfolglos
       versucht, die Darstellerinnen aufzureißen.
       
       Der Sängerkrieg findet wieder auf der Bühne im Rondell statt. Wenn der die
       Minnesänger und der Köpenicker Rapper Romano auf der Wartburg um Elisabeths
       Gunst singen, erreicht der Abend seinen Höhepunkt. Allerdings gleitet die
       Handlung gleichzeitig in eine vielleicht absichtsvolle Verwirrung ab, in
       der die vielen Scherze nicht mehr so recht beim Publikum landen. Man
       wünscht sich, das Team aus Performern und Musikern hätte den Dadaismus
       weniger dick aufgetragen.
       
       Als eine Pilgergruppe von dem Puppentheater „Das Helmi“ den Sängerkrieg
       unterbricht und das Publikum auffordert, sich anzuschließen, um sich von
       weltlichen Sünden und Lüsten zu befreien, ist man froh, mitgehen zu können.
       Als es dunkel wird, gehen überall auf dem Gelände bunte Lampions an und der
       Tannhäuserabend bekommt mit dem ätherischen Auftritt der griechischen
       Sängerin Melentini als eine Version von Tannhäusers Elisabeth eine Note von
       Shakespeares „Sommernachtstraum“.
       
       Dass Berlin nicht Bayreuth ist und Richards Wagners Tannhäuser viel mehr
       sein kann als der Protagonist einer veralteten Oper, wurde in Köpenick mehr
       als klar.
       
       27 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annina Bachmeier
       
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