# taz.de -- Pop-Kultur Festival in Berlin: Pop als Work in Progress
> Am Mittwoch startet die fünfte Ausgabe des Festivals „Pop-Kultur“ in
> Berlin. Was man dort nicht findet: Bequemes und Konventionelles.
IMG Bild: Die Sängerin Ilgen-Nur kann man beim Festival auch erleben. Sie heiratet sich in ihren Songs selbst
Berlin taz | Der Elefant hat den Raum verlassen: In diesem Jahr kann man
endlich über das Berliner Festival Pop-Kultur sprechen, ohne implizit die
Reichweite fragwürdiger [1][BDS-Kampagnen] zu erweitern. Nachdem in den
letzten Jahren antisemitisch motivierte Absagen die Wahrnehmung
dominierten, kann sich das Festival in seiner fünften Ausgabe nun endlich
dem widmen, was es am besten kann: eine Explosion von Lieblingsmusiken,
Ungehörtem und Unerhörtem in dicht kuratierten Programmen von Diskurs und
Kunst.
Ob es an der sinkenden Sexyness der BDS-Kampagne liegt oder daran, dass ihr
nahestehende Künstler*innen von vornherein abgesagt haben, wird offen
bleiben – tatsächlich ist die Kampagne vor allem dort erfolgreich, von wo
das Festival seinen Fokus wegbewegen will: in Großbritannien und den USA,
dem klassischen Terrain der Popkultur.
Die Pop-Kultur legt hingegen in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf
Pop-Positionen aus selten erschlossenen Regionen. [2][Diversität] war immer
ein wichtiges Schlagwort für das Kurator*innentrio Katja Lucker, Martin
Hossbach und Christian Morin. Pop von Menschen sichtbar machen, die im
üblichen Business wenig Aufmerksamkeit erhalten, immer ihr Anliegen. Die
Reihe [3][Pop-Hayat] wird mit Talks, Konzerten und Installationen queere
Clubkultur und postmigrantische Perspektiven erschließen.
„I’ve got 99 problems but being a feminist listening to rap ain’t one“,
heißt etwa die Veranstaltung mit der österreichischen Rapperin [4][Ebow],
bei „Let’s talk about gender, baby“ wird Elektronikkünstler*in
Planningtorock sprechen. Und auch die Kooperation mit dem
[5][RambaZamba-Theater] wird fortgeführt, in dem Menschen mit und ohne
Behinderung gemeinsam künstlerisch tätig sind: Zusammen mit dem Berliner
Künstler Jens Friebe führt die Hausband 21 Downbeat eine Pop-Version von
Richard Wagners „Ring“ auf.
Diversität reicht diesmal über den engen Bereich der Identitätspolitiken
hinaus und hinein ins Geografische. Darum gibt es kommende Woche viele
Künstler*innen aus Ländern Osteuropas, der Balkanregion und Südafrika. „Man
kann sich das nicht einfach vornehmen. Wir wollten da auch wirklich hin“,
erklärt Kurator Martin Hossbach. Auch dort bildeten sich
Netzwerkstrukturen, Festivals, die auf internationale Vernetzung abzielen.
## Postmigrantische Identität
Hossbach und Morin reisten so im vergangenen Jahr etwa nach Minsk,
Ljubljana, Thessaloniki und Tallinn. Hinzu kommt oft der Zufall, wie
Hossbach berichtet: „In Wien erzählte mir jemand: In einer albanischen
Disko spiele jemand, Dacid Go8lin, die sei toll. Und dann stand ich mitten
unter Albanern und hörte albanischen Rap“ – die Künstlerin tritt jetzt bei
Pop-Kultur auf.
Genau wie Alyona Alyona alias Alyona Savranenko: Die Psychologin arbeitet
als Vorschullehrerin in der Ukraine – und berichtet in längst über die
Grenzen der Ukraine hinaus gehypten satirischen Rapvideos voller
kultureller Bezüge vom Alltag in ihrer Heimatstadt Baryschiwka. „Es geht
aber auch um OsteuropäerInnen, die in Deutschland leben. Wie gehen sie mit
ihrer Identität um? Was ist eigentlich das Postmigrantische?
Da beschäftigen wir uns mit dem, was dahinter liegt“, erklärt Katja Lucker.
„Fragen nach der Herkunft liegen auf der Hand, sie brennen den Menschen
unter den Nägeln. Diese Diskussionen werden oft populistisch geführt und
führen zu Ausgrenzung. Es ist die Aufgabe von uns als Kulturschaffenden,
diese Diskurse auf den Boden zu holen, sie ernsthaft zu verhandeln und zu
zeigen, welche Bereicherung darin liegt“, ergänzt Christian Morin.
Vor allem in den Auftragsarbeiten ist das in diesem Jahr zu spüren. Die
Hamburger Songwriterin Ilgen-Nur heiratet sich selbst. Lisa Morgenstern,
Pianistin zwischen Klassik und Ambient, setzt sich in dem gemeinsamen Werk
mit dem Frauenchor Bulgarian Voices Berlin mit bulgarischer Folklore und
ihrer Herkunft auseinander. Auch Andrra steht zwischen Rave und Tradition:
Ihre Arbeit erzählt von der Migrationsgeschichte im und aus dem Kosovo.
Aufgewachsen in Bayern, berichtet die Musikerin von ihren Großeltern und
ihrer Generation, von ihren Cousins, die nicht ausreisen dürfen, und ihren
Vorstellungen von Deutschland.
## Popmusik für alle
Dass diese Vielstimmigkeit von drei „Kartoffeln“ kuratiert wird,
reflektiert das Team. Und auch, dass das Festival vor allem ein Publikum
erreicht, das im klassischen Sinn divers ist, insofern es Menschen aller
Hautfarben und Geschlechtsidentitäten vereint. So überdenkt Pop-Kultur mit
jeder weiteren Ausgabe, wie man Barrieren für Menschen mit Behinderungen
abbaut, es aber dennoch innerhalb der Stadt nur in einer bestimmten Blase
wirklich angenommen wird, meist gekoppelt an Schicht und Einkommen.
Wie erreicht man Menschen, die vor solchen Diskursen die Augen
verschließen? Wie ließe sich Popmusik für Menschen öffnen, die lieber
rechtspopulistischen Schlager hören oder misogynen Deutschrap? Das bleibt
für das Festival Pop-Kultur ein Work in Progress. Aber nach fünf Jahren ist
man voller Optimismus, dass auf vielen Ebenen an den entscheidenden
Unterschieden gearbeitet wird.
18 Aug 2019
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## AUTOREN
DIR Steffen Greiner
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