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       # taz.de -- Sachsentour: Das ist unser Haus
       
       > In Plauen begann 1989 die Wende. Heute haben die Bürgerrechtler von einst
       > neue Gegner – und neue Verbündete.
       
   IMG Bild: Das Hausprojekt Schuldenberg in Plauen und ein taz-Redakteur
       
       Plauen taz | Viva la Autonomia“ steht in roten Buchstaben auf dem
       Gründerzeithaus, darunter hat jemand ein Polizeiauto gemalt, das von zwei
       Schweinen gefahren wird. So weit, so erwartbar in einem linken Hausprojekt.
       
       Im Hof hinterm Haus sind Bierbänke aufgestellt, Bäume versperren den Blick
       über die Stadt und helfen dabei, eine Idylle zu schaffen. Noch dauert es
       eine Stunde, bis das Essen ausgegeben wird, veganes Boeuf Bourgignon steht
       auf der Kreidetafel. „Ihr seid von der taz? Na dann herzlich willkommen“,
       begrüßt man uns hinter der Bar und drückt uns ein Bier in die Hand. Hier
       sitzen Bürgerrechtler mit Bart und weißgrauer Mähne neben minderjährigen
       Antifas und Hippies mit Dreadlocks. Die Szene ist klein. 60 Leute kommen
       jede Woche mittwochs hierher.
       
       Mirko Kluge, 44, kommt in den Hof. Er umarmt eine Frau mit Dreadlocks und
       setzt sich zu uns. „Schön, dass ihr da seid!“ Kluge trägt Polohemd und wird
       sich später am Abend noch eine Zigarre anzünden. Zumindest äußerlich ist er
       niemand, den man hier erwarten würde.
       
       Kluge trainiert eine Fußballmannschaft für Geflüchtete, ist im Vorstand von
       Colorido e. V., ein Verein, der sich für Toleranz einsetzt und an Schulen
       demokratische Bildung fördert. Am vergangenen Wochenende hat er die Demo
       [1][„Wann, wenn nicht jetzt“] angemeldet, 1.200 Menschen kamen, sehr viel
       für Plauen, sagt er stolz.
       
       Am Abend zuvor treffen wir ihn am Wende-Denkmal in der Plauener Innenstadt,
       einer großen bronzenen Kerze. Am 7. Oktober 1989, als die DDR ihren 40.
       Jahrestag feierte, versammelten sich etwa 15.000 PlauenerInnen, um für
       Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. [2][Es war die erste Großdemo der
       DDR], zwei Tage bevor in Leipzig rund 70.000 Menschen auf die Straße
       gingen.
       
       Kluge läuft durch seine Stadt, und immer wieder wechselt er zwischen den
       Rollen als Touristenführer, Lokalpatriot und Kritiker. Er zeigt auf
       sanierte Fassaden und historische Weberhäuser, Denkmäler der Wende, die
       Figuren „Vater und Sohn“ des berühmtesten Sohns der Stadt, dem Künstler
       E.O. Plauen. Ein Bach führt nahe der Altstadtmauer vorbei, Kluge steht vor
       der alten Mühle. Dann erzählt er von der rechtsradikalen Kleinstpartei
       „Dritter Weg“, die in Plauen ihren Sitz hat. Am Wochenende, als Kluge die
       Demo angemeldet hatte, verteilten die Neonazis Schultüten in ihrem Viertel.
       In „ihrem Viertel“? Kluge unterbricht sich selbst. „Das kann eigentlich
       nicht sein, dass ich das so sage.“
       
       Zum Stadtrundgang hat er seinen Sohn mitgebracht, Kluge hat schon anonyme
       Drohungen bei Facebook bekommen: Wir wissen, dass du Kinder hast.
       
       Zurück im Hof des Hausprojekts, wo jetzt das Essen fertig ist und sich ein
       Mann mit Rauschebart zu Kluge an den Tisch setzt. „Hast du die Zeitung
       gelesen?“, begrüßen sich die Freunde. Steffen Unglaub hat die Demo vor 30
       Jahren aus seiner WG heraus mitorganisiert. „Das war heftig, das trägst du
       dein ganzes Leben mit dir.“ Heute sitzt er im Hinterhof und regt sich über
       den Aufmacher in der Plauener Zeitung auf, der Lokalausgabe der Freien
       Presse: „Manchmal denke ich, irgendwas haben wir 89 falsch gemacht.“
       
       ## Erst Stasi, jetzt Verfassungsschutz
       
       [3][In der aktuellen Ausgabe hatte die Zeitung veröffentlicht], dass das
       Landratsamt Daten von Demonstrationsanmeldern ungefragt an den
       Verfassungsschutz weitergegeben hat. Kluge ist ebenso betroffen wie
       Unglaub, der immer wieder Demonstrationen anmeldet. Vor 1989 wurde er
       überwacht, heute wieder. Trotzdem will Unglaub die Systeme nicht
       vergleichen.
       
       Kluge und Unglaub wollen eine Anfrage an den Verfassungsschutz stellen,
       welche Daten über sie gespeichert sind. Einblick in seine Stasi-Akte
       dagegen hat Unglaub nicht beantragt. „Wenn du glaubst, dass deine eigene
       Mutter dein IM war, machst du das nicht.“
       
       Den ganzen Abend über wird immer wieder über die Wende und ihre Folgen
       gesprochen, auch 30 Jahre später. Eine Kneipe in Plauen wird von den
       Anwesenden bis heute boykottiert, weil sie einem ehemaligen IM gehört.
       
       Es wird dunkel. Wir verabschieden uns und fahren auf den Campingplatz nach
       Pöhl.
       
       23 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Aktivist-ueber-den-Einsatz-gegen-rechts/!5611704
   DIR [2] /Wendeherbst-1989/!5031715
   DIR [3] https://www.freiepresse.de/vogtland/plauen/daten-weitergabe-panne-oder-gaengige-praxis-artikel10587753
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kersten Augustin
   DIR Paul Wrusch
       
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