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       # taz.de -- Brandenburg vor der Wahl: Stadt verkauft Schloss
       
       > Bad Freienwalde ist Brandenburgs älteste Kurstadt: Eine schöne, aber
       > schrumpfende Stadt. Paula M. liebt sie, aber fürchtet sich vor der Wahl.
       
   IMG Bild: Das Schloss in der Stadt Bad Freienwalde soll verscherbelt werden
       
       Und irgendwann fährt sie dann ausnahmsweise doch mal aus der Haut. „Also
       das kann ich wirklich nicht verstehen“, sagt Paula M. bei der Rundfahrt
       durch ihre kleine, charmante Heimatstadt, von der die hochgewachsene, viel
       lachende Frau sonst sehr angetan ist. Wir stehen vor einer netten Plansche
       mit urigen Kiefernbäumen auf der Liegewiese. „Hier gab es mal ein
       50-Meter-Becken, beschwert sie sich und berichtet dann, wie sie hier als
       kleines Mädchen mit dem Bademeister und dem Vater am Beckenrand vor vielen
       Jahren Schwimmen gelernt hat. „Und jetzt haben sie das Schwimmbad zu einem
       Spucknapf umgebaut.“
       
       Paula M. ist 46 Jahre alt und in Bad Freienwalde aufgewachsen, einer
       kleinen Stadt mit 12.000 Einwohnern am Rande des Oderbruchs. Sie liebt ihre
       Heimatstadt, wie sie immer wieder betont, kommt oft zu Besuch bei der
       Mutter oder bei der Schwester, die noch hier wohnen. Gleich nach dem Abitur
       1991 ist sie allerdings weggegangen, zum Studium nach Greifswald, dann nach
       Berlin. In den Neunzigern hat sie lang und gern in Mitte gewohnt, direkt am
       lauten Rosenthaler Platz. Erst, als die Kinder kamen, ist sie wieder ein
       bisschen weiter raus gezogen, aber nicht zu weit, der S-Bahnhof um die Ecke
       ist ihr wichtig. Auch, wenn sie eher mit dem Auto ins Zentrum pendelt, wo
       sie beim Fernsehen arbeitet.
       
       Paula M. weist sehr einnehmend beim Ausflug in die alte Heimat darauf hin:
       Alles sieht sehr schmuck aus in der ältesten Kurstadt Brandenburgs. Anders
       als viele Städte im platten Land liegt Bad Freienwalde auf sanften Hügeln,
       der Blick geht weit hinein in den abfallenden Oderbruch. In den Vorgärten
       der vornehmen Jugendstilvillen wiegen sich sanft Hibiskus und Herbstanemone
       im Wind. Aber, und das muss selbst Paula M. zugeben: der erste Eindruck ist
       nur ein erster Eindruck. Denn Bad Freienwalde liegt knapp hinterm
       Speckgürtel der Hauptstadt.
       
       Schlecht angebunden 
       
       Darum geht es der Stadt auch nicht wirklich gut. Sie ist schlecht
       angebunden, von der Stadtgrenze Berlins sind es nur 40 Kilometer, und
       trotzdem braucht man mit dem Auto wegen der kurvenreichen Landstraßen auch
       außerhalb der Stoßzeiten der Pendler eine gute Stunde. Mit der Bahn kommt
       man vom Zentrum im Stundentakt nach Bad Freienwalde, das dauert weniger
       lang, aber man muss in Eberswalde umsteigen.
       
       Das Schwierigste aber in Bad Freienwalde: Es gibt zu wenig Arbeit. Bis zur
       Wende arbeiteten viele in einer Betriebsstelle der Feuerfestwerke Wetro,
       deren Hauptsitz in der Oberlausitz ist und die vor allem Schamotte
       herstellten. Nach der Wende wurde die Betriebsstelle aufgegeben und Wetro
       gehört jetzt zu Daimler. Ansonsten gibt es nur noch den großen Arbeitgeber
       Kurklinik. 8,8 Prozent der Einwohner von Bad Freienwalde sind arbeitslos.
       Das ist mehr als der Brandenburger Durchschnitt (5,6 Prozent).
       
       Bad Freienwalde ist eine schrumpfende Stadt, seit der Wende hat sie im
       Schnitt an die achtzig Einwohner in jedem Jahr verloren. Heute hat sie nur
       noch vier Fünftel der Einwohner von vor 30 Jahren.
       
       Als Paula M. in der Nähe des Marktplatzes parkt, um ein wenig spazieren zu
       gehen, wird sofort alles klar: Allein in der Flaniermeile der Stadt, die
       hier Königstraße heißt, stehen neun Ladengeschäfte leer, die Schaufenster
       sind verklebt. Statt dessen Rossmann, Ernsting’s Family und eine Filiale
       des NKD. Auf dem Markt gibt es eher günstige Tennissocken und
       Kunstledergürtel als frisches Obst und Gemüse. Eine ältere Dame verkauft
       Kinderbücher aus der DDR.
       
       Ein wenig melancholisch wirkt sie schon, wenn Paula M. hier herumläuft. Ihr
       Vater war Restaurantleiter, „bekannt wie ein bunter Hund, wie man bei uns
       früher sagte“, erzählt sie, dementsprechend kannten auch Paula M. viele
       hier. Doch von ihren Schulfreunden lebt fast keiner mehr in Bad
       Freienwalde.
       
       Paula M. zuckt mit den Schultern, findet aber schnell zu ihrer
       pragmatisch-humorvollen Art zurück und marschiert zu anderen Anlaufpunkten
       weiter. Neuerdings gibt es einen Laden für regionale Lebensmittel, vor dem
       man auch sitzen und einen Kaffee trinken kann, sympathisch. Und ein
       Schulfreund, den Paula M. kurz vorm Abi beim Schulkabarett Kaktus
       kennenlernte, hat begonnen, das alte Kino als Kleinkunstbühne
       wiederzubeleben. In den Kurlichtspielen ein Stück weiter hat Paula M. mit
       Märchenfilmen große Teile der Sommer- wie auch Winterferien verbracht, wenn
       sie nicht gerade mal wieder ohne elterliche Beobachtung durch den Wald
       stromerte. 2011 schloss das Kino. So wie die Diskos, in denen Paula M.
       tanzen ging.
       
       Sehr gespannt ist Paula M., wie die Wahlen am Sonntag in Bad Freienwalde
       ausgehen werden, sie fürchtet sich auch. Einerseits erinnert sie sich, dass
       die Nazis kurz nach der Wende nie so präsent waren in ihrer Heimatstadt wie
       woanders. Im Augenblick zieren weniger Plakate der AfD die Stadt als jene
       des Arztes Ravinda Gujula für die SPD, der in den siebziger Jahren aus
       Indien in die DDR zum Studium kam. Die Politik unternimmt einiges in der
       Stadt, um Teilhabe zu schaffen. Zum Beispiel hat sie gerade zum dritten Mal
       die Bad Freienwalder aufgerufen, Vorschläge für ein Bürgerbudget von 25.000
       Euro zu machen, über die Anfang September beim Altstadtfest abgestimmt
       wird.
       
       ## Die dunkle Seite
       
       Das ist das eine. Das andere aber ist, dass auch in Bad Freienwalde 2015
       die Nazis gegen ein Flüchtlingsheim mobil machten. Der Landkreis
       Märkisch-Oderland, zu dem Bad Freienwalde gehört, ist der einzige in
       Brandenburg, der die elektronischen Gesundheitskarten für Asylbewerber und
       Migranten verweigert.
       
       Für viel Unmut unter den Bad Freienwaldern sorgt, dass die Stadt einen
       Käufer für ihr Schloss samt Teehaus sucht. Das Schloss sei zu teuer, es
       herrsche Reparatur- und Sanierungsstau, heißt es. Dabei ist es ein
       berühmtes Schmuckstück, Königin Luise, die zweite Gemahlin von Friedrich
       Wilhelm II., ließ es 1789 bauen. Paula M. berichtet, sie habe noch
       Ballettunterricht gehabt im Schloss, sei Schlitten gefahren im Schlosspark.
       Es ist das zweite und letzte Mal, dass sie sich ärgert an diesem Tag. Sie
       findet es dumm, dass die Stadt „ihre Kronjuwelen verschachert“.
       
       Wir fahren weiter, noch einmal durchs schöne Kurviertel mit den
       Jugendstilvillen, wo man manchmal noch hochherrschaftliche Häuser zum Preis
       von Zweizimmerwohnungen innerhalb des Berliner S-Bahnrings erwerben könnte.
       
       Zur Kurklinik geht es, von der Paula M. auch viel zu berichten weiß. Immer
       wieder kämpft Bad Freienwalde um den Titel Kurstadt, den die Stadt seit
       1925 hat. Denn es gibt zwar die Fachklinik mit Moorbad, aber nicht genug
       der vorgeschriebenen Arztpraxen jenseits der Klinik, die diese Heilmethode
       ebenfalls anbieten. Und es gibt zwar Hotelzimmer, aber nicht genug im
       mittleren und gehobenen Segment, die man für den Status des anerkannten
       Kurbades braucht.
       
       Erst kürzlich berichtete die örtliche Presse, dass eine Physiotherapeutin
       Zuschüsse in Höhe von 60.000 Euro für Mooranwendungen erhalten soll. Kurz
       davor hatte der Landtag eine Änderung verabschiedet, dass die kleinsten
       Kurstädte nicht 100 klassifizierte Betten anbieten müssen, sondern sollen –
       das heißt, sie sollen sie anstreben.
       
       ## Rückkehr ist keine Option
       
       Paula M. will zur Kurfürstenquelle, die den Grundstein für die Entwicklung
       des Ortes zur Kurstadt legte. Die bemerkenswerte Nase auf dem Messingrelief
       mit dem Porträt von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg wurde von
       zahlreichen Nutzern blank gerubbelt. Der Blick geht aufs noble Kurhaus und
       den Kurpark, der natürlich nach Plänen Peter Joseph Lennés gestaltet wurde.
       Die Stadt ist wirklich schön, ein bisschen morbide und angeschlagen
       vielleicht, aber immer noch schön.
       
       Direkt hinterm Park weist Paula M. auf die Papenmühle mit dem Café Blaue
       Zwiebel hin, auch dieses eine der neueren Errungenschaften in der Stadt,
       über die sich Paula M. freut. Susan Mücke hat das Café eröffnet. Als ihr in
       Neukölln aufgewachsener Lebensgefährte die alte Mühle von seinem Großvater
       erbte, hat die Familie den Schritt gewagt. Seit 2012 gibt es nun schon das
       Café direkt am Papenteich. Im Sommer gibt’s Kaffee, Kuchen und ein
       Ruderboot, im Winter Glühwein, Feuer und Eisstockschießen.
       
       Wäre das vielleicht etwas für Paula M.? Zurückzukehren in die Heimatstadt,
       etwas zu bewegen, ganz anders zu machen als die anderen? Paula M. zögert
       keine Sekunde mit der Antwort. „Ich liebe Bad Freienwalde, bin froh, dass
       ich hier aufwachsen durfte und komme gern zu Besuch“, sagt sie. Aber so
       richtig zurück?
       
       „Nein.“
       
       Nichtmal, wenn sie ihr Leben in Berlin aufgeben und nochmal von vorn
       anfangen müsste?
       
       „Nein.“
       
       29 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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