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       # taz.de -- Entmachtung des britischen Parlaments: Was Demagogen bedroht
       
       > Warum Trumps Tweets und eine AfD, die ihre Schrauben überdreht, Ablehnung
       > erzeugen könnten. Und warum das bei Boris Johnson noch nicht gilt.
       
   IMG Bild: Harter Vorwurf in London: Boris Johnson, du hast die Demokratie beerdigt
       
       Andere Völker, andere Kulturen – manchmal schon fremd. Sehr fremd.
       Westminster, London, beispielsweise. Die Wiege der modernen Demokratie. Für
       die Details habe ich mich lange nicht so sehr interessiert. Freie Wahlen,
       Parlamentarismus, das reichte mir. Andere Einzelheiten waren mir nicht
       wichtig.
       
       Nun lerne ich, dass es möglich ist, Regierungschef in Großbritannien zu
       werden, ohne von der Bevölkerung oder dem Parlament gewählt worden zu sein.
       Dass ein Premierminister, der als Legitimation nur die Mehrheit seiner
       Parteibasis vorweisen kann, [1][die Abgeordneten einfach nach Hause
       schicken darf], bis er durchgesetzt hat, was er durchsetzen möchte. All das
       angeblich im Namen des Volkswillens. Das ist also das noble Vorbild für
       demokratische Staaten? Was für eine Enttäuschung.
       
       Der Schauspieler Hugh Grant hat den britischen Premier Boris Johnson wüst
       beschimpft: „Hau ab, du überschätztes Gummi-Badespielzeug“, twitterte er.
       Und: „Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen.“ Doch, vermutlich
       wird Johnson genau das tun. Zumindest werden ihn Kraftausdrücke seiner
       Gegner daran nicht hindern. Was auch daran liegt, dass der persönliche
       Erregungslevel nicht konstant auf dem höchsten Niveau gehalten werden kann.
       
       Irgendwann, vermutlich schon sehr bald, wird Hugh Grant keine Lust mehr
       haben, über den Brexit zu reden und stattdessen lieber schwimmen gehen. Gut
       für Boris Johnson, schlecht für alle, die wie EU-Kommissar Günther
       Oettinger auf einen „demokratischen Aufstand“ hoffen.
       
       Der einzige Trost: Die Tatsache, dass niemand im dauerhaften Alarmzustand
       leben kann und will, ist langfristig eine Bedrohung für Demagogen,
       jedenfalls in Demokratien. Beispiel: Donald Trump. Analytiker haben
       inzwischen verstanden, dass der US-Präsident nicht einfach spinnt, sondern
       mit seinen absurd erscheinenden Tweets einer kühlen Strategie folgt. Sogar,
       wenn es um den Ankauf von Grönland geht.
       
       Lange war der Mechanismus stets derselbe. Trump setzte einen grotesken
       Tweet ab, seine Gegner schlugen aufgeregt mit den Flügeln, und er hatte
       sein Ziel erreicht. Diskutiert wurde über das Thema, das er gesetzt hatte,
       nicht über eines, das ihm tatsächlich unangenehm war oder werden könnte.
       Cleveres Ablenkungsmanöver.
       
       Aber es gibt Anzeichen, dass das nicht länger funktioniert. Irgendwann ruft
       auch der blödeste Tweet nur noch ein müdes Achselzucken hervor. Gegenwärtig
       sinken die Beliebtheitswerte von Donald Trump, die Wirtschaft schwächelt.
       Ein erneuter Wahlsieg des Amtsinhabers scheint derzeit keineswegs gesichert
       zu sein.
       
       Weiteres Beispiel: die AfD. Es wird schlimm genug werden bei den
       Landtagswahlen, schon klar. Aber wohl doch nicht ganz so schlimm wie noch
       vor einigen Wochen befürchtet. Woran liegt das? Vielleicht haben die
       Rechtsextremen die Schraube überdreht. Nicht alle, die in jeder Hinsicht –
       auch im Hinblick auf das demokratische System – gern vor sich hin nörgeln
       und „alles“ ändern wollen, sind Neonazis. Nicht alle wollen im permanenten
       Revolutionsmodus leben. Ja, vielleicht hat die AfD es übertrieben.
       Hoffentlich.
       
       Bedeutet dies, dass sich auch Boris Johnson verzockt hat? Nein. Vermutlich
       nicht, leider. Das Zeitfenster ist zu eng, die institutionellen Hürden für
       seine Gegner sind zu hoch, außerdem sind diese zu blöd. Oder zu
       opportunistisch. Wie sie in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen
       haben. Pech für die Kinder von Hugh Grant. Und für andere Kinder. Und für
       ziemlich viele Erwachsene.
       
       1 Sep 2019
       
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