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       # taz.de -- Formel-2-Pilot Hubert stirbt bei Unfall: Tödliche Zumutungen
       
       > Auf den Tod des Fahrers Anthoine Hubert reagiert die Branche mit
       > anachronistischem Zynismus. Die Schreckensmeldung wirkt wie eine
       > ultimative Barbarei.
       
   IMG Bild: Anthoine Hubert verunglückte auf der Rennstrecke Spa-Francorchamps. Er war 22 Jahre alt
       
       Die Leibesübungen sind eine Motorsport-freie Zone. Das hat viele gute
       Gründe. Peter Unfried hat sie einmal dem Magazin Stern dargelegt: „Das
       Verbrennen fossiler Brennstoffe im Auftrag von Bernie Ecclestone und RTL
       ist für die taz kein Thema. Es gibt schlicht keine Zielgruppe für eine
       kritische, kompetente Formel-1-Berichterstattung.“ Die beste
       Berichterstattung über die Formel 1 sei gar keine, sagte er, und das gilt
       bis heute, auch wenn Ecclestone seit 2017 in der Formel 1 nichts mehr zu
       sagen hat und die Boliden fast schon vorbildlich mit Hybrid-Antrieb fahren.
       
       Aber am Samstag las ich diese Meldung vom Tod des Formel-2-Fahrers Anthoine
       Hubert, dem ich dann doch ein paar Zeilen widmen möchte. Der Franzose,
       gerade mal 22 Jahre alt, verunfallte auf der Rennstrecke Spa-Francorchamps,
       wo auch der deutsche Pilot Stefan Bellof in einem Porsche 956 gestorben
       ist. Bellofs Unfall ereignete sich im Jahr 1985, also in einer Zeit, in der
       solche Meldungen keine Seltenheit waren und es auch noch nicht diese
       angeblich supersicheren Überrollbügel und grandiosen Chassis gab.
       
       1994 schien endgültig ein Wendepunkt erreicht zu sein, als Roland
       Ratzenberger und Ayrton Senna in ihren Rennautos umkamen. Und tatsächlich:
       Seit diesem Jahr starben, wie es auf Wikipedia in einem leicht verstörenden
       Duktus geschrieben steht, „Formel-1-Piloten nur an den Spätfolgen von
       Kollisionen durch besonders ungünstige Umstände“. Es wird die Angehörigen
       von María de Villota und Jules Bianchi nicht trösten, dass diese jungen
       Menschen durch „ungünstige Umstände“ vom Leben zum Tod befördert wurden.
       
       Warum ich all das erzähle? Weil ich seit 2001 jedes Mal zusammenzucke, wenn
       ich von so einer Schreckensmeldung höre. Damals war ich für eine
       überregionale Zeitung (nicht die taz) bei einem Rennen auf dem Lausitzring
       unterwegs. Ich war ein Neuling in dieser Szene, es war laut, heiß, und
       genauso klischeehaft, wie ich mir das vorgestellt hatte. Im Lauf des
       Rennens kam es zu einem Horrorcrash. Alex Zanardis Bolide geriet auf die
       Strecke, ein Konkurrent krachte in ihn hinein. Autoteile flogen durch die
       Luft, und ein paar Fotografen, die im Pressebereich nachher fieberhaft ihre
       Fotos sichteten, behaupteten, es seien auch Körperteile dabei gewesen.
       
       ## Märtyrer des Fortschritts
       
       Zanardi verlor beide Beine, später fuhr er wieder Rennen. Er machte mit der
       gleichen Unerbittlichkeit weiter, wie auch die Renndirektoren der Formel 2
       nun entschieden, dass es nach dem Todesfall zu keiner Rennabsage kommt. Es
       wird weiter im Kreis gefahren, die Toten werden entweder zu Märtyrern des
       Fortschritts erklärt oder zu Kollateralschäden einer
       Beschleunigungsindustrie, von der ja angeblich jeder wisse, dass es ein
       Monstrum sei, mit dem man sich da auf Teufel komm raus einlasse.
       
       Dieser Fatalismus oder besser: dieser Zynismus war vielleicht noch in den
       Tagen eines [1][Niki Lauda] eine angemessene Sache, um mit den tödlichen
       Zumutungen des Rennsports umzugehen, aber heute wirken diese
       Verarbeitungsmechanismen nur noch ätzend anachronistisch. Ich weiß nicht,
       ob es an der geschickten Vermittlung des Machbarkeitswahns liegt oder an
       den scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der Postmoderne, dass diese
       Todesmeldung aus dem Jahr 2019 wie ein reiner Atavismus wirkt, wie eine
       ultimative Barbarei.
       
       Es reicht heutzutage nicht mehr, einfach zur Tagesordnung überzugehen, wie
       es auch im Horrorjahr 1994 nicht mehr reichte, mit dem Lauda’schen Schmäh
       über die „Heldentode“ hinwegzusehen und irgendetwas vom menschlichen Tribut
       an den Fortschritt zu faseln. Wenn Lewis Hamilton jetzt schreibt, Hubert
       sei für ihn ein Held, „weil er dieses Risiko eingegangen ist, um seine
       Träume zu verwirklichen“, dann macht er sich nur noch lächerlich.
       
       1 Sep 2019
       
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