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       # taz.de -- Juristenkommission für Guatemala: UN-Erfolgsmodell ist am Ende
       
       > Cicig, die 2006 gestartete UN-Kommission gegen Korruption und
       > Straflosigkeit, trat den Mächtigen auf die Füße. Jetzt muss sie gehen.
       
   IMG Bild: „Danke Cicig“: Anti-Korruptions-AktivistInnen am Wochenende in Guatemala-Stadt
       
       Berlin taz | Die Kisten sind lange gepackt, die Daten längst transferiert
       und die wichtigsten Spezialisten seit Monaten außer Landes. Zu denen gehört
       auch Iván Velásquez. Der hagere Kolumbianer mit dem weißen Bart und dem
       zurückhaltenden Auftreten war seit September 2013 das Gesicht der Cicig,
       der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala. Sechs Jahre hat
       er die Kommission geleitet, die 2006 auf Bitten der guatemaltekischen
       Regierung initiiert wurde und im Sommer 2007 ihre Arbeit aufnahm.
       
       Sechs Jahre, in die die großen Erfolge der Cicig fallen. Der Rücktritt von
       Ex-Präsident Otto Pérez Molina, der angesichts der drückenden Beweise wegen
       Korruption im September 2015 gehen musste, aber auch die Prozesse gegen
       korrupte Richter, gegen Politiker und Unternehmer. Die sorgten dafür, dass
       Guatemala 2015 und 2016 als das Land Mittelamerikas galt, wo Korruption und
       Straflosigkeit erfolgreich zurückgedrängt wurden, wo die Zivilgesellschaft
       Morgenluft witterte. Experten bescheinigten den Vereinten Nationen, das
       Instrument geschaffen zu haben, welches auch in anderen Ländern zum Einsatz
       kommen könnte.
       
       Drei Jahre später ist die Cicig Geschichte, muss unverrichteter Dinge
       abziehen, weil sie auf halbem Weg steckengeblieben ist. Das gibt Iván
       Velásquez unumwunden zu. „Wir sind ein Opfer unserer Erfolge“, so der
       prinzipientreue 64-jährige Jurist, der sich nicht gescheut hatte, gegen die
       da ganz oben zu ermitteln. Gegen Ex-Präsident [1][Otto Pérez Molina], aber
       auch gegen seinen Nachfolger Jimmy Morales und gegen mit ihm liierte
       Militärs und Unternehmer.
       
       Den Unantastbaren ist die Cicig gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft auf
       die Schliche gekommen, es wurden korrupte Strukturen und strukturelle
       Straflosigkeit aufgedeckt, und dafür haben Velásquez und die ehemalige
       Generalstaatsanwältin Thelma Aldana 2017 den Alternativen Nobelpreis
       erhalten.
       
       ## Es mangelte an Rückhalt und Unterstützung
       
       Doch Aldana sitzt heute im Exil in El Salvador, Velásquez in Kolumbiens
       Hauptstadt Bogotá. Die eine, weil gegen sie aufgrund fingierter Beweise
       wegen Veruntreuung ermittelt wird, der andere weil Präsident Jimmy Morales
       ihn [2][zur unerwünschten Person] in Guatemala erklärt und die Behörden
       angewiesen hat, ihn nicht mehr einreisen zu lassen.
       
       Warum? „Wir haben den Grundkonsens, dass niemand über dem Gesetz steht,
       auch in der Realität durchgesetzt. Haben die Mächtigen nicht aus
       politischem Kalkül unangetastet gelassen, wie uns hier und da geraten
       wurde“, so Velásquez. Genau daran und am fehlenden Rückhalt auf nationaler
       und internationaler Ebene ist die UN-Kommission gescheitert.
       
       Innerhalb des Landes fehlte es an politischer Unterstützung, nachdem sich
       die Mächtigen zum sogenannten „Pakt der Korrupten“ zusammengeschlossen
       hatten. Dem stehen auch der neue Präsident Alejandro Giammatei und seine
       Gegenkandidatin Sandra Torres nahe, was erklärt, weshalb sie während des
       Wahlkampfs Fragen zur Cicig und deren vorzeitigem Ende stets auswichen.
       
       Außerhalb Guatemalas hat das Modell der Cicig zwar viel verbale
       Unterstützung genossen, auch von der Europäischen Union, aber mit dem
       Regierungswechsel von Barack Obama zu Donald Trump verschoben sich die
       politischen Parameter in Washington. Die Politik der Obama-Ära mit
       Korruptionsbekämpfung und der Förderung demokratischer Strukturen in
       Mittelamerika wich dem alten Modell der Hemisphären-Politik. Dieser Rolle
       rückwärts fiel die Cicig zum Opfer, so der deutsche Jurist Michael Mörth,
       der in Guatemala eine Menschenrechtskanzlei berät.
       
       „Dabei ist die Auswanderung aus der Region eine direkte Reaktion auf
       Korruption und Straflosigkeit. Die lassen die Perspektiven für die
       Bevölkerung schwinden, während Drogenschmuggler ganze Regionen
       kontrollieren“, meint Iván Velásquez. Er wünscht sich mehr Analyse in den
       USA, glaubt aber selbst kaum daran, dass das auch passieren wird So bleibt
       die Cicig vor allem eine vertane Chance – aus der man lernen sollte.
       
       3 Sep 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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