URI: 
       # taz.de -- Landtagswahl in Brandenburg: Alles okay, Forst?
       
       > Bei der Landtagswahl errang die SPD im Städtchen Forst einen komfortablen
       > Sieg. In der Lokalpolitik dominiert allerdings die AfD. Ein Ortsbesuch.
       
   IMG Bild: Blühende Landschaften? In der Stadtverordnetenversammlung Forst ist die AfD stärkste Kraft
       
       Forst (Lausitz) taz | „Alles okay hier“, sagt der Betreiber des Asia- und
       Döner-Imbisses am Forster Bahnhof, „alles okay“. Sein Blick ist auf das
       blubbernde Öl gerichtet, in dem er gerade Hähnchenfleischstückchen
       frittiert. Über fünf Jahre betreibt er den Imbiss, wählen dürfen er und
       seine Frau in Deutschland aber nicht. Nebenan steht ein Mann in einem
       Böhse-Onkelz-Shirt vor einem Kiosk, ein paar hundert Meter die
       Bahnhofsstraße rein hat jemand den Schriftzug „Forst, du Opfer“ an einer
       Hauswand hinterlassen. Schräg gegenüber sitzen weißhaarige Menschen auf
       grünen Plastikstühlen und versenken ihre Löffel in Eisbechern mit Sahne.
       
       Henri Kunze findet nicht, dass in Forst alles okay ist. Kunze ist in der
       17.000-Einwohner-Stadt groß geworden, seit Kurzem lebt er im knapp
       25-Kilometer entfernen Cottbus, er ist zum Wählen nach Forst reingefahren.
       Kunze trägt einen Strohhut mit blauem Band und manövriert sich barfuß an
       Scherben und Hundehaufen vorbei durch die Stadt.
       
       Der 41-jährige Musiklehrer ist bekannt hier, er hat sich jahrelang in Forst
       engagiert, besonders für junge Menschen. Kunze grüßt die Leute und die
       meisten grüßen ihn zurück. Diesen Sommer ist er mit der Initiative „Wann
       wenn nicht jetzt“ auch durch Forst getourt, um Rassismus und
       Menschenfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen.
       
       [1][Während sich die SPD zumindest landesweit über den knappen Sieg von
       Ministerpräsident Dietmar Woidke freut], liegt die SPD in Forst mit rund 42
       Prozent sogar knapp 12 Prozentpunkte vor der AfD. Alles okay also. Aber in
       Forst, der Heimatstadt von Dietmar Woidke, sitzen seit diesem Sommer acht
       AfDler in der Stadtverordnetenversammlung – und stellen damit die stärkste
       Fraktion.
       
       Den Burgfrieden wahren 
       
       „Seit die AfD-Fraktion in der SVV sitzt, ist hier 'ne ganz komische
       Stimmung“, sagt Kunze. Leute, die vorher mit ihm Projekte auf die Beine
       gestellt und sich engagiert haben, seien nun zögerlich geworden,
       „vielleicht aus Angst, dass ihnen Mittel gekürzt werden könnten“. Es gehe
       darum, den Burgfrieden zu wahren.
       
       Ein bisschen kann Kunze das verstehen, aber die Entwicklung bereitet ihm
       auch Sorge. In Forst sei die AfD durch ortsbekannte Menschen vertreten.
       Manche waren früher CDU-Mitglieder, viele betreiben mittelständische
       Unternehmen im Ort, sind Handwerker oder Arzt. „Leute, denen Vertrauen
       entgegengebracht wird“, sagt Kunze. Das sei in der Lausitzer Kleinstadt
       nicht viel anders als in der Bundespolitik: Wer auch wirtschaftlich am
       längeren Hebel sitzt und Netzwerke hat, sei eben mächtiger.
       
       Kunze meint, dass viele vorher wenig politisch Interessierte heute in der
       AfD „eine politische Heimat gefunden haben“. Und er denkt, dass die AfD mit
       ihrer „psychologisch klugen“ Wahlkampagne in Anlehnung an die Wende im
       Osten einen Nerv getroffen hat. „Da ist eine Euphorie zu spüren. Nach dem
       Motto: Na endlich wird das Volk gehört“. Und das Volk wird nicht nur
       gehört, sondern es spricht auch: [2][Rassistische Äußerungen in der
       Öffentlichkeit seien durch den Erfolg der AfD noch salonfähiger geworden.]
       
       Auf Landes- und Bundesebene schließen die demokratischen Parteien eine
       Zusammenarbeit mit der AfD aus. In Forst ginge das nicht, sagen Daniela
       Reuter und Thomas Engwicht. Beide sind in den Siebzigern in Forst geboren
       und sitzen heute für das Bündnis „Gemeinsam für Forst“ in der
       Stadtverordnetenversammlung, Reuter ist außerdem Vorsitzende der SVV. Ihre
       Initiative ist mit sieben Mandaten die zweitstärkste Kraft nach der AfD.
       
       „Die Menschen hier sind an Sachpolitik interessiert. Und ich als
       Vorsitzende kann ja nicht sagen: So liebe Bürger, ihr habt zwar die AfD zur
       stärksten Fraktion gemacht, aber mit denen rede ich nicht“, sagt Daniela
       Reuter. „Das haben wir von vornherein gesagt“, ergänzt Engwicht, „wir reden
       mit allen“. Als die Kandidatenliste für die Wahl zur SVV feststand, sei
       klar gewesen: „Das sind Forster wie du und ich“. Da sei niemand dabei, den
       man einen Radikalen nennen könnte. „Das Problem sind natürlich die rechten
       Randerscheinungen, die bundespolitisch oder auch auf Landesebene in
       Erscheinung treten“, sagt Reuter. Aber für die Sacharbeit in Forst spiele
       das aus ihrer Sicht keine Rolle.
       
       Es fehlt vor allem an Geld 
       
       Reuter und Engwicht reden vom Haushalt, von Schulden und von Programmen für
       Rückkehrer*innen in den Ort. Forst habe eigentlich viel zu bieten, es gebe
       Arbeit und günstigen Wohnraum und immer wieder Konzerte oder andere
       Kulturveranstaltungen im Ort. Aber es bräuchte eben bessere
       Bahnverbindungen für Pendler*innen und vor allem schnelles Internet, damit
       man auch mal entspannt im Home Office arbeiten könne. Und ganz besonders
       fehlt es in Forst an Geld, zum Beispiel um die Sozialwohnungen
       altersgerecht modernisieren zu können. Mehr als ein Drittel der Menschen in
       Forst sind 61 Jahre und älter.
       
       So wie Hermann Kostrewa. Um 19.45 Uhr sitzt der 64-Jährige mit buntem Hemd
       im Restaurant Bella Italia und bestellt einen Latte Macchiato. Es ist
       schwül, manchmal grummelt der Himmel in der Ferne, eine Böe schiebt
       goldgelbe Blätter über die leeren Straßen, kurz fallen ein paar Tropfen,
       aber alles okay. Kostrewa ist gebürtiger Ostfriese, langjähriger SPDler und
       lebt seit 1995 in Forst.
       
       Er glaubt die Menschen hier verstehen zu können, weil er selbst zwar nicht
       von hier, aber auch aus einem „strukturschwachen Gebiet“ stammt. Und er
       glaubt noch an die SPD, besonders an das Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz,
       das für den Parteivorsitz kandidiert. Ein „erfahrener Mann“ und eine
       erfolgreiche Ostdeutsche – das würde vermutlich auch in Forst ganz gut
       ankommen.
       
       Trotzdem ist in der SPD längst nicht alles gut, das weiß Kostrewa. Seine
       Partei habe ein Profilproblem. Es sei eben ein Unterschied, was in den
       großen Städten politisch funktioniere und was im ländlichen Raum bei den
       Menschen ankomme. „In Brandenburg kommt es vielleicht noch mehr auf die
       traditionellen, klassischen Werte einer Arbeiterpartei an“, meint Kostrewa.
       Bei Themen wie geschlechtergerechter Sprache würden die Leute hier sagen:
       „Hör mir auf damit, da hör ich nicht zu.“
       
       ## Schneller sein als die AfD
       
       Dass die AfD bei den letzten Wahlen so stark abgeschnitten hat, sei „erst
       mal ein Schock“ gewesen. Nun müsse man in der SVV eben zusammenarbeiten.
       Wie sich die örtliche SPD gegenüber den Rechten profilieren könne? „Wir
       müssen eben näher dran sein an den Themen – und wir müssen schneller sein,
       unsere Themen eher setzen“, sagt Kostrewa. Es müsse klar sein, wer für die
       Probleme der Bürger*innen sinnvolle Lösungen anbiete. Gleiche
       Lebensbedingungen in ganz Brandenburg, gute Verkehrsverbindungen,
       Gesundheitsversorgung, klare Sachpolitik eben.
       
       Auch Rassismus sei in Forst ein Thema. „Es ist schon so, dass da viele
       Leute Vorbehalte haben. Das gab es auch vor der AfD schon, aber die haben
       diese Ängste natürlich aufgegriffen“, meint der SPDler. Und dann sagt er,
       was man oft sagt in diesem Land, egal ob im Osten oder im Westen, wenn man
       über Zuwanderung spricht, aber zu Rassismus schweigt: „Wir treten auf jeden
       Fall deutlich dafür ein, dass man offen ist gegenüber Menschen aus anderen
       Ländern. Wir brauchen ja auch Fachkräfte hier in der Region. Wir müssen
       aber gleichzeitig auch die Bedürfnisse der Menschen hier ernst nehmen.“
       
       2 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /SPD-nach-der-Wahl-in-Brandenburg/!5622167
   DIR [2] /Wahlergebnisse-Sachsen-und-Brandenburg/!5622185
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lin Hierse
       
       ## TAGS
       
   DIR AfD Sachsen
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Ostdeutschland
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl 2019 in Brandenburg
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Landtag Brandenburg
   DIR Die Linke
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Die Linke
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Streit um Linkspartei-Kooperation mit AfD: Grenzverletzung in Brandenburg
       
       Der Konflikt um eine Zusammenarbeit mit der AfD in der Stadt Forst schwelt
       weiter. Die Auflösung des Ortsverbandes der Linkspartei ist gescheitert.
       
   DIR Chinesische Diaspora: Das unförmige Drittel
       
       Wer „zwischen den Kulturen“ aufwächst, besteht für andere oft aus zwei
       Hälften. Aber diese Rechnung geht nicht auf.
       
   DIR Gespaltenes Brandenburg nach der Wahl: Brandenburger Mauer
       
       Das Land ist in einen roten Westen und einen blauen Osten gespalten.
       Überall da, wo es Hoffnung gibt, stößt die AfD aber an ihre Grenzen.
       
   DIR Verluste der Linkspartei im Osten: Inhaltlich ziemlich blank
       
       Niemand hat bei den Landeswahlen in Sachsen und Brandenburg so viele
       Stimmen verloren wie die Linke. Daran ist die Partei selbst schuld.
       
   DIR Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Sieben grüne Gebote
       
       Die Grünen haben in Sachsen und Brandenburg glamouröse Prozentzahlen
       verpasst. Aber entscheidender ist, was sie daraus machen.
       
   DIR Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Desaster für die Linkspartei
       
       Bei den Landtagswahlen kommt die einstige Kümmererpartei des Ostens in
       beiden Ländern nur noch knapp über 10 Prozent.
       
   DIR AfD bei Ost-Landtagswahlen: Höhenflug trotz radikalen Personals
       
       Sie wollten stärkste Kraft in Sachsen und Brandenburg werden: Das gelang
       nicht, aber die AfD erzielt deutliche Erfolge in beiden Ländern.