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       # taz.de -- Die Wahrheit: Tagesfreizeit mit Hüfte
       
       > Überraschender Fund im Kellerarchiv: Eine prähistorische Sexsuchanzeige
       > und die späten Folgen für einen damals unreifen Novizen.
       
   IMG Bild: Ästhetisierte Paarung – beflügelt vom Hüftschwung
       
       Manchmal fällt der Groschen erst nach einem Vierteljahrhundert. Selbst bei
       mir, der ich mich gern rühme, nicht gerade an Begriffsstutzigkeit zu
       leiden.
       
       Kürzlich fand ich in meinem Privatarchiv, also beim Aufräumen des Kellers,
       einen Ordner, in dem ich offensichtlich Materialien aus meiner persönlichen
       Steinzeit des Schreibens gesammelt hatte. Alte Zeitungsschnipsel,
       Fotografien und Anzeigen, die dem blutjungen Novizen des Gewerbes als
       Anregung für Glossen gedient hatten oder hatten dienen sollen.
       
       An manche Splitter konnte ich mich erinnern, wie an den Ausriss aus einer
       Provinzzeitung: eine Geburtstagsanzeige von einem vierköpfigen Kegelclub,
       unterzeichnet mit „Die Kotelettgesichter“. Vier erdbeerblonde Gestalten
       linsten schurkisch in die Kamera, und ich dichtete ihnen in einer meiner
       ersten Schnurren ein fleischiges Verbrechen an.
       
       Außerdem fand ich ein Inserat. Aus einem Berliner Stadtmagazin. Irgendetwas
       mussten die Worte seinerzeit in mir ausgelöst haben, aber ich weiß genau,
       dass ich den Ausschnitt nie verwertet habe. Weil ich damals nicht verstand,
       zwischen den Zeilen zu lesen. Die kurze Anzeige aber lautete:
       „Tagesfreizeit. Dame. Reif. Bestimmte Stellungen ausgeschlossen (Hüfte).“
       
       ## Historische Grabungsarbeiten
       
       Es war die Zeit, als Buchstaben, ja selbst Leerzeichen noch Geld kosteten.
       In der Kürze lag die Würze und der Spielraum für allerlei ausschweifende
       Fantasien. Für die ich allerdings offenbar noch nicht reif genug war. Auch
       jetzt, bei den historischen Grabungsarbeiten grübelte ich, was es damit auf
       sich hatte, ob es die Stellenanzeige einer Haushaltshilfe war.
       
       Aufklärung tat not. Ich zog eine weibliche Person meines Vertrauens zu
       Rate, der ich den seltsamen Text vortrug. Sie lachte sehr lange. Und
       brachte dann Licht ins gedruckte Dunkel. Ganz Frau von Welt erklärte sie
       mir, dass es früher in Magazinen Sexsuchanzeigen der Rubrik „Lonely Hearts“
       gegeben habe. Das Codewort „Tagesfreizeit“ aber hätten Frauen verwendet, um
       sich, so ihre Worte, „ein Hüpperken zu gönnen“, wenn ihre Männer tagsüber
       fort waren. Offenbar habe die hier inserierende ältere Dame bestimmte
       Turnübungen wegen eines Hüftschadens ausschließen wollen.
       
       Ich war ein wenig beschämt, dass ich so schwer von Kapee war, fragte mich
       jedoch: Gibt es das eigentlich heute noch? Solche verschlüsselten Anzeigen?
       Oder sind diese klandestinen Paarungswünsche komplett abgewandert in die
       moderne Welt der Elite-Tinder-Apps? Und geht es da auch so lustig zu wie
       bei den „Lonely Hearts“? Aber tagesfreizeitliche Turnübungen kommen ja nie
       aus der Mode. Selbst mit Rücken oder Hüfte.
       
       30 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
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