# taz.de -- Jochen Schimmang liest: Von Arten des Verschwindens
> Westdeutsch-linke Melancholie: Jochen Schimmang liest in Oldenburg und
> Hamburg aus seinem Erzählungsband „Adorno wohnt hier nicht mehr“.
IMG Bild: Zu lesen auch nicht ohne weiteres: Gedenktafel für Theodor W. Adorno, Kettenhofweg, Frankfurt
Hamburg taz | „Zwischen Melancholie und subversiver Renitenz“: Irgendwo da
verortete ihn prominent [1][der Text], mit dem die taz im März vergangenen
Jahres Jochen Schimmang zum 70. Geburtstag gratulierte. Der Mann ist
[2][Autor von Romanen, Erzählungen und Essays], auch mal der einen oder
anderen Rezension – [3][für die taz]. Selbst wenn es diese direkte
Verbindung nicht gäbe, wäre er aber einer, für den sich diese Zeitung zu
interessieren hätte. Denn die Melancholie, von der bei Schimmang stets zu
reden ist, das ist ja ausdrücklich die Melancholie westdeutscher Linker
(und solcher, die mal welche waren).
Geboren wurde Schimmang 1948 in Northeim, mithin in der niedersächsischen,
ach was: der alt-bundesrepublikanischen Peripherie, dem „Zonenrandgebiet“;
heute lebt er in Oldenburg. Über Randlagen, und weiß Gott nicht nur
geografische, hat er immer wieder geschrieben. Und einen Blick zurück warf
er bereits in seinem Debütroman „Der schöne Vogel Phönix“ aus dem Jahr
1979, dem Jahr, in dem [4][auch die taz debütierte]: auf bewegte Zeiten in
Berlin (West) ein gutes Jahrzehnt davor, wo Schimmang selbst Politische
Wissenschaften und Philosophie studierte – aber vor allem vielleicht seine
K-Gruppen-Sozialisation erfuhr.
## „Große Möglichkeit“ Frankfurt
Ob sein Leben ein anderes geworden wäre, hätte es ihn damals nicht in
diesen APO-Standort verschlagen, sondern in den anderen, nach Frankfurt am
Main nämlich: Diese Frage stellt Schimmang nun in seinem jüngsten
Erzählungsband. Der trägt die Anspielung auf die Stadt von Kritischer
Theorie und Suhrkamp-Kultur im Titel: „Adorno wohnt hier nicht mehr“.
Neben dem 1969 verstorbenen Großtheoretiker – an dem sich dieser Tage ja
wieder [5][Hans] und [6][Franz] abarbeiten – klingt da auch gleich wieder
an: der Verlust; das Verlorene.
Der vielleicht zentrale Text handelt dann auch von einer Spurensuche durch
ein Frankfurt, das es nicht mehr gibt; eines, das der Erzähler „die große,
nicht genutzte Möglichkeit meines Leben“ nennt: Der Suhrkamp-Verlag [7][ist
ja nun weg], und anstelle des markant-nachkriegsmodernen Gebäudes – in dem
einst ein junger Jochen Schimmang seinem damaligen Verleger „zum einzigen
Mal in meinem Leben auf eine Entfernung von etwa zwanzig Meter“ nahe kam –
stehen Eigentumswohnungen, uninteressant nicht nur architektonisch.
## Schönheit des Verschwindens
(Immerhin: Die Plakette an „Teddies“ einstigem Wohnhaus bekommen Schimmang
und sein Frankfurter Gastgeber zu sehen, und eine einst von Adorno
verlangte Fußgängerampel vor dem Institut für Sozialforschung: die gibt es
inzwischen.) Vielleicht zur Vermeidung allzu blinder Heldenverehrung gibt’s
im selben Stück dann auch solche Sätze: „Natürlich war er da“ – gemeint ist
die berüchtigte „Busenattacke“ im April 1969 – „schon ein alter weißer
Mann.“
„Geschichten dieser Art sammle ich seit vielen Jahren“, schreibt ziemlich
zu Beginn des Buches ein weniger eindeutig mit dem Autor identischer
Ich-Erzähler: „Das Schönste an der Welt wird für mich mehr und mehr, dass
man noch immer in ihr verschwinden kann, auch wenn es von Jahr zu Jahr
schwieriger wird.“
Und so geht es in dem Buch um verschiedene Arten des Verschwindens,
manchmal auch um den Tod. Daneben blitzt dann plötzlich wieder das Groteske
auf, wenn sich – in „Happy Birthday, alter Künstler“ – ein ebensolcher am
Jubelfesttag vor den „aus allen Himmelsrichtungen“ anrückenden
Besucher*innen versteckt: „Bei uns im Flachland sind sie schon lange vor
der Ankunft sichtbar, jeder kennt den Witz dazu.“
26 Aug 2019
## LINKS
DIR [1] /Jochen-Schimmangs-Werk/!5490972
DIR [2] https://edition-nautilus.de/schlagwort/jochen-schimmang/
DIR [3] /Jochen-Schimmang/!a35930/
DIR [4] /1977---1986/!109039/
DIR [5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/darf-man-bjoern-hoecke-und-die-afd-nazis-nennen-16305859.html
DIR [6] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus198193307/Rechtsradikalismus-Warum-Adorno-uns-heute-nicht-weiterhilft.html
DIR [7] https://www.buchmarkt.de/meldungen/umzug-suhrkamp-bezieht-neues-domizil-in-berlin/
## AUTOREN
DIR Alexander Diehl
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