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       # taz.de -- Atomenergie in Russland: Strahlender Wahlkampf in Moskau
       
       > Eine geplante Autobahn über eine Atommüllkippe wird zum Politikum. Und
       > das nur wenige Tage vor den russischen Regionalwahlen.
       
   IMG Bild: In Aktion: Andrei Oscharowski misst Strahlenwerte nahe der Kaschirskoe Chaussee Nr. 49 in Moskau
       
       Moskau taz | Es gibt kaum eine Anhörung der russischen Atomwirtschaft, an
       der der Atomphysiker Andrei Oscharowski, seit mehreren Jahren ein Kritiker
       der Atomenergie, nicht teilnehmen würde. Rostow am Don, Murmansk, Angarsk
       am Baikalsee sind nur einige Stationen des ständig reisenden
       Umweltschützers, der vor den Gefahren der Atomenergie warnt.
       
       Seit 2012 hat er Einreiseverbot in Weißrussland, weil er dort gemeinsam mit
       weißrussischen Umweltschützern gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerkes
       demonstriert hatte. Doch längst ist der Kritiker der Atomenergie, der
       häufig mit Gruppen in Verbindung gebracht wird, die in das Register der
       „ausländischen Agenten“ eingetragen sind, in der Mitte der Gesellschaft
       angekommen.
       
       Das zeigte sich besonders deutlich Mitte dieser Woche und damit nur wenige
       Tage vor den Wahlen zum Moskauer Stadtrat. Am Mittwoch tagten, im Herzen
       Moskaus, im Haus des Putin-freundlichen „Koordinierungsrates
       nichtkommerzieller Organisationen Russlands“, Vertreterinnen von
       Initiativen der Moskauer Stadtteile Saburowo, Zarizyno, Kurjanowo.
       
       Sie waren zusammengekommen, weil sie den Bau einer achtspurigen Autobahn
       verhindern wollen, die durch ein radioaktiv verseuchtes Gebiet führen soll.
       Der Zusammenschluss von Initiativen hatte Oscharowski als beratenden
       Experten einbezogen.
       
       ## Spuren von Radioaktivität
       
       Begonnen habe alles im März dieses Jahres, erinnert sich Oscharowski. Bei
       einem Hearing zum Bau einer Trasse wollte jemand wissen, ob am
       Streckenabschnitt Kaschirskoe Chaussee Nr. 49 direkt neben dem Territorium
       des „Moskauer Polimetallwerkes“ Spuren von Radioaktivität gefunden worden
       seien. Das Polimetallwerk gehört der Firma TWEL des russischen Atomkonzerns
       Rosatom. Die produziert Brennstäbe für Atomkraftwerke.
       
       Doch bei dem Hearing hätten die zuständigen Beamten behauptet, das Gebiet
       sei nicht radioaktiv verstrahlt. Darauf hätten sich Anwohner spontan
       zusammengetan und gemeinsam eine „öffentliche Inspektion“ des fraglichen
       Gebietes, ausgestattet mit Messgeräten, unternommen.
       
       Die Kritik der Anwohner ist bei den Behörden angekommen. Am 30. April
       bestätigte eine Expertengruppe, in der auch Fachleute des russischen
       Katastrophenministeriums waren, eine teilweise 500-fach erhöhte radioaktive
       Belastung neben dem Zaun des Polimetallwerkes. „Man stelle sich vor, hier
       wird gebaut. Die Bauarbeiten wirbeln den radioaktiven Staub auf. Ein
       schwerer Schaden für die Bauarbeiter und die Anwohner“, so Raschid Alimow
       von Greenpeace Russland.
       
       In einem Schreiben, das der taz vorliegt, an den stellvertretenden
       Bürgermeister von Moskau, das Katastrophenministerium, den Atomkonzern
       Rosatom fordern die Vertreterinnen der Initiativgruppen der Anrainer der
       geplanten Straße am Mittwoch die Gründung einer Kommission zur Untersuchung
       der radioaktiv verseuchten geplanten Streckenabschnitte. In dieser
       Kommission, so das Schreiben, sollen auch die Anwohner vertreten sein.
       
       ## Atomarer Fund
       
       Andrej Oscharowski wundert sich über die hohe gesellschaftliche Resonanz
       auf den atomaren Fund an der geplanten Autobahn. Der kommunistische
       Bezirksratsabgeordnete Pawel Tarasow unterstützt die Initiativgruppe, sogar
       Wladimir Schirinowski, der Chef der Liberaldemokratischen Partei, sei schon
       vor Ort gewesen.
       
       Dieses Interesse findet Oscharowski positiv. Er hofft, dass es auch nach
       dem 8. September anhalten wird. Am Sonntag wird nicht nur in Moskau,
       sondern in zwei Dutzend weiteren russischen Städten und Regionen gewählt.
       Die Entscheidung, prominente Oppositionspolitiker nicht zu den Wahlen
       zuzulassen, führte in den vergangenen Wochen in Moskau zu Protesten. Dabei
       wurden über tausend Aktivisten festgenommen.
       
       6 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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