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       # taz.de -- Protest gegen fehlende Absicherung: Ersatz-Eltern wehren sich
       
       > Eine Mutter, die Kinder in Bereitschaftspflege betreut, startet eine
       > Online-Petition für faire Bedingungen: Ihr Job ist nicht
       > sozialversichert.
       
   IMG Bild: Bunter wird das Leben, aber die Arbeit bleibt prekär: Plakat des Kinder- und Jugendhilfeverbundes
       
       Hamburg taz | Immer mal wieder sind schöne Berichte zu lesen von Eltern,
       die ein kleines Kind in „Bereitschaftspflege“ nehmen und ihm Geborgenheit
       bieten, bis sich seine Perspektive klärt. Samia Martin aus Harburg ist seit
       vier Jahren so eine Mutter und nahm gerade zum siebten Mal ein Baby auf
       Zeit in ihre vierköpfige Familie auf. Sie macht das gern und sagt: „Ich hab
       hier nur die süßesten Kinder“. Doch die Bedingungen sind so schlecht, dass
       sie jetzt eine [1][Petition] startete.
       
       Obwohl rund um die Uhr im Einsatz, gilt die frühere Bankfachwirtin
       offiziell als Hausfrau und kann keiner Berufstätigkeit nachgehen. Ihre
       Tätigkeit bringt der Ersatzmutter keine Rentenpunkte ein. Krankenversichern
       muss sie sich über ihren Partner. Sie hat auch keine
       Arbeitslosenversicherung und „Angst vor Altersarmut“.
       
       Martin sagt, sie habe die Petition allein initiiert, doch die anderen
       Bereitschaftseltern stünden dahinter. Erst mal rauszugehen aus dem Beruf,
       würde die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Ereignisse wie
       Krankheit oder Trennung würden sie „finanziell und sozial“ ins Abseits
       befördern. „Das bereitet vielen Sorgen“, sagt Martin. „Wir wollen dieses
       Risiko nicht länger tragen“.
       
       Die Petition, die bereits rund 600 Unterstützer gewann, fordert die
       Umwandlung der Aufgabe vom „bezahlten Ehrenamt“ zur „Erwerbstätigkeit“.
       Zurzeit bekommen die Stand-by-Familien nur Geld, wenn ein Kind da ist. Und
       zwar nach Abzug des Kindesunterhalts 856 Euro im Monat plus 42 Euro für die
       Altersvorsorge.
       
       „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Martin. Sie fordert
       ein Einkommen, das Sozialbeiträge beinhaltet, das wären etwa 1.300 Euro
       brutto. Ein Heimplatz kostet viel mehr. Ums Geld gehe es ihr nicht, sagt
       sie: „Ich vermisse Sicherheit. Die Stadt sollte nicht auf Kosten unserer
       Vorsorge sparen.“
       
       Damit steht die 39-Jährige nicht allein. Die Pflegekinderhilfe „Pfiff“, die
       Bereitschaftseltern betreut und vermittelt, sagt nichts zur Petition. In
       seinem Sachbericht von 2018, der der taz vorliegt, spricht der Träger aber
       genau dieses Problem an. Es stelle sich die Frage, „ob das Modell der
       Bereitschaftspflege in dieser Form weiterhin zukunftsfähig ist“. So kamen
       64 Personen zu den Infoabenden bei Pfiff. Doch als sie hörten, dass die
       Familie mit einem Verdienst auskommen muss und die Hauptpflegeperson keine
       Alterssicherung hat, sprangen viele ab. Letztlich kamen 2018 fünf Familien
       hinzu, während fünf aufhörten.
       
       Das Problem: Bereitschaftseltern werden dringend gebraucht. 2018 standen
       den 34 Familien Anfragen für 229 Kinder gegenüber. Die Kinder kommen in
       Kinderschutzhäuser. Dabei nennt Michael Lezius, Gründer der
       Yagmur-Gedächtnisstiftung und Kämpfer für Kinderschutz, diese Häuser eine
       „Fehlkonstruktion“. Bei Schichtbetrieb könnten Kinder keine Bindungen
       aufbauen. Doch während die Bereitschaftseltern weniger wurden, stieg dort
       die Platzzahl seit 2016 von 65 auf 106.
       
       Die Linke begrüßt diesen Ausbau, kritisiert aber, dass zu viele kleine
       Kinder in den Schutzhäusern sind – und zu lange. „Für sie sind Familien der
       bessere Ort“, sagt Politikerin Sabine Boeddinghaus. „Wir unterstützen die
       Petition.“ Es sei wichtig, die Attraktivität der Bereitschaftsstellen zu
       verbessern.
       
       Oliver Klessmann, Sprecher der Sozialbehörde, sagt, man sei bereit, mit den
       Eltern zu reden, dämpft aber die Erwartungen. Denn würde deren Aufgabe zur
       Erwerbstätigkeit, gelte das „Fachkräftegebot“. Es wären dann
       „Lebensgemeinschaften“ und laut Gesetz dürften dort nur pädagogisch
       Qualifizierte wirken. Das Wertvolle an den ehrenamtlichen Pflegeeltern,
       tröstet Klessmann, sei jedoch, „dass es ,echte' Familien sind“. Eben diese
       ursprüngliche Lebensform „wünschen wir uns für die Kinder“.
       
       Martin sagt: „Ich verstehe nicht, warum es jetzt in Ordnung ist, dass wir
       keine Fachkräfte sind, aber wenn wir Absicherung fordern, nicht“. Sie hoffe
       auf ein offenes Ohr in der Bürgerschaft, an die sich die Petition richtet.
       
       10 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-faire-bedingungen-in-der-bereitschaftspflege
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
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