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       # taz.de -- Punkrock-Szene in Südostasien: Auf der Suche nach den „Messies“
       
       > Ihr Film- und Buchprojekt „A Global Mess“ führt Diana Ringelsiep und
       > Felix Bundschuh auf eine Reise. Dahin wo Punk noch echte Rebellion
       > bedeutet.
       
   IMG Bild: Skatepunk beim Grinden auf einer Bank in Cebu City auf den Philippinen
       
       [1][Trägt ein Punk] Springerstiefel, Lederjacke und Iro? Oder Vans, Hoodie
       und Baseballkappe? Es gibt wohl keine Subkultur, in der nicht darüber
       gestritten wird, wer dazugehört. Dass diese feinen Unterschiede an der
       Oberfläche selbst im dezidiert konsumkritischen Punkrock ein Thema sind,
       ist schade, aber nichts Neues. Dass der „Nietenpunk vs. Skatepunk“-Streit
       nicht nur im sogenannten Westen, sondern selbst auf den Philippinen
       ausgetragen wird, dagegen schon.
       
       Von dieser und weiteren Kuriositäten erzählt der Reportageband „A Global
       Mess“. Mehrere Monate haben die Autorin Diana Ringelsiep und der
       Musikmanager Felix Bundschuh Südostasien bereist. Abseits ausgetretener
       Backpacker-Pfade haben die beiden Freunde nicht nur auf den Philippinen,
       sondern auch in Indonesien und Singapur, auf Malaysia und in Thailand eine
       Antwort auf die Frage gesucht, welches Lebensgefühl junge Menschen aus
       alternativen Szenen weltweit miteinander verbindet.
       
       Bei der Suche nach versteckten Plattenläden, der Begleitung illegaler
       Graffititouren oder dem Pogen auf Undergroundkonzerten in verlassenen
       Gebäuden gerieten sie dabei mehrfach in heikle Situationen. Die Ergebnisse
       ihrer abenteuerlichen Recherchen sind nach einer Crowdfunding-Kampagne mit
       prominenter Unterstützung von Szenegrößen wie Slime, Dritte Wahl oder
       Terrorgruppe in einem knapp dreihundert Seiten starken, farbig bebilderten
       Buch, einer Doku in Spielfilmlänge und auf einem Vinyl-Sampler
       veröffentlicht worden.
       
       Ringelsiep und Bundschuh wollten dahin, wo Gangster-Rap noch nicht im Radio
       läuft, ein Leben abseits des Mainstreams also echte Rebellion bedeutet.
       Mission geglückt: Durch Interviews mit Musikern, Aktivisten und Künstlern
       zeichnen Buch und Film das Bild einer Region, in der unkonventionellen
       Lebensentwürfen und emanzipatorischen Projekten nicht nur mit
       gesellschaftlicher Isolation, sondern auch mit staatlicher Repression
       begegnet wird – und einer Szene, die mit wenigen Mitteln viel auf die Beine
       stellt.
       
       Zwischen Gentrifizierung und Freiräumen 
       
       Das Problem der Gentrifizierung, das Plattmachen von Proberäumen, Ateliers
       und Konzertlocations ist vor diesem Hintergrund dann auch das Einzige, was
       die Sub- und Gegenkultur von Südostasien mit der Europas oder Amerikas
       teilt, wo erkämpfte Freiräume einen vergleichsweise sicheren Status haben,
       sieht man mal von dem merkwürdigen Umstand ab, dass sich das Establishment
       auch dort gern die Werke unbequemer junger Künstler an die Wände hängt.
       
       Schade ist, dass Ringelsiep und Bundschuh nur das erste Etappenziel ihrer
       Crowdfunding-Kampagne erreicht haben und der Film deswegen vorerst
       ausschließlich in Kleinstauflage während der Lesereise zu sehen ist. Das
       Buch mit seiner multiperspektivischen Mischung aus Tagebucheinträgen,
       E-Mail-Kommunikation und Interviews ist informativ und kurzweilig. Dennoch
       vermitteln die bewegten Bilder den authentischeren, direkteren und
       emotionaleren Eindruck der örtlichen Szene. Flimmern die Aufnahmen aus der
       Mitte tobender Moshpits über den Bildschirm, kann man den Schweiß förmlich
       riechen.
       
       Hardcore, Street-, Skate- und Pop-Punk 
       
       Die hierzulande unbekannten Bands können sich alle durchaus hören lassen.
       Die beste Visitenkarte für sie ist deshalb auch der Sampler, eine
       Veröffentlichung für sich, die gänzlich ohne Buch und Film funktioniert.
       Ein Dutzend Songs von ebenso vielen Bands haben Ringelsiep und Bundschuh
       auf ihrem perfekt produzierten und liebevoll aufgemachten Vinyl
       untergebracht. Wer fremde Klänge aus fernen Ländern erwartet, sei gewarnt:
       Vor allem musikalisch ist der westliche Einfluss auf die Szene
       Südostasiens nicht zu leugnen.
       
       Rap, Reggae und Rock sind auch vertreten, der Schwerpunkt liegt aber
       eindeutig auf Punkrock – das allerdings in allen Spielarten des Genres, von
       Hardcore über Street- bis hin zu Skate- und Pop-Punk. Kein Wunder,
       schließlich sind die beiden „Messies“ mit Punk groß geworden und wollten
       der Szene mit diesem Projekt etwas zurückgeben.
       
       Doch warum eigentlich „A Global Mess“, wenn der Spot doch nur auf eine
       Region dieser Erde geworfen wird? Mit dem Titel, einer Hommage an die
       amerikanische Streetpunkband „A Global Threat“, wollten die beiden
       Enthusiasten sich bewusst die Option offenhalten, die Arbeit in anderen
       Ländern weiterzuführen. Auf dem Cover des Samplers steht deswegen
       vorsorglich schon mal „Volume One“.
       
       7 Sep 2019
       
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