URI: 
       # taz.de -- Klimaverein über Ost-Strukturwandel: „Es braucht konkrete Konzepte “
       
       > Ein Verein will in Sachsen die Zivilgesellschaft in Klimafragen besser
       > vernetzen. Das ist notwendig, sagt Projektleiterin Anna Schüler.
       
   IMG Bild: Proteste im vom Braunkohleabbau bedrohten Dorf Pödelwitz
       
       taz: Powershift e.V. fokussierte sich mit seiner Arbeit bislang vor allem
       auf Berlin und europäische Projekte – warum nun Sachsen? 
       
       Anna Schüler: Während in Berlin ja vor allem technische Lösungen eine Rolle
       spielen, also wie die Kraftwerkskapazitäten ersetzt werden können, sind die
       Auswirkungen hier in Sachsen viel weitreichender: Es müssen nicht nur
       regenerative Alternativen für die enormen Braunkohle-Kapazitäten aufgebaut
       werden, sondern es wird auch [1][um einen sozial gerechten Strukturwandel
       gerungen]. Gleichzeitig gehen Landesregierung und LEAG, der Tagebau- und
       Kraftwerksbetreiber, davon aus, dass sie noch immer Tagebaue erweitern,
       Dörfer abbaggern und ihre Bewohner*innen umsiedeln können, sowohl [2][in
       der Lausitz] als auch im Leipziger Revier.
       
       Diese Braunkohlefirmen wie MIBRAG und LEAG sowie ihre Zulieferer sind
       gleichzeitig insbesondere in den Bergbauregionen wie der sächsischen
       Lausitz einer der wichtigsten Arbeitgeber. Diese Arbeitsplätze würden dann
       wegfallen – wie kann der v on ihnen geforderte sozial gerechte
       Strukturwandel aussehen? 
       
       Der Druck ist enorm: Der Niedergang nach der Wende hat die Biografien einer
       ganzen Generation brutal umstrukturiert und tiefe Wunden hinterlassen.
       Damit der Strukturwandel sozial gerecht verläuft, braucht es viel mehr
       konkrete Konzepte als beispielsweise die Ansiedlung einiger
       Forschungseinrichtungen oder reine Infrastrukturinvestitionen in den
       Straßenbau, wie sie derzeit im Wahlkampf gefordert werden. Die von der
       Braunkohle abhängigen Beschäftigten müssen dabei viel stärker in den Blick
       genommen werden. Die leitende Frage muss sein: Wie kann sichergestellt
       werden, dass sie nicht zu den Abgehängten von morgen gehören?
       
       Diese Arbeitsplätze stehen im Kontrast zu Lebenswelten: In Orten wie
       Pödelwitz und Obertitz sind ganze Dörfer von der Abbaggerung bedroht. Was
       sagen Sie Menschen, die vor der Gefahr stehen, dass ihr Haus in wenigen
       Jahren einfach weggebaggert werden könnte?
       
       Umsiedlungen als Folge von Rohstoffabbau haben eine lange, traurige
       Tradition, rund 250 Dörfer sind in der Lausitz und im Mitteldeutschen
       Revier abgebaggert worden. In der zivilgesellschaftlichen Arbeit geht es
       vor allem darum, den Menschen, die bleiben wollen, den Rücken zu stärken,
       zu zeigen: Ihre Anliegen werden gehört und sind legitim, auch wenn die
       Staatsregierung es anders sieht. Die drohenden Umsiedlungen spalten oft die
       Dorfgemeinschaften in die, die bleiben wollen, und die, für die es vor Ort
       nicht mehr lebenswert ist.
       
       Können Sie ein Beispiel nennen? 
       
       Kurz nach dem sogenannten Kohlekompromiss hat die sächsische
       Landesregierung absurderweise den Umsiedlungsvertrag für das Dorf Mühlrose
       in der Lausitz unterschrieben, obwohl es dafür noch gar keine Genehmigung
       gibt. Mühlrose ist ein Dorf, [3][in dem viele Sorb*innen wohnen]. In der
       Vergangenheit waren es vor allem sorbische Dörfer, die der Braunkohle
       weichen mussten. Der Verlust von Sprache und Kultur betrifft
       gesellschaftliche Minderheiten noch einmal viel stärker. Auch deshalb
       wollen viele bleiben.
       
       Ihre Strategie ist es, Klimagerechtigkeit als zivilgesellschaftliches Thema
       zu verankern. Als Ziel definiert Powershift, eine ökologisch und sozial
       gerechtere Weltwirtschaft zu etablieren. Wie kann das auf lokaler Ebene
       funktionieren? 
       
       Das Beispiel Pödelwitz zeigt, wie die Übersetzung von Klimagerechtigkeit
       auf der kleinsten, lokalen Ebene funktionieren kann: Aus dem betroffenen
       Dorf und aus der Zivilgesellschaft heraus sind starke, solidarische
       Allianzen, wie das Bündnis „Pödelwitz bleibt“ oder das Leipziger Klimacamp,
       entstanden. In den vergangenen Jahren haben solche Initiativen stark zur
       Vitalisierung des Dorfes beigetragen, in enger Zusammenarbeit mit den
       Menschen vor Ort. Dahinter steht nicht allein die Perspektive der
       Betroffenen, ihr Dorf und ihre Lebensgrundlagen zu erhalten, sondern auch
       der Anspruch: Braunkohle als fossile Grundlage kapitalistischer
       Produktionsverhältnisse muss im Boden bleiben, wenn die Klimakrise in
       irgendeiner Weise eingedämmt werden soll.
       
       Dabei gehören die großen Kraftwerke in Sachsen – Lippendorf und Boxberg –
       zu den Top 10 beziehungsweise den Top 30 der CO2-und schadstoffintensivsten
       Kraftwerke in Europa. Als Energiekonzerne gegen strengere EU-Grenzwerte für
       Kraftwerke geklagt haben, hat sich Sachsen dieser Klage angeschlossen.
       Warum stellt sich die Landesregierung quer? 
       
       Das sind die sächsischen Verhältnisse: blockieren, verhindern, sich
       querstellen. Glücklicherweise ist die Branche, und mit ihr die
       Staatsregierung, mit der Klage letztes Jahr gescheitert. Dass sich die
       Landesregierung der Klage der Energiekonzerne angeschlossen hat, zeigt
       deutlich, auf welcher Seite sie steht: nämlich im Zweifel nicht auf der
       Seite der Ein- und Anwohner*innen und ihrer Gesundheit oder des Natur- und
       Umweltschutzes, sondern auf Seite der Energiekonzerne. Im Jahr 2021 treten
       die neuen EU-Grenzwerte für Kohlekraftwerke in Kraft. Die sächsischen
       Kraftwerke werden gegen diese Grenzwerte verstoßen.
       
       Ist ein Strukturwandel in Sachsen absehbar? 
       
       Das Ausstiegsdatum bis 2038 ist in keinem Fall klimagerecht und verschiebt
       den Strukturwandel nur nach hinten. Das ist unfair gegenüber den
       Beschäftigten. Dabei ist die Braunkohleverstromung zunehmend
       unwirtschaftlicher, das zeigt besonders das Kraftwerk Lippendorf. Auch in
       Sachsen wird man also mit einer Vermeidungs- und Verzögerungstaktik nicht
       viel länger weiter verfahren können. Strukturwandel in Sachsen muss von den
       zuständigen Entscheidungsträger*innen als Chance begriffen werden.
       
       4 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Strukturwandel-in-den-Kohleregionen/!5594046
   DIR [2] /Kohleausstieg-in-der-Lausitz/!5619063
   DIR [3] /Abgeordneter-ueber-Sorben-im-Landtag/!5609869
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Ulrich
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Strukturwandel
   DIR Energiewende
   DIR Braunkohle
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Bodo Ramelow
   DIR Kohleausstieg
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Dorf im sächsischen Braunkohlerevier: Gerettet – und nun?
       
       Pödelwitz drohte vom Braunkohletagebau verschluckt zu werden. Der Ort hat
       überlebt, doch die meisten Menschen sind weg. Und der Rest? Hat Großes vor.
       
   DIR Die Grünen im Osten: Weniger inhaltliche Enge
       
       Was die Grünen aus den Wahlen im Osten lernen sollten: Klimaschutz ist
       wichtig, aber sie dürfen die sozialen Themen nicht vergessen.
       
   DIR Kohleausstieg in der Lausitz: Angst vor der zweiten Wende
       
       Die Pläne für den Kohleausstieg erinnern viele in der Lausitz an die
       Strukturbrüche nach 1990. Vor Ort ist man deshalb mehr als skeptisch.
       
   DIR Die Linke vor den Landtagswahlen: Austaktiert
       
       In den ostdeutschen Ländern ist die Linke auf dem absteigenden Ast. Daran
       ist auch ihre unentschlossene Politik der vergangenen Jahrzehnte schuld.
       
   DIR Kandidatin für den SPD-Vorsitz: Die Stimme aus dem Osten
       
       Petra Köpping scheint die neuen Bundesländer und deren Einwohner zu
       verstehen wie kaum jemand sonst. Reicht das, um SPD-Vorsitzende zu werden?