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       # taz.de -- Neues Rentensystem in Frankreich: Unmut über geplante Reform
       
       > Mit der Rentenreform wagt sich Premierminster Philippe an ein explosives
       > Thema. Pariser Verkehrsbetriebe haben für Freitag bereits Streik
       > angekündigt.
       
   IMG Bild: Rente ist ein Thema, das in Frankreich für viele Regierungen zum Verhängnis wurde
       
       Paris taz | Édouard Philippe wirkte wie ein Lehrer, als er am Donnerstag
       hinter das Pult trat, um die Rentenreform zu erklären. Ganz pädagogisch
       baute der französische Regierungschef seinen Vortrag vor dem
       sozialpolitischen Beratungsgremium CESE auf: Er begann mit dem Warum und
       endete mit dem Wie und Wann des neuen Rentensystems. Denn dass es bei der
       Rente Veränderungen geben wird, stellte Philippe gleich am Anfang klar:
       „Wir haben starke Überzeugungen und sind fest entschlossen.“ Das heiße aber
       nicht, dass die Reform schon beschlossene Sache sei. „Sie ist noch nicht
       ausformuliert. Wir brauchen sie alle“, warb der frühere Konservative vor
       allem um die Mitarbeit der Gewerkschaften.
       
       Die will Emmanuel Macron diesmal fest einbinden, nachdem er sich bei der
       [1][Reform des Arbeitsrechts] und der [2][Bahnreform] über ihren Widerstand
       hinweggesetzt hatte. Der Präsident braucht die Gewerkschaften, wenn sein
       Projekt nicht wie die seiner Vorgänger weg demonstriert werden soll.
       
       Denn die Reform des Rentensystems ist in Frankreich eine explosive
       Angelegenheit. Mehrere Regierungen waren gescheitert. So Philippes Mentor
       Alain Juppé, der 1995 nach Massenprotesten zurücktreten musste. „Ich
       unterschätze die Umwälzungen nicht“, versicherte Philippe. Zwei
       Gewerkschaften haben für Ende September zu Demonstrationen aufgerufen. Nur
       die größte Gewerkschaft, die gemäßigte CFDT, hält sich noch zurück.
       
       Die Pariser Verkehrsbetriebe RATP haben schon für Freitag zu einem
       Streiktag aufgerufen, der den öffentlichen Nahverkehr in der Hauptstadt
       lahmlegen dürfte. Erstmals seit zwölf Jahren sollen kaum Metros und nur
       wenige Vorortzüge und Busse fahren. Der Protest der RATP richtet sich gegen
       die Abschaffung der 42 Sondersysteme für Berufsgruppen im öffentlichen
       Dienst. So profitieren Eisenbahner der SNCF oder Angestellte der RATP von
       einem auf sie zugeschnittenen System, das ihnen ein frühes
       Renteneintrittsalter und eine höhere Pension garantiert. Zugführer können
       so schon mit Anfang 50 in Rente gehen.
       
       ## Die Gewerkschaften halten an der Rente mit 62 fest
       
       „Das aktuelle System ist ungerecht und undurchsichtig“, kritisierte
       Philippe die Sonderregelungen. Deshalb solle ein universelles Punktesystem
       eingeführt werden, das für jeden in die Rentenkasse eingezahlten Euro auch
       einen Euro Rente ergibt. Geringverdienern sollen 85 Prozent des
       Mindestlohns garantiert werden. Betroffen von den schrittweise geplanten
       Änderungen, die erst ab 2040 voll greifen sollen, sind alle nach 1963
       geborenen Franzosen. Überhaupt will sich Philippe bei der Reform Zeit
       lassen. Die Abstimmung über das neue Rentengesetz soll in der
       Nationalversammlung vor der Sommerpause 2020 erfolgen.
       
       Der Regierungschef stützte sich bei seinen Vorschlägen auf das Projekt des
       mit der Reform beauftragten Jean-Paul Delevoye, der nach 18 Monate langen
       Beratungen im Juli einen Bericht vorgelegt hatte. Philippe ging allerdings
       nicht näher auf Delevoyes Vorschlag ein, das Renteneintrittsalter von 62
       auf de facto 64 Jahre anzuheben.
       
       „Drehachsen-Alter“ nannte Delevoye ganz diplomatisch die 64 Jahre, unter
       denen die Rente nur mit Abschlägen möglich sein soll. Bisher gehen die
       Franzosen so früh in Rente wie kaum einer ihrer europäischen Nachbarn.
       Macron ging bereits auf Distanz zu Delevoyes Idee. Er finde es besser, das
       Rentenalter nach den Beitragsjahren zu berechnen, sagte der Staatschef in
       einem Fernsehinterview. Er machte damit den Gewerkschaften ein
       Zugeständnis, die an der Rente mit 62 festhalten.
       
       Die Sozialpartner treffen sich nächste Woche, um mit der Regierung über die
       Rentenreform zu beraten. Bis zum Jahresende sollen die Gespräche dauern,
       bei denen die Sonderregelungen und das Renteneintrittsalter die heikelsten
       Themen sind.
       
       12 Sep 2019
       
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