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       # taz.de -- Protest gegen Wald-Rodung: Kurz vor zwölf im Urwald
       
       > Der Vollhöfner Wald an der Alten Süderelbe soll Ende September
       > Logistikzentren und Lagerhallen weichen. Dagegen formiert sich Protest.
       
   IMG Bild: Besorgt und entschlossen, den Wald zu retten: Spaziergänger*innen am vergangenen Sonntag
       
       Hamburg taz | Nicht mehr viel Zeit bleibt für den Urwald mit seinen
       Pionierpflanzen, den seltenen Spechtarten und den schutzbedürftigen
       Fledermäusen, die in abgestorbenen Baumstämmen hinter morschen Rinden den
       Tag verschlafen. Seit mehr als fünf Jahrzehnten wächst der Vollhöfner Wald
       ohne menschliches Zutun gesund und selbstständig, längst stehen dort auch
       die gefährdete Esche und der Bergahorn. Ende September müssen die Bäume und
       alle ihre Bewohner wahrscheinlich weichen. Dort sollen Logistikzentren und
       Lagerhallen entstehen.
       
       „Tote Bäume sind nicht wirklich tot, sondern ein lebendiger Wohnraum für
       die Waldbewohner“, sagt Jan Mewes. Der Biologe sieht besorgt aus während
       seiner Führung durch den Wald am Sonntagmittag. Er betont, dass der Wald an
       der Alten Süderelbe in Altenwerder-West ein Ort sei, der „durchlebt“ werden
       müsse: Tiere pflanzen sich fort, die nächste Generation wandert weiter im
       Biotopverbund zwischen den Naturschutzgebieten Moorgürtel und Alte
       Süderelbe/Westerweiden. Das ist für den Erhalt des akut gefährdeten
       Kleinspechts und der Rauhaut- und Wasserfledermaus, die beide auf der Roten
       Liste stehen, von existentieller Notwendigkeit.
       
       Dass der Kahlschlag von mehr als 23.000 Bäumen droht, wussten die
       Umweltverbände Nabu und BUND schon vor zwei Jahren und klagten deshalb
       gegen das Vorhaben. Im vergangenen Februar monierten sie, dass trotz der
       Klage, die keine aufschiebende Wirkung hat, Baugrunduntersuchungen mit
       Bohrungen und einer Baumfällung schon jetzt irreversible Schäden im
       Weidenwald verursacht hätten.
       
       Nabu und BUND wollen deshalb im Eilverfahren gegen die komplette Rodung
       klagen, eine Antwort vom zuständigen Gericht steht noch aus. Sie bezweifeln
       auch, dass es überhaupt Bedarf an einer weiteren versiegelten
       Logistikfläche gibt, angesichts niedriger Umschlagprognosen für den
       Hamburger Hafen.
       
       Rund 120 Menschen sind zum Protestspaziergang in den Wald gekommen. Am
       Treffpunkt vor dem Vollhöfner Wald hängt ein Transparent: „Völli bleibt“.
       Auf dem Weg zum Waldeingang laufen die besorgten Anwohner*innen an einem
       Aluminiumwerk vorbei, ein Windrad markiert den Anfang und das Ende der
       Führung.
       
       Reiterinnen aus Altenwerder begleiten die Wanderung. „Wir leben hier, hier
       können wir reiten, meine beiden Töchter lieben die Natur genau so wie ich“,
       sagt eine von ihnen. In der Nähe gebe es keine Ausweichmöglichkeiten für
       sie und ihre drei Pferde. Eine Frau im Rollstuhl wird von ihrem Betreuer
       bis zur Hälfte der Wanderung auf dem Rücken getragen. Weiter kommen sie
       nicht – der Boden ist zu unwegsam.
       
       Es sind jüngere Aktivist*innen dabei, die entschlossen sind, diesen Wald
       unter allen Umständen zu schützen – aber auch Spaziergänger*innen, denen
       man das nicht zumuten will, sagen, dass sie sich für den Vollhöfner Wald
       notfalls an die Bäume ketten würden.
       
       Dass es überhaupt so weit gekommen ist, dass ganz normale Hamburger*innen
       zivilen Ungehorsam erwägen, ist einem Dilemma zwischen Wissenschaft und der
       Politik geschuldet. Im Februar 2017 hatte die Hamburger Behörde für Umwelt
       und Energie in einer „fachlichen Herleitung“ erst festgestellt, dass „der
       Biotopverbund eines der wichtigsten Konzepte zur Minimierung negativer
       Klimaänderungsfolgen für Arten und Biotope“ sei.
       
       Deswegen ist der Biotopverbund im Bundesnaturschutzgesetz seit 2002 auch
       rechtlich verankert. In Hamburg sei der Biotopverbund seit 2007 „umfassend
       rechtlich geregelt“, heißt es in dem Text. Eine Zuordnung des Vollhöfner
       Waldes zu dem Biotopenverbund würde ihn retten, aber der Senat lässt das
       nicht zu.
       
       „Die Entwicklung des Gebiets Altenwerder-West ist im Koalitionsvertrag
       vorgesehen“, lautete die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage bereits
       im Oktober 2015. Die Inanspruchnahme der Vollhöfner Weiden für Hafenzwecke
       folge außerdem den Zielen des Hafenentwicklungsplans. Der sieht weder ein
       umweltwissenschaftliches Gutachten noch Beteiligung von Anwohner*innen vor.
       
       Am Ende des Spaziergangs verabschieden sich die Teilnehmer*innen von den
       Bäumen, Spechten und Fledermäusen. Am kommenden Sonntag wollen viele
       wiederkommen.
       
       17 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yasemin Fusco
       
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